Neue Hominidenart in Südafrika entdeckt

Ein internationales Team mit Forschern aus der Schweiz, Südafrika, Australien und den USA schreibt an der Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Die Forschenden haben in Südafrika eine neue Hominidenart entdeckt.

Schädelrekonstruktion (im Hintergrund) und Originalschädel von MH1 (© Uni Zürich)
Schädelrekonstruktion (im Hintergrund) und Originalschädel von MH1 (© Uni Zürich)

Die Fossilien zeigen Merkmale sowohl der Gattung Australopithecus als auch der Gattung Homo. Die neue Hominidenart Australopithecus sediba könnte deshalb auch eine Ahnenform des Homo sein. Die bisher unbekannte Übergangsform, die in der neuesten Ausgabe von Science vorgestellt wird, liefert neue Erkenntnisse für den Stammbaum des Menschen.

Am 15. August 2008 fand Matthew Berger, der kleine Sohn des Paläoanthropologen Lee Berger, in einer kleinen Höhle innerhalb des UNESCO Weltnaturerbes "Cradle of Humankind" in Südafrika das Fragment eines menschenartigen Schlüsselbeins. Als erstes Grabungsteam konnte die Swiss Fieldschool des Anthropologischen Instituts der Universität Zürich unter der Leitung von Peter Schmid die neue Fundstelle Malapa nördlich von Johannesburg bearbeiten. Das Zürcher Grabungsteam hat inzwischen mehr als 180 Elemente von mindestens vier Individuen eines bisher unbekannten, möglichen Vorfahren des Menschen gefunden.

Das Höhlennetzwerk "Cradle of Humankind" hat eine Ausdehnung von 100 mal 500 Metern. Einige der Hohlräume sind 25 bis 30 Meter tief. Die Eingänge entstanden entlang von senkrechten Rissen im Fels. Die Forscher vermuten, dass diese Eingänge zu Todesfallen für Lebewesen an der Oberfläche wurden: Tiere und Menschen könnten ihrem Instinkt auf der Suche nach Wasser gefolgt und in die senkrechten Schächte gefallen sein. Heftige Gewitter haben möglicherweise zur Überflutung des Höhlensystems geführt und die gefangenen Lebewesen verschüttet. Deshalb befinden sich die fossilienhaltigen Sedimente meist als Schlammkegel in der Nähe von Höhleneingängen.

Eine Probe der Sinterschicht des Fundortes wurde mit der Uran-Blei-Methode im Labor von Prof. Jan Kramers vom Institut für Geologie der Universität Bern datiert und weist das Alter von 2.026 ±0.021 Millionen Jahren auf. Somit können die Fossilien, welche in der darüberliegenden Schicht gefunden wurden, nicht älter sein. Ein Schlammstrom begrub die Fossilien in der Höhle. Aufgrund paläomagnetischer Daten hat diese Schicht ein Alter von 1.95 bis 1.78 Millionen Jahren. Das jüngste zuverlässig datierte Fossil eines Australopithecus africanus ist der als "Mrs Ples" bekannte, zwei Millionen Jahre alte Schädel aus der Sterkfontein-Fossillagerstätte. Der Homo habilis hat gemäss Datierungen in Ostafrika vor 1.9 bis 1.6 Millionen Jahren gelebt.

Peter Schmid und seine Forscherkollegen der University of the Witwatersrand, der Texas A&M University, der Duke University und der James Cook University haben jetzt in der neuesten Ausgabe von "Science" zwei Typen beschrieben. Das jugendliche Individuum besteht aus einem Schädelfragment, einem Unterkieferfragment, sowie einem Teilskelett. Das erwachsene Individuum umfasst Einzelzähne, Unterkieferfragmente und ein Teilskelett. "Diese Skelette sind besser erhalten und vollständiger als diejenigen der bekannten Lucy" stellt Peter Schmid vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich fest.

Australopithecus sediba

"Die Fossilien sind zwischen 1,78 und 1,95 Millionen Jahre alt", so Peter Schmid weiter. Die Funde passen zu keiner bisher bekannten Hominidenart - sie bilden deshalb einen neuen Meilenstein in der Geschichte der Menschheit. Aufgrund des Alters und der Morphologie ordnen die Forscher die neue Hominidenart vorsichtigerweise der Gattung Australopithecus zu. Sie gaben ihr den Namen Australopithecus sediba, was in der seSotho-Sprache "Brunnen" oder "Quelle" bedeutet. Die Australopithecinen umfassen verschiedene Arten wie beispielsweise den Australopithecus africanus, den Australopithecus afarensis oder den Australopithecus garhi. Sie sind vor gut 4 Millionen Jahren aufgetaucht und vor circa 1,4 bis 1,5 Millionen Jahren ausgestorben. Sie kommen nur auf dem afrikanischen Kontinent vor und aus ihnen entwickelte sich die Gattung Homo und damit der Homo sapiens.

