Die Gewinnung von "Antimonium Crudum" bei Sulzburg im Südschwarzwald im Spätmittelalter und in der Neuzeit

Prozessrekonstruktion nach archäologischen Befunden und historischen Überlieferungen - mit Verhüttungsexperiment

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Experimentelle ArchäologieTechnologie

1. Zur Geschichte von Antimon und Antimonverbindungen (1, 2, 3)

Antike

Antimon und Antimonverbindungen waren bereits im 4. Jt. v. Chr. in Gebrauch. Die frühe Fähigkeit des Menschen, metallisches Antimon aus seinen Erzen über pyrometallurgische Verfahren zu reduzieren, wird durch archäologische Fundobjekte bezeugt, wie z.B. die Fragmente eines Gefäßes aus fast reinem Antimon aus den Ruinen von Tello in Südbabylonien (4. Jt. v. Chr.) oder den "Antimonnapf von Lagash" aus Sumer (um 2000 v. Chr.). Aufgrund seiner härtenden Wirkung ist Antimon ein wichtiges Legierungsmetall, das schon in frühen Bronzen auftritt.

Antimonverbindungen dienten seit dem 2. Jt. v. Chr. zur Färbung von Gläsern und Glasuren sowie bei den Römern zur Herstellung von Spiegeln. Antimonsulfid wurde sowohl bei den Ägyptern als auch bei den mesopotamischen Hochkulturen der Sumerer und Akkader in Pulverform als Kosmetikum (Augenschminke) und als Heilmittel eingesetzt. Über die Herstellung und Wirkung von Medikamenten aus Antimonsulfid berichtet Plinius Secundus in seiner Naturalis Historiae (4):

... Der Stein (= Antimonsulfid) hat eine zusammenziehende und kühlende Wirkung, besonders rings um die Augen; deshalb haben ihn auch sehr viele "Augenerweiterer" genannt, weil er in den Augenschminken der Frauen die Augen erweitern soll; das feine Pulver von ihm samt dem Weihrauch hemmt mit beigemischtem Gummi auch Flüsse und Geschwüre der Augen. Er stillt auch das aus dem Gehirn fließende Blut und ist ferner sehr wirksam gegen frische Wunden und gegen alte Hundebisse, wenn man ihn als Pulver aufstreut, und gegen Verbrennungen durch Feuer, gemischt mit Fett, Silberglätte, Bleiweiß und Wachs ...

Mittelalter und frühe Neuzeit

Seit dem ausgehenden Mittelalter beschäftigten sich Alchemisten, Probierer und Hüttenleute mit dem vielseitig einsetzbaren Antimon bzw. mit seinen Verbindungen. Ausgangsstoff für die meisten Anwendungen war das aus dem Erzmineral Antimonit erschmolzene "Antimonium Crudum" (auch "Spießglas" genannt). Im frühneuzeitlichen Hüttenwesen wurde dieses erfolgreich bei der Scheidung von Gold und Silber eingesetzt (5). Nach der Erfindung der Buchdruckerkunst (um 1440) erlangte Antimon als härtender Legierungsbestandteil des Letternbleis Bedeutung. Besonders groß war ab dem 16. Jh. auch das Interesse der Medizin an Antimonpräparaten. Paracelsus (1493 - 1541) führte die innere Anwendung von Antimonpräparaten ein (2); der Grundgedanke seiner Antimontherapie geht auf die Erfahrungen bei der Verwendung des Spießglases zur Läuterung des Goldes zurück:

... Wenn das Antimon dieses am Golde tut, was ist dann seine Kraft im Menschen? Der antimonium reinigt allein das Gold, die anderen Metalle verzehrt er ganz, oder, wie das Silber, teilweise. Der Mensch ist aber wie das Gold; darum reinigt er allein den Menschen und das Gold zu ihrer beiden höchsten Gesundheit. Der antimonium reinigt den Körper nicht nur, er bewahrt ihn ferner vor Fäulnis, er präserviert, restauriert und regeneriert ihn auch, und zwar erneuert er in gleicher Weise Menschen, Tiere, Pflanzen und Metalle. Die Kräfte des Alterns, die "corruption", die neben den Kräften des Wachstums von Anfang an im menschlichen Körper wirken, überwuchern im Alter und ersticken das Wachstum. Der antimonium vernichtet diese "corruption" und scheidet sie aus. Die Kräfte der Jugend gewinnen ihre Wirksamkeit wieder, und der Mensch wird verjüngt. Die Tugenden des Antimons sind so übergroß und zahlreich, daß niemand sie restlos erforschen kann. Jeder Arzt soll im antimonium sein leben lang suchen, seine Mühe wird gewiß reichlich belohnt werden ...

Über das Erzmineral Antimonit sowie über die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten für die aus diesem gewonnenen Produkte schreibt Biringuccio im Jahre 1540 in seiner Pirotechnia (6):

... Der Spießglanz (= Antimonit) ist meiner Meinung nach eine Verbindung, die von der Natur gemacht ist, um ein Metall zu erschaffen, die aber einen unzulässigen Überschuß an heißem und trockenem Stoff enthält, der mit der Feuchtigkeit schlecht gemischt ist, ein Mangel, welcher der Bildung der Metalle gerade entgegenwirkt. Deshalb ist der Spießglanz, gerade wie das Quecksilber, eine mineralische Mißgeburt und ein Monstrum unter den Metallen ..... Die experimentierenden Gelehrten benutzen den Spießglanz bei ihren alchemistischen Arbeiten viel. Sie wollen damit ein Oel herstellen, das dem fixierten Silber Goldfarbe verleiht ..... Aus Deutschland bringt man in Blöcken gegossenen Spießglanz nach Venedig für die Glockengießer, denn diese haben gefunden, daß der Zusatz einer bestimmten Menge zum Glockenmetall den Ton sehr verstärkt. Auch die Zinngießer gebrauchen es und ebenso die Verfertiger von Spiegeln aus Glas und aus Spiegelmetall. Soweit mir bekannt, dient es auch als Bleimedikament zur Heilung von Geschwüren und offenen Wunden. Es beseitigt Vereiterungen und faules Fleisch und hilft der Natur bei der Bildung des gesunden Fleisches. Es dient auch zur Herstellung vieler gelber Töpferfarben und zum Färben von Emaillen, Gläsern und ähnlichen Sachen, die im Feuer echt gelb gefärbt werden sollen ...

2. Antimonium Crudum (3, 8)

Das Element Antimon (Sb) gehört wie Arsen (As) und Wismut (Bi) zur Gruppe der "Halbmetalle" oder "Metalloide". Der wichtigste Antimon-Rohstoff ist das Mineral Antimonit (Mineralformel: Sb2S3; Synonyme: Antimonglanz, Spießglanz, Stibnit). Es kommt auf selbständigen Lagerstätten mit Quarz (Antimonit-Quarzgänge) oder als Begleitmineral zusammen mit "Bleispießglanzen" in Blei/Silber-Erzgängen vor. Aus Antimonit können auf pyrometallurgischem Wege drei verschiedene Produkte gewonnen werden: Antimonium Crudum (Sb2S3), Antimonoxide (flüchtiges Sb2S3 und nichtflüchtiges Sb2O4, die sog. "Antimonasche") sowie metallisches Antimon (Sb).

