Mäuseknochen und kostbare Seidentücher

Archäologin der Universität Bonn untersuchte Textilien in der Reliquienlade der Kölner Kirche St. Severin

Knochen winziger Mäuse, leuchtend farbige Seidentücher und Gebeine kamen vor zwölf Jahren bei der Öffnung der Reliquienlade in der Kölner Kirche St. Severin zum Vorschein. Ein Wissenschaftlerteam aus unterschiedlichen Disziplinen unter Beteiligung von Prof. Dr. Sabine Schrenk von der Universität Bonn legte am Mittwoch in Köln in Form eines Buches die Ergebnisse der Erforschung dieses Schreins vor.

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Reliquienlade
Die Reliquienlade stammt aus dem Jahr 948 und ist mit Seidengewebe ausgekleidet. (c) Foto: Wolfgang F. Meier/Rheinisches Bildarchiv Köln

In einem Schrein werden wertvolle oder heilige Gegenstände aufbewahrt, deshalb ist die »Verpackung« sehr wichtig. »Das Kostbarste ist gerade gut genug, um die Reliquien angemessen aufzubewahren«, sagt Prof. Dr. Sabine Schrenk von der Abteilung Christliche Archäologie der Universität Bonn. Als im Jahr 1999 der Schrein in der Kölner Kirche St. Severin geöffnet wurde, kamen spektakuläre Funde ans Tageslicht. Darunter befanden sich insgesamt acht Seiden- und Leintücher in teilweise sehr leuchtenden Farben. »Da ein Schrein nur selten geöffnet wird, waren die kostbaren Tücher in der hölzernen Lade bestens vor Licht geschützt«, berichtet Schrenk. »Die farbigen Stoffe muten größtenteils an, als wären sie erst vor kurzem gewebt worden.«

Die hölzerne Lade im Chorraum der Kirche St. Severin befindet sich jedoch nicht mehr im originalen mittelalterlichen Schrein. Während der Besatzung Kölns durch die französischen Truppen sei die Metalltruhe, die das Heiligtum barg, vermutlich eingeschmolzen worden, berichtet die Archäologin. Im 19. Jahrhundert sei mit einem vergoldeten Reliquienkasten jedoch Ersatz geschaffen worden. Insgesamt ist der Schrein wohl nur fünf Mal geöffnet worden. Davon zeugen heute noch Siegel an der Holzlade, die nach jeder Öffnung angebracht wurden.

Die Holztruhe ist innen mit Seidenstoff ausgeschlagen. Das älteste Seiden-Fragment ist nur etwa daumennagelgroß. Es stammt aus dem 4. bis 5. Jahrhundert nach Christus. Weitere Seidengewebe aus dem 7. bis 10. Jahrhundert kommen hinzu. »Eines ist mit 274 mal 134 Zentimeter das größte erhaltene Seidengewebe aus dem Mittelalter«, berichtet Sabine Schrenk. Es weist ein kleinteiliges Rautenmuster auf. Überhaupt sind die Motive – Perlhühner, Kassettenmuster, Hähne und Herzchen – nicht gerade typisch für die Kirche. »Bis zum sechsten Jahrhundert war die Kunst der Seidenproduktion in Europa nicht bekannt«, berichtet die Archäologin. »Der Schwerpunkt lag damals in Zentralasien.«

Seide – so kostbar wie Gold

Das hatte zur Folge, dass Seide so kostbar wie Gold war und importiert werden musste. »Seidentücher waren damals ein begehrtes Repräsentations- und Prestigezeichen«, sagt die Archäologin. Die Motive spiegeln unterschiedlichste Geschmäcker und Bedürfnisse wider. Eines der Seidentücher verfügt sogar über eine nicht mehr vollständig lesbare hebräische Inschrift. Prof. Schrenk vermutet, dass sie von jüdischen Händlern zeugt, die das Tuch in den Westen gebracht haben.

Bei der Einordnung der Geschehnisse half die aufwändige Analyse der weiteren Beigaben. So wurden in der Holzlade Knöchelchen von nur wenige Zentimeter kleinen Feldmäusen gefunden, die die Wissenschaftler mit der Radiokarbonmethode untersuchten. Dabei zeigte sich, dass die Mäuse vor etwa 1030 bis 1060 Jahren in dem Schrein gestorben waren. »Vermutlich sind sie bei den Feierlichkeiten zur Einweihung mit Getreide-Garben in die Holzlade gekommen und dann verhungert«, sagt Schrenk. Das deckt sich zeitlich sehr gut mit einer Urkunde, die besagt, dass im Jahr 948 in St. Severin ein neues Heiligengrab angelegt wurde. Zu diesem muss die Holzlade gehört haben, denn überraschenderweise ergab eine Jahrringanalyse, dass das Holz der Lade exakt aus diesem Jahr stammt. »Das ist ein sehr seltener Fall, dass eine Schriftquelle mit Laboranalysen in Übereinstimmung gebracht werden kann«, sagt die Archäologin. Da die eingesperrten Mäuse in ihrer Not einige der Textilien angefressen haben, ist zu ermitteln, welche Gewebe 948 in die Lade gegeben wurden.

Sind es die Gebeine des Heiligen Severin?

Die in dem kunstvollen Schrein ruhenden Gebeine werden dem Heiligen Severin zugeschrieben, vermutlich dritter Bischof von Köln und ein Zeitgenosse des Sankt Martin. Auch diese Knochen wurden mit der Radiokarbonmethode datiert. Der Mann ist demnach in den Jahren zwischen 210 und 390 verstorben. Einer Legende zufolge soll Bischof Severin durch himmlische Gesänge vom Tode Sankt Martins erfahren haben; das wäre dann um das Jahr 396. „Führt man die Legende mit den Labordaten zusammen, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei den Knochen um die des Heiligen Severin handeln könnte“, sagt Schrenk. „Die Indizienlage ist jedoch nicht eindeutig.“

 

Veröffentlichung

Joachim Oepen, Bernd Päffgen, Sabine Schrenk, Ursula Tegtmeier (Hrsg.): Der hl. Severin von Köln. Verehrung und Legende. Befunde und Forschungen zur Schreinsöffnung von 1999. Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 40, Verlag Franz Schmitt, Siegburg, 2011, 602 S., 245 meist farbige Abb., 49 Euro, ISBN 978-3-87710-456-9

 

 

Seide
Kostbare Seide: Das Tuch mit Perlhuhnmuster stammt aus dem 7. oder 8. Jahrhundert. (c) Foto: Ulrike Reichert/Köln