Der Olymp: Von Göttern bevölkert, aber menschenleer

Das berühmte Bergmassiv war nach griechischer Mythologie von Göttern bevölkert, im wahren Leben aber laut Archäologen über Jahrtausende fast menschenleer. "So konnte der höchste Berg des Landes vom Altertum bis heute zur Projektionsfläche für ungewöhnlich viele menschliche Imaginationen und Aneignungen werden – religiös, politisch oder popkulturell", sagt der Archäologe Prof. Dr. Achim Lichtenberger vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Uni Münster.

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Der Olymp
Der Olymp (stefg74 from Larisa, Greece, Mytikas, CC BY 2.0)

"Die Kenntnis des geografischen Ortes und sein Platz in der Vorstellungswelt der Menschen klaffen nirgends so weit auseinander wie beim Olymp.", sagt Lichtenberger, der kürzlich ein gleichlautendes Buch zum Olymp veröffentlichte. In der Antike kaum betreten, wurde er selbst in der Neuzeit erst 1912 bestiegen. "Bis zur massentouristischen Erschließung bleibt der Olymp ein geografisch präsenter, aber weitgehend unbekannter Ort – ähnlich dem Hades, der Unterwelt, die allerdings keine realgeografische Entsprechung hat. So entstand eine Vorstellung, die schillernd changiert zwischen realem Berg und überweltlichem Göttersitz."

Die Bandbreite der Imaginationen und Aneignungen reicht von den religiösen Vorstellungen der olympischen Götter über politische Instrumentalisierungen durch die makedonischen Könige, die damit Anerkennung als Griechen suchten, bis zu touristischen Sehnsüchten heute. "Der Olymp als Sitz der Götter – Zeus, seiner Geschwister und göttlichen Kinder – ist in der Mythologie seit der Antike nahezu omnipräsent", führt der Forscher aus. "Die Idee des Göttersitzes wurde räumlich losgelöst und universell übertragbar. Sie findet sich schließlich im ganzen Mittelmeerraum. Der Olymp, dessen Wortbedeutung bis heute nicht genau geklärt ist, wird zum Schlüsselzeugnis griechischer Kulturgeschichte. Er steht für die griechische Religion, die einerseits höchst lokal ist, andererseits im größeren Bezugsrahmen des Pantheons steht." Die Faszination dauert an und macht auch vor alltäglicher Aneignung nicht Halt: Lichtenberger hat vielfältige Beispiele wie den "Olymp" genannten Kratzbaum für Katzen und die mobile Toilettenkabine gleichen Namens gefunden.

Eine andere Form der Aneignung stellt die politische Instrumentalisierung des Olymps dar: So bauten makedonische Könige die Stadt Dion – der Name bedeutet so viel wie Stadt des Zeus – in der Küstenebene von Pieria nordöstlich des Berges im 4./5. Jahrhundert vor Christus als heilige Stadt am Olymp aus. Zur "kulturellen Akzeptanzoffensive" gehörte auch das Ausrichten eigener olympischer Spiele, ergänzend zu denen in Olympia auf der Halbinsel Peloponnes. So wirkte König Archelaos I. der fehlenden Anerkennung der Makedonen als Griechen entgegen. Philipp II. setzte diese Bestrebungen durch Zeusdarstellungen in der Münzprägung fort. Schließlich wird der berühmte Tragödiendichter Euripides an den makedonischen Hof nach Pella geholt – und bezieht sich prompt in seinen literarischen Werken häufig auf den Olymp, im Unterschied zu den beiden anderen großen griechischen Dichtern Aischylos und Sophokles. "Mit diesem Kulturprogramm versuchten die makedonischen Könige, den makedonisch-thessalischen Olymp auf die Karte panhellenischer Sakraltopographie zurückzuholen", so Lichtenberger. "Durch diese Vereinnahmung wird die Zugehörigkeit der makedonischen zur griechischen Kultur gezeigt, gleichzeitig geht damit eine Abgrenzung von anderen Nicht-Griechen einher." In der realen Geografie hingegen beendeten die Römer die makedonische Herrschaft im Jahr 168 vor Christus am Olymp-Massiv.

Literarische Zeugnisse, allen voran die "Illias" des Homer, behandeln den Götterwohnsitz der religiösen Mythologie. Auch in Bildzeugnissen dominiert der überirdische Ort, eine Visualisierung der Topografie findet sich kaum. Die Region war gleichzeitig stets von strategischer Bedeutung und Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Schon in der Antike bildete sich die zweifache Rezeption als mythologischer und tatsächlicher Ort und dessen Erschließung durch den Menschen heraus. Dieses Prinzip wird später im Christentum aufgegriffen: Jerusalem ist zunächst eine reale Stadt in Palästina und Ort des Heilsgeschehens. In der Johannesapokalypse wird außerdem ein neues, himmlisches Jerusalem angekündigt, das zum Ende der Zeiten aus dem Himmel herabsteigen werde. Diese Dualität schlägt sich auch in realen Übertragungen Jerusalems nieder: Im europäischen Mittelalter werden vielerorts Nachbauten des Heiligen Grabes Jesu errichtet, auch in der Architektur und Stadtplanung zeigen sich topografische Anklänge an Jerusalem. "Wir finden hier vergleichbar zu der Vorstellung vom Olymp denselben Dreischnitt von irdisch zu himmlisch zu potentiell überall."