Antimonium Crudum ist nichts anderes, als das aus dem Roherz ausgeschmolzene und wiedererstarrte Antimonsulfid Sb2S3. Aufgrund des niedrigen Schmelzpunktes von Antimonsulfid (546 °C) kann das Ausschmelzen aus dem Erz im Herdofen durchgeführt werden. Die Prozesstemperatur liegt zwischen 600 und 700 °C, wobei der Siedepunkt des Antimonsulfids, der bei 857 °C liegt, nicht erreicht werden darf. Noch bis ins 19. Jh. hinein wurden für den Gewinnungsvorgang Gefäße aus gebranntem Ton verwendet. Eine Schmelzeinheit bestand aus zwei übereinander gestellten Töpfen, von denen der obere mit einem oder mehreren Löchern im Boden versehen war und mit Erz gefüllt wurde. Dieses Schmelzgefäß wurde mit einem Deckel verschlossen, um Sauerstoffzutritt bzw. die Verbrennung des Antimonsulfides zu verhindern. Der untere Topf, der selbst nicht der hohen Temperatur ausgesetzt sein musste, diente als Auffanggefäß für das abtropfende Antimonsulfid. Dieses erstarrte am Gefäßboden zu einem Kuchen aus "Antimonium Crudum", das in dieser Form in den Handel gelangen konnte.

Das Verfahren zur Gewinnung von Antimonium Crudum wird in der hüttenkundlichen Literatur des 16. Jhs. mehrfach beschrieben, so z.B. in Georg Agricola's De Re Metallica 1556 (5):

... In ähnlicher Weise werden Antimonerze, wenn sie frei von anderen Metallen sind, in oberen Töpfen, die zweimal so groß sind als die unteren, verschmolzen. Welchen Inhalt jene haben, erkennt man aus dem Inhalt der Metallkuchen (= Antimonium Crudum), die nicht überall das gleiche Gewicht haben. An manchen Orten macht man diese 6 Pfund schwer, am manchen 10, an anderen 20 Pfund. Wenn der Schmelzer seine Arbeit beendet hat, löscht er das Feuer mit Wasser, entfernt die Deckel von den Töpfen, wirft mit Asche vermischte Erde ringsum und auf sie und nimmt die Metallkuchen, wenn sie erstarrt sind, aus den Töpfen ...

Bei Lazarus Ercker heisst es in seinem Großen Probierbuch von 1580 (9):

... Weil man das Spießglas (= Antimonium Crudum) zu einigen notwendigen Sachen haben muß, will ich hier angeben, wie man es probiert, nämlich so: Nimm 2 oder 3 Pfund dieses Erzes (antimonithaltiges Erz), poche es haselnußgroß, bring es in einen Topf, der unten ein Loch hat, bedecke den mit einer Stürze, setze diesen Topf auf einen anderen, verstreich die Fugen mit Lehm, damit die beiden Gefäße nicht auseinanderfallen, und setze diese dergestalt zwischen Ziegelsteinen ins Feuer, daß der untere Topf wenig vom Feuer bestrichen wird, also im allgemeinen kühl bleibt, der obere aber in der Glut steht. Wenn dieser obere Topf gut glüht, dann fließt das Erz sehr leicht, und das Spießglas tropft durch das Loch in den unteren Topf. Laß es nun erkalten und nimm das Spießglas heraus, worauf du siehst, wieviel das eingesetzte Erz Spießglas gegeben hat. Darnach wirst du dich zu richten wissen ...

3. Die Antimonerzlagerstätte bei Sulzburg, Bergbauspuren (10, 11, 12, 13)

Unter den zahlreichen hydrothermalen Blei-Zink-Erzlagerstätten im südlichen Schwarzwald treten vereinzelt Erzgänge auf, die durch das Vorherrschen von Antimonsulfiden mit Quarz als Gangart gekennzeichnet sind. Ein solcher Erzgang verläuft zwei Kilometer südlich von Sulzburg am Wegscheidekopf, im Bereich der Kulmzone von Badenweiler-Lenzkirch. Eine Pingenreihe sowie die heute noch befahrbare Grube "Victoria" zeugen hier vom Bergbau vergangener Tage. Der Erzgang erstreckt sich über eine Länge von mehr als 200 m und ist bis zu 20 cm mächtig; er streicht 125° - 130° und fällt mit 55° bis 75° steil nach SW ein. Das wichtigste Erzmineral ist Antimonit, der einst in derben Massen bis zu mehreren Kilogramm Gewicht gefördert wurde. Die aus der Lagerstätte gewinnbaren Erzkonzentrate enthalten neben Antimon und Schwefel noch deutliche Mengen an Blei (mehrere Gew.-%) sowie geringe Mengen an Silber (einige 100 g/t).

