»Ellwangen rückt in den Fokus der Mittelalterarchäologie«

Bei Ausgrabungsarbeiten am Marktplatz in Ellwangen legten Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg die Überreste eines sog. Westbaus frei, der sich vom 8. - 10. Jahrhundert an die Westfassade der ehemaligen Klosterkirche anschloss. Aus dieser frühen Zeit sind bisher wenige solcher Anbauten bekannt.

Seit März 2013 sind Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart mit einer Grabung im Bereich des Ellwanger Marktplatzes beschäftigt. Grabungsleiterin Dr. Susanne Arnold berichtet von der Bedeutung der bisherigen Funde: »Nicht nur die Apsis an der Westseite der St. Vitus-Basilika ist ein besonderes historisches Zeugnis für die Geschichte des Klosters in Ellwangen.« Dass die Archäologen die Apsis freilegen können, war aufgrund älterer Grabungen zu erwarten. »Viel seltener und daher auch bemerkenswerter sind die Mauerzüge beziehungsweise deren Reste, die sich westlich der ehemaligen Klosterkirche abzeichnen«, so Arnold. So erhob sich dort etwa vom 8. bis zum 10. Jahrhundert ein sogenannter Westbau, der sich an die ursprüngliche Westfassade der Klosterkirche anschloss. Der Bau konnte durch die aktuelle Grabungen auf einer Länge von 40 Metern nachgewiesen werden. »Dieser Befund rückt Ellwangen in den Fokus der Mittelalterarchäologieforschung«, so Dr. Arnold, Expertin für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit im Regierungsbezirk Stuttgart.

Westbauten waren in früh- bis hochmittelalterlichen Klosterkirchen vielräumige und mehrgeschossige Gebäudeteile, die zuerst in Frankreich in der Kirche St. Denis (nahe von Paris, um 780 nach Christus) und im Kloster Centula (St. Riquier, um 800 nach Christus) nachgewiesen sind. Sie dienten als Begräbnisplatz für hochrangige geistliche oder auch weltliche Herrscher. König Pippin hat sich in St. Denis im Westbau begraben lassen. Die Bauten wurden außerdem im Rahmen von Prozessionen und Chorgebeten genutzt und beherbergten im ersten Obergeschoss in der Regel eine Kapelle.

»Ellwangen kann sich dieses Fundes durchaus rühmen, da wenige solcher Anbauten an Klosterkirchen aus dieser frühen Zeit bekannt sind«, so Dr. Susanne Arnold. Der einzige noch stehende Westbau ist im Kloster Corvey erhalten und datiert in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts. Ein weiterer Westbau aus dem ersten Jahrtausend ist im Kloster von Paderborn archäologisch nachgewiesen worden.

»Für Ellwangen ist sicher, dass sich hier im Früh- oder Hochmittelalter ein differenziertes Gebäude oder Gebäudeensemble erhob, das das ehemalige Benediktinerkloster in Ellwangen aus der Masse der Klosterkirchen heraushebt und in den Kreis herausragender Kirchenbauten einreiht«, berichtet die Expertin des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart. »Diese aufsehenerregenden Ellwanger Befunde, die durch die geplanten Sanierungsmaßnahme auf dem Ellwanger Marktplatz unwiederbringlich zerstört werden, müssen zuvor mit entsprechender Sorgfalt freigelegt und von uns wissenschaftlich dokumentiert werden. So gehen der Forschung keine Erkenntnisse verloren.« Die Fundsituation und die Bedeutung der historischen Zeugnisse haben zur Folge, dass der Grabungsablauf etwas mehr Zeit beansprucht, als zunächst vorgesehen.

Um die Verzögerungen so gering als möglich zu halten und um die von der Stadt Ellwangen projektierte Einweihung des Marktplatzes am 20. September 2015 möglich zu machen, hat sich das Landesamt für Denkmalpflege entschlossen, im Bereich der Peter- und Paul-Kapelle eine Wintergrabung durchzuführen. Hierfür wird von voraussichtlich 7. Januar bis Mitte März 2015 ein beheizbares Zelt aufgebaut. Das Team des Landesamts für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart wird in den Wintermonaten die hier noch verborgenen Befunde freilegen und dokumentieren. Mit dieser Grabung unter erschwerten Bedingungen kommt das Landesamt für Denkmalpflege der Stadt und ihrer Planung zur Marktplatz-Einweihung soweit als möglich entgegen.

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