Neue Erkenntnisse zur mittelalterlichen Baugeschichte von Schloss Stolberg

Im Vorfeld geplanter Umgestaltungen des Schlosses Stolberg untersuchten Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt von Mai bis Juli 2013 Teile des Schlosshofes und der Vorburg. Dabei konnten sie auch den im 18. Jh. geschleiften Bergfried lokalisieren, von dem bisher nur bildliche Zeugnisse überliefert waren.

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Ausgrabung Schloss Stolberg
Blick von Nordwesten auf das Schloss Stolberg, im Vordergrund der Bereich der Vorburg mit dem Fundament des wiederentdeckten Bergfrieds. Foto: W. Nebelung © LDA Sachsen-Anhalt

Nachdem die Stadt Stolberg 1157 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde, liegen schriftliche Hinweise auf die Errichtung der Burg Stolberg auf dem Zwisselberg durch Heinrich von Hohnstein für den Beginn des 13. Jahrhunderts vor. 1316 werden die Schlosskapelle St. Johannes und ein Wohnturm urkundlich erwähnt. Um 1357 sind bauliche Veränderungen, darunter der Neubau der Kapelle, belegt. Für die nachfolgenden Jahrhunderte sind weitere Gebäudeteile sowie Umbauten, Renovierungen und Umgestaltungen bekannt. Von 1701 bis 1720 erfolgten die barocke Innengestaltung des Schlosses und ein Umbau der Vorburg, in dessen Zuge der sog. Windfang und das erste Torhaus errichtet wurden. Weitere bauliche Veränderungen folgten im 19. Jahrhundert. Überregional bekannt ist das Stolberger Schloss vor allem als Sitz der Grafen von Stolberg, eines der ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands, aus dem mit Juliana von Stolberg (1506-1580) u. a. die Stamm­mutter des Hauses Oranien hervorging. Nach der Umnutzung der Anlage nach dem Zweiten Weltkrieg und anschließendem jahrelangen Leerstand wurde das Schloss im Jahr 2002 von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz erworben, die sich seither erfolgreich um dessen Sanierung und Nutzung bemüht.

Im Zusammenhang mit neuen, umfangreichen Umgestaltungsplänen für die Schlossanlage untersuchten von Mai bis Juli 2013 Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Kooperation mit dem Anhaltischen Förderverein für Naturkunde und Geschichte innerhalb des Schlosshofes sowie im Bereich der Vorburg insgesamt 146 Befunde. Im Schlosshof wurde beim Anlegen einer Heizungsleitung östlich des sog. Windfanges ca. 0,70 Meter unter der modernen Geländeoberkante eine Planierungsschicht nachgewiesen. Die bis zu einem halben Meter mächtige Einfüllung befindet sich unterhalb mehrerer neuzeitlicher Deckschichten entlang eines neun Meter langen Profils. Sie bestand aus zahlreichen Keramikscherben und Tierknochen, die zum Ausgleich des unebenen Schiefergesteines dienten und im Schlosshof erstmals Bau- bzw. Umbauarbeiten an der Kernburg während des 15. Jahrhunderts dokumentieren.

In der Vorburg wurde eine Fläche von ca. 40 m x 30 m untersucht. Unter den Fundamenten des sog. Marstalles, die in mehreren Phasen in das 18., 19. und 20. Jahrhundert zurückgehen, kam ein besonders bemerkenswerter Befund zu Tage: Zur Überraschung der Ausgräber wurden in bis zu 1,60 Meter Tiefe insgesamt zwölf Lagen eines Fundaments aus unregelmäßig behauenen Schiefersteinen innerhalb eines drei Meter breiten Umfassungsgrabens angetroffen, die zu einem runden Bauwerk von etwa 11 Meter Durchmesser und stellenweise 2,90 Meter mächtigem Mauerwerk ergänzt werden können. Damit konnten erstmals die Überreste des alten Bergfriedes der Burg Stolberg lokalisiert werden, eines Rundturmes, der bislang lediglich auf Ölgemälden und lavierten Federzeichnungen von 1552, 1695 bzw. 1704 überliefert war. Auf den Abbildungen wird er in nordwestlicher Ecklage, in unmittelbarer Nähe der Kanzlei und des zweiten Torhauses dargestellt. Zusammen mit dem Graben, der durch mehrere spätmittelalterliche bzw. renaissancezeitliche Schichten aufgefüllt war, bilden sie die  bislang ältesten bekannten Bauteile der mittelalterlichen Stolberger Burg. Der nun erstmals lokalisierte Bergfried wurde während der barocken Umgestaltung zu Beginn des 18. Jahrhunderts vollständig geschliffen und größtenteils wieder verbaut, so dass sich von seinem aufgehenden Mauerwerk lediglich im Umfassungsgraben Reste erhalten haben.

Die Mehrzahl der 146 Befunde auf Schloss Stolberg datiert in die frühe Neuzeit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, die zahlreichen Keramikscherben im Schlosshof und aus dem Graben belegen jedoch auch umfangreiche spätmittelalterliche Aktivitäten. Insgesamt wurden über 6.000 Fundstücke gesichert. Es fanden sich größtenteils keramische Fragmente und Tierknochen (Schlachtabfälle), aber auch Kleinfunde wie Spinnwirtel, Fingerhüte, eine bronzene Gürtelschnalle, Münzen sowie diverse Bruchstücke kleiner Keramikfiguren aus Ton (u. a. Reste von Spielsteinen, bei denen es sich möglicherweise um Schachfiguren handeln könnte).

Zwar kann die Entstehungszeit des Bergfriedes und des Umfassungsgrabens nicht genau ermittelt werden, doch sprechen die neuen archäologischen Informationen über Geländesituation, Konstruktion und Machart dieses Ensembles und der Vergleich mit benachbarten Anlagen für eine Errichtung im 12., 13. oder 14. Jahrhundert. Zusammengenommen führen die Ergebnisse der Ausgrabungen zu dem Schluss, dass der Burg Stolberg wohl bereits während des Hoch- bzw. Spätmittelalters eine bislang durch die schriftlichen Quellen nicht hinreichend bekannte wichtige regionale Bedeutung zukam.

Fundament Bergfried
Blick auf das freigelegte Fundament des Bergfrieds. In der linken oberen Ecke ist das Profil des Umfassungsgrabens zu sehen. Foto: Ingmar Balfanz © LDA Sachsen-Anhalt
Tonfiguren
Vier Figurinenfragmente aus Ton aus dem Umfassungsgraben des Bergfrieds (15.–16. Jh.). Foto: Ingmar Balfanz © LDA Sachsen-Anhalt