Im Bereich der Lagerstätte zeichnen mehrere kleinere Tagverhaue und Schachtpingen den Verlauf des ehemaligen Erzganges nach. Am steilen Hang unterhalb der Pingenreihe erstrecken sich teilweise unbewachsene Halden. Südlich unterhalb der Pingenreihe liegt das Mundloch der Grube Victoria. Der neuzeitliche Stollen erreicht den Erzgang bei unregelmäßiger Streckenführung nach etwa 45 m. Der Gang selbst ist an dieser Stelle auf einer Länge von 17 m aufgefahren, zeigt im aufgeschlossenen Bereich jedoch keine nennenswerte Vererzung und nur geringfügige Abbauspuren (Prospektion). Am Ende der Abbaustrecke befindet sich ein unter Wasser stehendes Gesenk. Der Stollen, der nach Erreichen des Erzganges noch einige Meter über diesen hinaus weiter vorgetrieben wurde, zeigt sehr schöne Spuren von der Arbeit mit Schlägel und Eisen, eingemeißelte Lampennischen sowie an manchen Stellen Bohrpfeifen von der Sprengarbeit. Die durchschnittliche Firsthöhe beträgt 1,8 m. Die Stollenprofile sind meist aufrecht und besonders im hinteren Abschnitt sehr schmal gearbeitet. Die gesamte Anlage kann wohl i.W. dem Bergbau aus der ersten Hälfte des 18. Jhs. zugeschrieben werden; ältere Vorgängerarbeiten (aus dem 16. Jh.) sind jedoch wahrscheinlich. Die auf dem Gangausbiss angelegten Tagverhaue und Schächte sind dagegen in ihrer Mehrzahl dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit zuzuordnen.

4. Montanarchäologische Befunde (1, 13, 14)

Durch eine Geländeprospektion und mehrere kleinflächige Sondierungsgrabungen wurde im Bereich der Sulzburger Antimongrube ein eher unbedeutendes, von seiner archäologischen Befundlage her jedoch einzigartiges Bergbaurevier archäologisch erschlossen. Auf engem Raum konnte hier unmittelbar auf und neben dem abgebauten Erzgang eine mehrphasige Verhüttung von Antimonerzen nachgewiesen werden. Ziel der Verhüttungsaktivitäten war jeweils die Gewinnung von Antimonium Crudum aus dem Erzmineral Antimonit. Die drei nachgewiesenen Produktionsphasen lassen sich über Keramikdatierung und historische Überlieferung dem 14./15., 15./16. und späten 18. Jh. zuordnen.

Die zahlreich aufgefundenen Keramikscherben aus den drei differenzierbaren Betriebsperioden stammen ausnahmslos von Schmelzgefäßen. Die Scherben zeigen die hierfür charakteristischen Merkmale wie Gefäßböden mit einem oder mehreren Löchern, anhaftende Krusten von Schmelzrückständen sowie durch Antimonverbindungen gelb gefärbte Beläge. In den Schmelzrückständen finden sich, im Erzmikroskop betrachtet, die Überreste des Ausgangserzes in Form von reliktischen Antimonsulfiden neben Quarz sowie bereits umgesetztes Antimonium Crudum.

