Germanischer Hinterhaltswall oder römisches Marschlager?

Archäologie-Team gräbt im Museumspark Kalkriese

Die bei ersten Ausgrabungen am vermutlichen Ort der Varus-Schlacht freigelegten Überreste von Wallanlagen wurden den Germanen zugeschrieben. Die bei jüngeren archäologischen Untersuchungen angetroffenen Befunde deuten jedoch darauf hin, dass es sich auch um die Reste eines römischen Marschlagers handeln könnte.

Grabungsbefund Kalkriese
Machen sich vor Ort ein Bild: Davon Meyer, MBN, Landrätin Anna Kebschull, im Gespräch mit Museumspark-Geschäftsführer Dr. Stefan Burmeister. Foto: Hermann Pentermann.

Die diesjährige Kampagne im süd-westlichen Teils des Museumsparks versucht eine der zentralen Fragestellungen dieses Ortes zu klären: Germanischer Hinterhaltswall oder römisches Marschlager? Als 1989 die archäologischen Grabungen auf dem Oberesch begannen, entdeckte man die Reste eines Walles. Seine geschwungene Form passte nicht in das bekannte Bild einer römischen Lagerbefestigung, weswegen man die Germanen als Bauherren vermutete. Die Deutung schien naheliegend: Wohlwissend, dass die römischen Truppen an dieser Engstelle vorbeiziehen mussten, legten die Germanen hier einen Hinterhalt; der Wall sollte ihnen als Versteck und Schutz dienen. Im Laufe der Jahre kamen an anderen Stellen im Park weitere Annäherungshindernisse wie Wälle und Gräben zu Tage. Es waren immer nur kurze Abschnitte, aber die zum Teil auffälligen V-Gräben lassen wieder an ein römisches Lager denken. Befand sich hier auf dem Oberesch also doch ein römisches Marschlager, das von den Germanen eingenommen wurde? Die These des Germanenwalls als Hinterhalt steht jedenfalls in Frage. »Wir graben hier an einer Schlüsselstelle, um diese Frage hoffentlich abschließend klären zu können. Von daher bin ich sehr gespannt die neuen Grabungsergebnisse und die neuen Erkenntnisse, die wir daraus für unseren Fundplatz ziehen werden«, so der Geschäftsführer Stefan Burmeister.

Der bereits in früheren Grabungen beobachtete V-Graben kann auch in der diesjährigen Grabung erneut erfasst werden. Doch während man bei den früheren Abschnitten noch davon ausgehen konnte, dass sie an den so genannten Germanenwall anschlossen und damit Teil des inszenierten germanischen Hinterhalts waren, ist dies inzwischen durch die neuen Befunde auszuschließen. Dadurch erhält die bisherige Hypothese des römischen Lagers eine weitere Bestätigung. Wir sehen nun, dass das Lager unsere bisherigen Größenvorstellungen übersteigt und möglicherweise weit über das bislang untersuchte Areal hinausgeht. »Dieser archäologische Ort ist immer wieder für Überraschungen gut. Statt eindeutigen Antworten tauchen mit jeder Grabung neben neuen Erkenntnissen und Sensationen auch immer wieder neue Fragestellungen auf. Deshalb ist es wichtig, die Archäologie hier am Ort weiter zu stärken. Die Forschungen können nur im Verbund, gemeinsam mit starken Partnern erfolgreich sein. Die wissenschaftlichen Arbeiten erfolgen in Kooperation mit der Universität Osnabrück. Und auch das Land Niedersachsen fördert die Forschungsabteilung hier in Kalkriese. Es ist mir aber ein besonderes Anliegen zu betonen, dass sich auch der Landkreis Osnabrück gemeinsam mit der Stiftung der Sparkassen im Landkreis Osnabrück der Verantwortung für eine starke Archäologie in Kalkriese stellt«, so Landrätin Anna Kebschull Landkreis Osnabrück. »Als mittelständisches Bauunternehmen aus der Region sehen wir es als gesellschaftliches Selbstverständnis, einen Beitrag zu einem attraktiven Umfeld zu leisten. Wir freuen uns, dem Grabungsteam von Museum und Park Kalkriese mit MBN-Baucontainern einen Rückzugsort zum Krafttanken stellen zu können«, freut sich Pressesprecher David Meyer, MBN. 

Eine Reihe von römischen Funden haben die Archäologen bei den diesjährigen Ausgrabungen entdeckt. Darunter ein Pferdegeschirranhänger. Dazu passen mehrere Equidenzähne und der Unterkiefer eines Equiden (Pferd oder Maultier), die im weiter Umfeld dieses Objektes lagen. Schon in den 1990er Jahren haben Forschende in der Nähe der diesjährigen Grabung ein komplettes Maultierskelett freigelegt. Außerdem haben die Archäologinnen und Archäologen einen Dolch gefunden. Das Objekt ist fragil, wenngleich es insgesamt gut erhalten ist. Von dem Dolch werden Röntgenbilder angefertigt, um weitere Details sichtbar zu machen. Besonders schön anzusehen sind eine Aucissafibel und eine halbe Glasperle. Wie auch bei anderen Grabungen in Kalkriese üblich sind viele Fragmente von römischen Funden aller Art ans Tageslicht gekommen. Hier werden in den nächsten Wochen Röntgenaufnahmen erstellt, um zu klären, was sich unter dem Rost verbirgt. 

Die Grabungen erfolgen in Kooperation mit der Universität Osnabrück. Die Grabung wird ermöglicht durch eine Förderung der Stiftung der Sparkasse Osnabrück. Die Varus-Gesellschaft, MBN GmbH und Boels/Rental unterstützen die diesjährige Grabung. Das Land Niedersachsen und der Landkreis Osnabrück fördern im Rahmen einer Grundfinanzierung die Archäologie in Kalkriese. 

Stippvisite auf der Ausgrabung und Forum Kalkriese

Für alle Interessierten, die einem echten Archäologen über die Schulter schauen möchten, bietet das Varusschlacht-Museum am 6. Oktober 2021, 15:00 Uhr, noch eine »Stippvisite auf der Grabung« an. Hier haben Besucher:innen die Gelegenheit, mit dem Kalkrieser Archäologie-Team ins Gespräch zu kommen und die vielfältige Arbeit bei der Erforschung des antiken Schlachtfelds hautnah kennenzulernen. Auch beim anstehenden Forum Kalkriese am 2. und 3. Oktober 2021 kann die Grabung besichtigt werden. Außerdem schlagen im Park Reenactment-Darsteller ihre Zelte auf, Mitmachprogramme für Kinder werden angeboten und viele Führungen führen in das Leben von Römern und Germanen vor 2000 Jahren. Weitere Informationen unter www.kalkriese-varusschlacht.de.

Aucissafibel und römischer Pferdegeschirranhänger
Erste Funde von der aktuellen Grabung, darunter eine Pferdegeschirranhänger und eine Aucissafibel. Foto: Hermann Pentermann
römischer Dolch aus Kalkriese
Herausragender Fund der aktuellen Grabung ist ein römischer Dolch. Foto: Jule Materlik
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