Wandlungsprozesse in Zeiten des Klimawandels

Forschungen im Archäologischen Forschungszentrum MONREPOS entschlüsseln, wie und wann sich soziale Wandlungsprozesse vollziehen und welchen Einfluss das Klima darauf hat. Sie bieten so neue Perspektiven auf die anstehenden Veränderungen im aktuellen Klimawandel. Hochauflösende Umwelt- und Archäologiearchive vom Ende der letzten Eiszeit wurden dazu erstmals z.T. jahrzehntgenau miteinander korreliert.

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Europa vor rund 16.000 Jahren
Europa vor rund 16.000 Jahren im ausgehenden Eiszeitalter, vor Beginn der späteiszeitlichen Erwärmung. Hellgrün: Landfläche; weiß: Eisschilde. (Karte: Sonja Grimm, MONREPOS)

Längst gilt das Klima als stärkster Trigger für Innovationen und gesellschaftliche Wandlungsprozesse: Auf dem gerade tagenden UNO Klimagipfel hat der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den aktuellen Klimawandel als die größte Gefahr in der Menschheitsgeschichte bezeichnet. Klimawandel erfordert die Entwicklung neuer Technologien, alternativer Lebensweisen sowie sozialen Wandel. Daran gibt es kaum noch Zweifel. Aber: Wie vollzieht sich ein solcher Wandel? Wann müssen wir uns ändern und in welchem Umfang? In welchen Phasen setzen sich Erfindungen als gesellschaftsübergreifende Innovationen durch? Und: Welche Rolle spielt der Klimawandel dabei?

Diesen Fragen geht die jüngst abgeschlossene Doktorarbeit von Sonja Grimm nach. Antworten fand sie durch die Untersuchung ökologischer und sozialer Entwicklungen am Ende der letzten Eiszeit: "Das ist die Phase des stärksten Klimawandels der letzten 20.000 Jahre. Innerhalb von 4000 Jahren wandelt sich das Klima mehrfach extrem und plötzlich; die globale Erwärmung zu Beginn unserer heutigen Warmzeit wurde durch mehrere rapide Kaltphasen unterbrochen."

Sonja Grimm ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Archäologischen Forschungszentrums und Museums für menschliche Verhaltensevolution MONREPOS (Neuwied, Rheinland-Pfalz). Hier erforschen Archäologen die Entwicklung unsres heutigen Verhaltens in der frühen Menschheitsgeschichte.

In ihren Untersuchungen hat Sonja Grimm zunächst quellenkritisch alle relevanten Klima- und Umweltarchive miteinander korreliert und so die zurzeit umfassendste, hochauflösendste Datenbank der Zeit vor etwa 16.000-12.000 Jahren erzeugt. Aus den von ihr untersuchten gut datierten archäologischen Zusammenhängen hat sie dann technologische, soziale und ökonomische Innovationen destilliert, in ihrer chronologischen Abfolge verglichen und sie schließlich genau mit den Klimadaten korreliert. Auf dieser Basis zeigt sich nun erstmals, wann und in welcher Form Innovationen und gesellschaftliche Umbrüche auftreten und was sie mit der Klimaentwicklung zu tun haben:

Erst vor knapp 14.000 Jahren und damit 800 Jahre nach Beginn des globalen Klimawandels, kristallisiert sich ein plötzlicher Innovationsschub heraus; in dieser Zeit muss ein immenser Entwicklungsdruck geherrscht haben. Diese revolutionsartigen gesellschaftlichen Veränderungen erfolgen synchron in allen Lebensbereichen, während eines schlagartigen warmzeitlichen Umweltwandels, der wiederum auf einen kurzen Kälteeinbruch folgte. Die erste Klimaerwärmung vor dem Kälteeinbruch führte dagegen zunächst nur zu einem graduellen Umweltwandel – und lediglich vereinzelten Verhaltensänderungen der Menschen.

"Der Klimawandel selbst löst keine Verhaltensänderungen beim Menschen aus, aber der umfassende Wandel der Umwelt und ihrer Ressourcen. Der Mensch ist konservativ und hält an seinem Verhalten und der traditionellen Lebensweise fest, so lange er irgend kann", folgert die Archäologin.

Ihre Untersuchungen geben auch Aufschluss über die Initiatoren und Träger des gesellschaftlichen Wandels: es sind kleinere Regionalgruppen. "Die weitgespannten sozialen Netzwerke, die das Leben in der Eiszeitsteppe europaweit normierten und regelten, gehen zunächst verloren. Erst mit zunehmender Stabilität der Umwelt erkennen wir wieder überregional gleichartige Verhaltensweisen", so Sonja Grimm.

Publikation

S. B. Grimm, Resilience and Re-organisation of Social Systems during the Weichselian Lateglacial in Northwest-Europe. An evaluation of the archaeological, climatic, and environmental records. Dissertation Johannes Gutenberg-Universität Mainz 2014.

Europa vor rund 13.500 Jahren
Europa vor rund 13.500 Jahren. Aufgrund der abschmelzenden Eisschilde steigt der Meeresspiegel und überflutet vorherige Landflächen (hellgrün). (Karte: Sonja Grimm, MONREPOS)