Drei ehemalige Standorte von Ofenanlagen (A, B, C) konnten bis auf wenige Meter genau lokalisiert werden. Gezielte Ausgrabungen an den Ofenplätzen haben bislang nicht stattgefunden. Erhaltene Ofenbefunde sind aufgrund der exponierten Lage sowie umfangreicher Erdbewegungen im Zuge von Mineraliensammelaktivitäten kaum noch zu erwarten. Der jeweils nachweisbare Produktionsumfang für die drei ermittelten Betriebszeiten ist unterschiedlich. Sowohl für die älteste als auch für die jüngste Phase (14./15. bzw. Ende 18. Jh.) kann davon ausgegangen werden, dass nur relativ bescheidene Erzmengen umgesetzt wurden. Zu denken ist in beiden Fällen an ein "Probeschmelzen". So gibt Beyer für die 1788 durchgeführte Schmelzkampagne eine Ausbringung von 130 Pfund Crudum an (15). Ganz anders verhält es sich dagegen mit der Crudum-Produktion im 15./16. Jh.; hier weist die große Menge an Keramikabfällen und Schmelzrückständen in der zugehörigen Halde auf eine umfangreichere Produktion bzw. auch auf eine längere, mehrjährige Betriebszeit hin.

5. Historische Überlieferungen (15, 16, 17)

Der älteste historische Hinweis auf eine Gewinnung von Antimonerzen bei Sulzburg bezieht sich auf die Jahre 1658 und 1659. In einem überlieferten Akteneinblick heisst es (16):

... So wenig auch in älteren Zeiten auf diesem Gang gearbeitet worden zu seyn scheint, so muß doch damals dieser oder ein anderer spiesglashaltender Gang hinter Sulzburg zu einer markschreierischen Betrügerey benutzt worden seyn, da nach dem Innhalt Oberamtlicher Acten vom Jahre 1658 und 59 ein hergeloffener angeblicher Erzprobierer namens Schönherr aus Norwegen die Versicherung gab, daß das hinter Sulzburg brechende Spießglaserz 1 1/2 Loth Silber und 2 Loth Gold halte, und Hoffnung machte, den "regulum antimonium" ganz und gar in Gold zu verwandeln. Er fand hierin bei der damaligen Landesherrschaft Gehör. Es wurden auf Ihre Kosten einige Arbeiter kurze Zeit angelegt, welche sehr schöne derbe Erze gewonnen haben sollen. Auch versicherte Schönherr, daß sich in der Gegend viele alte Schmelztiegel befunden hätten, von welchen auf noch ältere Arbeiten zu schließen seyn würde ...

Die Antimongrube "Victoria" wird erstmals 1718 genannt. Nachdem die Arbeiten 1722 eingestellt wurden, kam es 1785 nochmals zu einer fünfjährigen Abbautätigkeit. In einem Bericht an den Markgrafen aus dem Jahre 1789 setzt sich der damalige Bergamtsleiter Erhardt für eine Fortsetzung der Antimonproduktion bei Sulzburg ein (17). Aus dem Bericht geht hervor, dass alte Rechnungen im Zusammenhang mit der letzten Schmelzung von Antimonerzen in Höhe von 133 Gulden noch nicht bezahlt worden sind. Der Bericht enthält aufschlussreiche Einzelheiten über den Gerätebedarf und die Gerätekosten für den Grubenbetrieb, über den damaligen Verkaufswert von Antimonium Crudum und metallischem Antimon sowie über den geplanten Bau zweier neuer Schmelzöfen in Sulzburg. Eine beigelegte Skizze zeigt den Aufbau der vorgesehenen Ofenanlage zur Gewinnung von Antimonium Crudum. Letzteres sollte in einem zweiten Ofen zu metallischem Antimon - dem "Regulum antimonii" weiter-verarbeitet werden, welches als härtender Zusatz zum Blei in der Schriftgießerei Verwendung finden sollte. Zur Realisierung des Vorhabens ist es nicht gekommen. 1790 wurde der Betrieb in der Sulzburger Antimongrube endgültig eingestellt.

... Durchlauchtigster Marggrav, Gnädigster Fürst und Herr!

Sulzburg den 11tn April 1789,
Unterthänigster bergamtl.r Bericht, über den Betrieb der dasigen Antimonium-Grube.

