Vom Schiff sind noch Holzbalken und große Teile der Ladung übrig. Sie sind von Muscheln überzogen, müssen schon seit Jahrhunderten im trüben Wasser der Trave liegen. »Die unabhängige Altersbestimmung der Schiffshölzer in drei verschieden Laboren ergab, dass das Schiff in der Mitte des 17. Jahrhunderts gebaut sein worden muss«, sagt Dr. Fritz Jürgens vom Institut für Ur- und Frühgeschichte (UFG) der CAU. »Auf einen solchen Fund hofft man immer und plötzlich liegt er vor einem. Das ist wirklich einmalig – auch für mich persönlich«, so Jürgens weiter. Der Archäologe hatte das Wrack zusammen mit seinem Team und dem Forschungstauchzentrum der Universität untersucht. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hansestadt Lübeck und der Georg-August-Universität Göttingen tauchten mit ihm zu den Überresten des Schiffes.
Frachtsegler gilt als Arbeitspferd des Ostseehandels
Auf Grundlage der Fotos und Videos erstellten die Forschenden 3D-Modelle, mit denen sie die ursprüngliche Länge des Schiffes auf 20-25 Meter bestimmen konnten. Das Schiff war flachbodig und kraweelbeplankt und trug mindestens anderthalb Masten. Die Maße und der erkennbare Aufbau des frühneuzeitlichen Schiffswracks lassen den Schluss zu, dass es sich nach ersten Hinweisen um den Schiffstyp Galliot oder Fleute handeln könnte. Es handelte sich somit um einen Frachtsegler mittlerer Größe, das Arbeitspferd des Ostseehandels. »Für den westlichen Ostseeraum ist dieser Fund außergewöhnlich«, sagt Dr. Fritz Jürgens. Zwar sind im östlichen Ostseeraum Wrackfunde aus unterschiedlichen Jahrhunderten durchaus bekannt, für die westliche Ostsee bedeutet diese Entdeckung jedoch ein Novum. »Der Fund des Wracks und seiner Ladung wird ganz neue Aspekte für die Forschung als auch die Bedeutung der Hansestadt Lübeck über den gesamten Ostseeraum hinweg beinhalten«, sind sich die Lübecker Archäolog:innen, Dr. Manfred Schneider, Dr. Dirk Rieger und Dr. Ingrid Sudhoff, sicher.
Diese Einstellung teilen auch die Wissenschaftler der CAU. »Ein archäologisches Juwel, dessen Bedeutung man bislang schemenhaft erahnt und dessen Bergung uns faszinierende Einblicke in die Geschichte der Seefahrt und des Seehandels gewährt«, beurteilt Professor Dr. Ulrich Müller den Fund. »So ein gut erhaltenes Wrack betauchen und erforschen zu dürfen, ist schon wirklich einmalig. Von so einer Gelegenheit träumt man als Unterwasserarchäologe«, schwärmt Dr. Fritz Jürgens.Die Ladung konnte das Institut für Geowissenschaften der CAU als Kalk bestimmen. Offenbar transportierte das Schiff Brandkalk, ein begehrtes Baumaterial in der damaligen Zeit. »Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hat man Kalkstein abgebaut, gebrannt und abgelöscht. Daraus wurde Mörtel hergestellt«, sagt Jürgens.
Bauteile aus schleswig-holsteinischer Eiche und schwedischer Kiefer belegen einen weitreichenden frühneuzeitlichen Holzhandel. Erste Proben ergaben, dass zumindest ein Teil der Fässer mit Branntkalk, einem wichtigen Baustoff, gefüllt ist. Dies stellt zugleich den ältesten archäologischen Beleg über den Handel mit Branntkalk dar, der auch historisch nur fragmentarisch überliefert ist und somit einen wertvollen Beitrag zum frühneuzeitlichen Baustoffhandel liefert. Nach ersten Erkenntnissen muss das Schiff auf dem Weg von Skandinavien nach Lübeck gewesen sein, wo es allerdings nie ankam.
Havarie wahrscheinlich Schuld am Untergang
Doch wie konnte ein Schiff mittig der Trave bei einer Wassertiefe von zehn Metern und mehr versinken? Da alle Fässer sich noch geordnet im Laderaum befinden, kann eine Kenterung oder eine deutliche Schlagseite ausgeschlossen werden. Da keine Brandspuren vorhanden sind, kann auch ein mögliches Feuer nicht die Ursache gewesen sein. Sollten sich allerdings Ballaststeine im Rumpf des Schiffes finden, könnte dies ein Hinweis sein, dass das Schiff havariert ist.