Wie Peter Schmid und seine Kollegen in Science schreiben, besitzt die neue Hominidenart einen relativ kleinen Schädel - ein typisches Merkmal des Australopithecus. Die Schädelkapazität umfasst nur 420 Kubikzentimeter und ist deutlich kleiner als beim Australopithecus africanus mit durchschnittlich 480 Kubikzentimetern.

Der Gesichtsumriss unterscheidet sich hingegen vom Australopithecus africanus durch weniger ausgedehnte Jochbeine und eine schräg nach unten verlaufende Kontur des Oberkiefers. Der Unterkiefer lässt ein stark fliehendes Kinn vermissen und der Eckzahn ist eher schmal und klein. Der Schultergürtel entspricht wiederum dem typischen Australopithecus-Muster: Das Gelenk des Schulterblatts ist deutlich nach oben gerichtet und die Achselkante ist sehr kräftig. Die Gelenksenden des Oberarms sind massiv. Die Unterarmknochen sind affenähnlich lang. Die Fingerknochen sind robust, gebogen und besitzen starke Ansatzstellen für die Sehnen der Beugemuskeln, was auf kräftige Kletterhände deutet.

Zahlreiche Merkmale des Oberschenkels, des Kniegelenks und des Sprunggelenks lassen vermuten, dass Australopithecus sediba sich ähnlich bewegte wie die übrigen Australopithecinen. Das Sprunggelenk und das Fersenbein sind so geformt, dass der Fuss vermehrt nach innen gedreht werden konnte, was für das Klettern von Vorteil ist. Der Hominide konnte aber auch aufrecht am Boden auf zwei Beinen gehen. Die Beinknochen scheinen allerdings länger zu sein als bei den Australopithecinen.

Eine Übergangsform

"Der gesamte Körperbau entspricht demjenigen eines Menschenartigen der australopithecinen Anpassungsstufe", erklärt Peter Schmid. Er nimmt an, dass der Australopithecus sediba ein Nachfahre des Australopithecus africanus ist. Einige Eigenheiten des Bewegungsapparates lassen hingegen den Schluss zu, dass diese neue Art mehr spezielle Züge der früheren Vertreter der Gattung Homo aufweist als alle anderen Australopithecus-Arten. So entspricht das Becken viel eher demjenigen des Homo. Zudem zeigt der Malapa-Schädel einige Ähnlichkeiten mit dem Homo erectus.

Bis heute fehlt eine gesicherte Verbindung zwischen den Gattungen Australopithecus und Homo. "Unsere Hominidenart könnte eine Ahnenform der Gattung Homo sein", sagt Peter Schmid. Möglich ist ebenfalls, dass er ein enger Verwandter einer solchen Ahnenform ist, die noch einige Zeit neben den ersten Vertretern der Gattung Homo existierte. Die Skelette aus Malapa zeigen auf jeden Fall eine Übergangsform eines Hominiden, der klein gewachsen ist und mehr in den Bäumen lebt, zu einem möglicherweise am Boden lebenden Zweibeiner, wie zum Beispiel dem Homo erectus. "Die neue Hominidenform erfordert eine Neudefinition der Gattung Homo und die Lehrbücher müssen neu geschrieben werden", erklärt Peter Schmid.

 

Originalbeitrag

Lee R. Berger, Darryl J. de Ruiter, Steven E. Churchill, Peter Schmid, Kristian J. Carlson, Paul H.G.M. Dirks und Job M. Kibii: Australopithecus sediba: A New Species of Homo-like Australopith from South Africa, in: Science, 9. April 2010, Vol 327, issue 5974

Schädel und Kiefer der beiden Individuen (a-c = Schädel von MH1; d,f = Unterkiefer von MH1; h = Oberkieferzähne von MH1; e, g = Unterkiefer von MH2) (© Uni Zürich)
Schädel und Kiefer der beiden Individuen (a-c = Schädel von MH1; d,f = Unterkiefer von MH1; h = Oberkieferzähne von MH1; e, g = Unterkiefer von MH2) (© Uni Zürich)
Die beiden Teilskelette (MH1 und MH2) der neuen Hominidenart (© Uni Zürich)
Die beiden Teilskelette (MH1 und MH2) der neuen Hominidenart (© Uni Zürich)
Einordnung des Australopithecus sediba in die Entwicklungsgeschichte der Hominiden (© Uni Zürich)
Einordnung des Australopithecus sediba in die Entwicklungsgeschichte der Hominiden (© Uni Zürich)
Blog-Beiträge durchblättern
Mit unserem kostenlosen Newsletter können Sie sich regelmäßig alle aktuellen Infos von Archäologie Online bequem in Ihr Postfach senden lassen.