.....
Inzwischen können wir dieses als zuverlässig angeben, daß nach dem neuesten Preißcourant die Minera antimonii 11.f 12.y p Ctr, das antimonium crudum für 22.f und der Regulus antimonii für 55.f bezalt werde.
Auf den Centner Erzt dürfte man wohl 40. Pf antimonium crudum rechnen, und von diesem kan der Centner 50. Pf Regulum antimonii geben. Doch wird sich das eigentliche erst zeigen, wenn obgedachte Proben im kleinen wiederholt worden, wegen deren Vornahme wir bestimmtern gnädigsten Befehl eben so, wie über den Umstand unthgst erwarten, ob der Regulus gereinigt, oder sogleich zur Schriftgiesserei-Masse versezt werden müsse?
Was nun aber die Kosten der Einrichtung betrift; so müssen vor allen Dingen, - weil der alte Ofen, der ohnehin nicht nach Erfordern eingerichtet wäre, über Winter zu Grundgegangen - Zween neue Oefen gebaut werden, nähmlich Einer, das antimonium crudum zu schmelzen, worüber ein vom Farbmeister Weisser gefertigtes Rißbrouillon hier anligt, und ein anderer, zu Schmelzung des reguli antimonii, wobei man zugleich den Schwefel fangen kann. - Jener kan auf 30. und dieser auf 20.f kommen ...

Unterthänigst - Treu - Gehorsamste Erhardt ...

1794 berichtet der sächsische Bergassessor August Beyer in einem Rückblick von der versuchsweisen Gewinnung von Spießglas (= Antimonium Crudum) bei Sulzburg im Jahre 1788 (15):

... Von dem in dem vorherbeschriebenen Schachte einbrechenden Spiessglaserz hatte man zu einem Versuche, nach dem Geding 3 Fl. Reichsgeld für einen Centner, drey und einen halben Centner gewinnen lassen, und daraus auf folgende Weise 130 Pfund Spiessglas, welches auf dem Bruche theils feinstrahlig, theils klarspeissig war, ausgeschmölzet. Man hatte nämlich das Erz in Graupen von der Grösse der Hasel- und Wallnüsse zerschlagen, unglassirte Töpfe, in deren Böden sich Löcher befinden, die jedoch kleiner sind, als die Erzgraupen, damit angefüllet, jeden dieser Töpfe auf einen andern passenden nicht löcherigen unglassierten Topf, der oben weiter als unten ist, gesetzt, dieselben in einen hierzu erbauten und wie die Brennöfen der Töpfer gestalteten Ofen gestellet, und mit gespaltenem weichen Scheitholze sechs oder acht Stunden lang zugefeuert. Nach dem Erkalten des Ofens und der Töpfe konnte das aus den Erzgraupen ausgeschmolzene und durch die in den Böden der oberen Töpfe befindlichen Löcher in die darunterstehenden Töpfe abgeflossene Spiessglas, aus den letzteren als kleine Scheiben herausgenommen werden ...

6. Die Gewinnung von Antimonium Crudum im Experiment

Die historischen Schilderungen des Verfahrens zur Gewinnung von Antimonium Crudum und das aufschlussreiche archäologische Fundmaterial aus dem Bereich der Antimongrube bei Sulzburg waren 1996 Anlass für die Durchführung eines Verhüttungsversuches. Ziel des Experimentes war es, Antimonium Crudum nach dem überlieferten Verfahren aus Sulzburger Originalerz zu gewinnen. Die hierfür benötigten Tongefäße wurden in einer Freiburger Töpferwerkstatt hergestellt. Als Vorlage für Größe und Form der Gefäße dienten die archäologischen Funde aus dem 18. Jh. Für den Versuch wurde Antimonerz verwendet, das auf den Halden im Bereich der Grube Victoria aufgeklaubt und im Anschluss per Hand aufbereitet wurde.