Denn dann erschiene folgender Untergangshergang äußerst plausibel: Die Ladung an Bord und die Ausrichtung des Schiffes zeigen an, dass es sich auf der Fahrt nach Lübeck befand und so die Trave aufwärts fuhr. An der Fundstelle ist hierbei ein Kurswechsel von Süd nach Südwest notwendig. Die Tiefenkartierung aus der aktuellen Seekarte zeigt, dass die Wassertiefe an dieser Stelle, welche sich in einer Außenkurve befindet, rapide von acht auf unter drei Meter abnimmt. Diese Untiefe reicht bis fast in die Flussmitte hinein und stellt so eine deutliche Gefahr für die Schifffahrt da. Sollten die Verhältnisse im 17. Jahrhundert vergleichbar gewesen sein, könnte sich der Unfallhergang folgendermaßen zugetragen haben: Das Schiff fährt die Trave von Travemünde in Richtung Lübeck aufwärts, schafft den Kurswechsel nicht rechtzeitig und läuft auf die Untiefe auf. Aufgrund des stark ausgeprägten Abbruchs an dieser Stelle, kann diese Strandung recht abrupt ausgefallen sein und durch die schwere Ladung im Schiff deutlichen Schaden an diesem hinterlassen haben. Nach der Strandung kommt das Schiff wieder frei, sinkt jedoch durch die entstandenen Leckagen wenig später. Die Zeit reicht nicht, um das Schiff an das sichere Ufer zu lenken.
Voigt von Travemünde bittet um Sicherung der Ladung
Eine mögliche passende Geschichte findet sich dazu im Archiv der Hansestadt Lübeck: In einem Brief wendet sich der Voigt von Travemünde im Dezember 1680 an einen unbekannten Empfänger und bittet ihn, dass Anstalten gemacht werden, um die Güter auf einer gestrandeten Galliot in Sicherheit zu bringen. Die Erwähnung im Brief könnte einen unmittelbaren Bezug zum Wrack herstellen, da sich auch die derzeitige dendrochronologische Datierung (um/nach 1650) des Wracks auf diesen Zeitraum bezieht. Ob die erwähnte Strandung des Wracks aber tatsächlich in Zusammenhang gebracht werden kann, lässt sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht eindeutig sagen. Es scheint jedoch durchaus möglich, dass das Schiff an der Biegung auf Grund gelaufen ist und sich kurz darauf, oder nach Abbergung eines Teils der Ladung wieder losgerissen hat und daraufhin in der Trave gesunken ist.
Bergung, Konservierung und öffentliche Präsentation geplant
Seitens der Fachleute wird das Wrack mit der zum Großteil noch erhaltenen Ladung als einmaliger und herausragender Fund für die Historie und Archäologie der westlichen Ostsee eingestuft. Der Schutz und der Erhalt werden deshalb dringend empfohlen. Allerdings ist das Wrack massiv durch die Strömung und die Schiffsbohrmuscheln gefährdet. Nach Aussage der Taucher ist die Strömung an dieser Stelle sehr dynamisch, sodass eine große Gefahr besteht, dass Teile freigespült werden. Bei weiteren Freispülungen kann das Wrack zu einer Gefahrenquelle in der Schifffahrtsrinne der Trave werden. Auch deshalb ist eine Bergung erforderlich.
Aktuell wird ein Bergungskonzept erstellt. Bei der Bergung sind neben der notwendigen Sorgfalt aufgrund des einmaligen Kulturdenkmales auch die Belange der Schifffahrt zu berücksichtigen, damit der Frachtverkehr mit möglichst wenig Einschränkungen während der Bergungszeit fortgeführt werden kann. Aufgrund des Lageortes des Wracks hat die Bergung keinen Einfluss auf den Fracht- und Fährverkehr am Skandinavienkai. Die Bergung wird voraussichtlich mehrere Monate andauern. Details wird das Bergungskonzept ergeben.
Ziel der Archäologinnen und Archäologen der Oberen Denkmalschutzbehörde der Hansestadt Lübeck ist es deshalb, dieses einmalige Kulturdenkmal bestmöglich und dauerhaft zu bewahren. Aufgrund der besonderen Umstände zur Lage und Gefährdungssituation ist ein Erhalt an Ort und Stelle ausgeschlossen. In Kooperation mit der Universität Kiel ist es demnach zielführend, das Wrack schnellstmöglich zu bergen und zu konservieren, um es dann als ein Teil der Geschichte der Hanse zu bewahren und für die Zukunft in seiner gesamten Authentizität zu erhalten. Die Dauer der Konservierung wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
Informationen zum Hanseschiff sowie zum weiteren Verlauf der Untersuchungen werden veröffentlicht unter www.luebeck.de/hanseschiff
13 Tauchgänge mit 464 Minuten
Im Februar 2020 hatte des WSA die Fahrrinne der Trave routinemäßig untersucht und dabei eine Anomalie in der Fächerlotpeilung festgestellt. Anschließend kontrollierten Taucher im August 2021 die Stelle, um eine mögliche Gefahr für die Schifffahrt auszuschließen. Dabei entdeckten sie erste Hinweise auf ein Wrack und informierten die Obere Denkmalschutzbehörde der Hansestadt Lübeck. Diese beauftragte das Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU, das Wrack weiter zu untersuchen. Im November 2021 begannen die Forschenden mit Unterstützung des Forschungstauchzentrums und der Lübeck Port Authority (LPA) ihre Arbeit. Einen Monat später bekamen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Unterstützung von Forschungstaucher Christian Howe, der ein erfahrender Unterwasserfotograf und -kameramann ist. 13 Tauchgänge mit insgesamt 464 Minuten lieferten den Archäologinnen und Archäologen ausreichend Material für ein erstes umfangreiches Gutachten.