Die Verhüttung des haselnussgroß gepochten Erzes fand in einem einfachen Herdofen (mit Steinen eingefasste Feuerstelle mit eingetieftem Boden) statt. Das obere, etwa 4 Liter fassende Schmelzgefäß wurde dabei zu 2/3 mit kleingepochtem Erz gefüllt und - mit einem Deckel verschlossen - insgesamt 5 Stunden lang mit Holz befeuert. Bereits kurze Zeit nach dem Anfeuern zeigte sich ein Riss in der Wand des Schmelzgefäßes, durch den später geschmolzenes Antimonsulfid ausfloss und somit verloren ging. Während des Versuches entwichen bei Anhebung des Deckels dichte weiße Rauchschwaden aus dem Innern des Schmelzgefäßes. Die Innenseite von Schmelzgefäß und Deckel zeigten sich nach Beendigung des Versuches mit einem dichten weißen Belag ausgekleidet. Das im Laufe des Prozesses ausgeschmolzene und durch die Bodenlöcher des Schmelzgefäßes abgetropfte Antimonsulfid sammelte sich am Boden des im kühleren Bereich der Herdgrube eingesetzten Auffanggefäßes und erstarrte dort zu einer etwa 2 cm dicken Scheibe aus Antimonium Crudum. Um dieses nach erfolgter Abkühlung aus dem Gefäß entnehmen zu können, musste letzteres zerschlagen werden; auch das Schmelzgefäß zerfiel nach dem Abkühlen in zahlreiche Fragmente. Zurück blieb ein "Scherbenhaufen" sowie locker zusammengebackene Schmelzrückstande i. W. aus der Gangart des Erzes (Quarz).

Auszug aus dem Protokoll des Verhüttungsversuches:

Montag, 10. Juni 1996
Teilnehmer: G. Goldenberg, J. Großpietsch, W. Grözinger, N. Kindler, N. Willy

9:00     Einrichten einer Feuerstelle, Ausheben einer Vertiefung zur Aufnahme des Auffanggefäßes, Setzen eines Steinringes um die Herdgrube

9:30     Vorwärmen der Herdgrube durch Anfeuern mit Reisig und Holz

10:00     Pochen von erzhaltigem Gestein mit einem Fäustel auf einer Unterlagsplatte; Ausklauben von antimonitreichen Erzbröckchen und Anlegen eines Erzvorrates; Bereitstellen von Feuerholz (Sägen, Spalten)

10:30     Füllen des Schmelzgefäßes mit haselnussgroß gepochtem Erz; Aufsetzen des zu 2/3 gefüllten Gefäßes auf das Auffanggefäß, Verschließen des oberen Topfes mit einem Deckel, Verstreichen aller Fugen mit Lehm

11:00     Einsetzen der vorbereiteten Schmelzeinheit in die Herdgrube; langsames Anfeuern mit Reisig und Holz

11:15     Kräftiges Anfeuern mit gespaltenem Holz, der obere Topfrand mit Deckel ist im Feuer noch sichtbar

12:00     Mittagspause

13:00     Das in der Glut stehende Schmelzgefäß zeigt größere Risse! Der Lehm auf den Fugen hat sich abgelöst; kurzes Anheben des Deckels mit einer Astgabel und Blick in das Innere des Schmelzgefäßes: das aufgegebene Gut hat sich noch kaum verändert

13:30     Erneutes, stärkeres Anfeuern mit gespaltenem Holz; das obere Gefäß wird diesmal vollständig mit Brennholz bedeckt

14:30     Aus dem breiter gewordenen Riss im Schmelzgefäß fließen silbrig glänzende Tropfen von geschmolzenem Antimonsulfid in die Glut und verbrennen

15:30     Die Befeuerung wird eingestellt

16:00     Das Schmelzgefäß wird freigelegt; beim Anheben des Deckels entweicht ein dichter, weißer Rauch aus verbranntem Antimon (Sb2O3, SO2); die Innenseiten von Deckel und Schmelzgefäß sind mit einem dichten, weißen Belag besetzt (vermutlich Sb2O4, "Antimonasche")

16:30     Das in der Grube stehende Auffanggefäß wird freigelegt

17:00     Das nach wie vor gut gefüllte Schmelzgefäß ist soweit abgekühlt, das es vom unteren Gefäß abgehoben werden kann; beim Blick in das Auffanggefäß zeigt sich an dessen Boden ein stumpfgrauer Spiegel einer "metallisch" wirkenden Scheibe, an deren Oberfläche deutlich spießförmige Kristallstrukturen zu erkennen sind

17:30     Das Auffanggefäß wird mit einem Hammer zerschlagen; die am Gefäßboden haftende "Metallscheibe" wird angeschlagen; sie ist ca. 2 cm dick und zeigt im Anbruch metallischen Glanz sowie ein dichtes, sperriges Gefüge von spießigen Kristallen: das "Antimonium Crudum" oder "Spießglas"

Bildergalerie des Versuches

7. Literatur

  • (1) Siebenschock, M., Goldenberg, G., Wagner, H.
    Archäometallurgische Untersuchungen zur Verhüttung von Antimonerzen - Gewinnung von Antimonium Crudum im Späten Mittelalter und in der Neuzeit bei Sulzburg im Südschwarzwald. Archäologie und Geschichte, Band 8, Sigmaringen 1996, 275-336.
  • (2) Pietsch, E.
    Gmelins Handbuch der anorganischen Chemie: Antimon. Berlin 1942.
  • (3) Quiring, H.
    Antimon. Die Metallischen Rohstoffe 7, Stuttgart 1945.
  • (4) Plinius Secundus d. Ä.
    Naturkunde. Buch XXXIII: Metallurgie (101 - 104). Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Gerhard Winkler, München 1984.
  • (5) Agricola, G.
    De Re Metallica Libri XII. Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen (1556). Übersetzt und bearbeitet von C. Schiffner, Düsseldorf 1978.
  • (6) Biringuccio, V.
    De la Pirotechnia (1540). Deutsche Übersetzung von O. Johannsen, Braunschweig 1925.
  • (7) Hartlaub, C., Trinks, C. (Hrsg.)
    Systematische Darstellung der antipsorischen Arzneimittel in ihren reinen Wirkungen. Dresden 1830.
  • (8) Tafel, V.
    Lehrbuch der Metallhüttenkunde. Band II. Leipzig 1953.
  • (9) Ercker, L.
    Beschreibung der allervornehmsten mineralischen Erze und Bergwerksarten vom Jahre 1580. Freiberger Forschungshefte D 34, Berlin 1960.
  • (10) Metz, R., Richter, M., Schürenberg, H.
    Die Blei-Zink-Erzgänge des Schwarzwaldes. Beih. Geol. Jahrb. 29, Hannover 1957.
  • (11) Walenta, K.
    Die antimonerzführenden Gänge des Schwarzwaldes. Jahreshefte geol. Landesamtes Bad.-Württ. 2, Freiburg i. Br. 1957, 13-67.
  • (12) Hofherr, I.
    Eine Antimon-Mineralisation südlich von Sulzburg im Südschwarzwald. Ber. Natur-f. Ges. Freiburg 74, 1984, 49-71.
  • (13) Goldenberg, G.
    Die Gewinnung von "Antimonium Crudum" - Archäometallurgische Befunde seit dem späten Mittelalter bei Sulzburg im Südschwarzwald. Der Anschnitt 46, Heft 4-5, 1994, 144-149.
  • (14) Siebenschock, M.
    Archäometallurgische Untersuchungen zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verhüt-tung von Antimonerzen bei Sulzburg im Südschwarzwald. Ber. Naturf. Ges. Freiburg 84/85, 1995, 5-26.
  • (15) Beyer, A.
    Geognostische und bergmännische Bemerkungen auf einer im Jahr 1788 gemachten Reise, aus dem Churfürstlich Sächsischen Erzgebirge in die Hochfürstlich Markgräflich Badenschen Lande. Beyträge zur Bergbaukunde, Dresden 1794, 1-78.
  • (16) Dennert, V.
    Der Bergbau vom Mittelalter bis heute. In: Geschichte der Stadt Sulzburg, Bd. I. Freiburg 1993, 119-217.
  • (17) Unveröffentlichte Akten des Generallandesarchivs Karlsruhe, Baden Generalia (74-).