Seit 2009 graben im Rahmen eines internationalen Kooperationsprojektes mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt Archäologen des Forschungszentrums und Museums für menschliche Verhaltensevolution MONREPOS, einer Einrichtung des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM), auf dem mindestens 35.000 Jahre alten Fundplatz Breitenbach in der Nähe von Zeitz in Sachsen-Anhalt. Weitere Kooperationspartner sind die Faculty of Archaeology der University of Leiden (NL), das Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (ArchPro) in Wien, das Institut für Geoinformatik i3mainz der Fachhochschule Mainz sowie die geowissenschaftlichen Institute der Universitäten Mainz, Tübingen und Köln. In der diesjährigen Grabungskampagne gelang dem Team um die Grabungsleiter Dr. Olaf Jöris und Tim Matthies der bislang älteste Nachweis räumlich klar voneinander abgegrenzter Arbeitsbereiche, die auf eine regelrechte Werkstatt zur Verarbeitung von Mammutelfenbein schließen lassen. So konnte einerseits ein Bereich identifiziert werden, in dem Elfenbeinstücke in Lamellen aufgespalten wurden, sowie ein zweiter Bereich, in dem die Schnitzarbeiten ausgeführt und der Abfall abgelegt wurde. Auch einige der Endprodukte in Form filigraner Elfenbeinperlen und die Rohformen nicht fertig gestellter Stücke blieben hier zurück. Zudem fanden sich hier einige weitere Elfenbeinobjekte, darunter ein verziertes Stäbchen und zwei Fragmente eines plastisch gestalteten Objektes, wohl eines Kunstgegenstandes.
Die Hersteller waren frühe anatomisch moderne Menschen (»Jetztmenschen«), die auf Mammutelfenbein zurückgreifen konnten, das vermutlich schon lange an diesem Ort lag, sei es, weil hier Mammute auf natürliche Weise verendet waren oder weil sie geschulten Jägern zum Opfer fielen. In letzterem Fall käme neben dem frühen anatomisch modernen Menschen auch der Neandertaler als Täter in Betracht, der wenige Jahrtausende vor der Nutzung der Fundstelle durch den Jetztmenschen bereits ausgestorben war. Die eindeutige räumliche Aufteilung des Fundmaterials nach verschiedenen Arbeitsbereichen lässt Rückschlüsse auf Raumnutzungskonzepte schon in dieser Zeit vor 35.000 Jahren zu, wie sie der Neandertaler wohl noch nicht kannte.
Die Siedlung bei Breitenbach ist mit einer Ausdehnung von mindestens 6.000 m² bis vielleicht sogar 20.000 m² die mit Abstand größte bislang bekannte Fundstelle der Jüngeren Altsteinzeit (Jungpaläolithikum). Nach ersten Grabungen bereits in den 1920er Jahren wurden von Archäologen in den letztjährigen Kampagnen bislang 70 m² freigelegt. Sie wurden dabei unterstützt von zahlreichen Studenten aus 25 Ländern. Allein in der diesjährigen Grabungskampagne kamen bisher etwa 3.000 Fundstücke zu Tage.
Funde vergleichbaren Alters sind meist in Höhlen überliefert, in denen der Mensch den ihn umgebenden Raum aber nur gemäß der natürlich vorgegebenen Felsformationen nutzen konnte. Dies brachte Einschränkungen und Kompromisse mit sich. Auch sind die Spuren der Besiedlung von Höhlen oftmals durch wiederholte Aufenthalte an der immer selben Stelle überprägt oder gar verwischt. Im Freiland wie in Breitenbach hingegen hat der Mensch die Möglichkeit, seinen Raum weitestgehend frei von Vorgaben oder Zwängen zu organisieren und Strukturen anzulegen, die es heute noch erlauben, das Alltagsgeschehen dieser Zeit in höchster Auflösung zu rekonstruieren.
Die Geländearbeiten in Breitenbach geben somit neue Einblicke in das räumliche Verhalten steinzeitlicher Menschen am Anfang der Jüngeren Altsteinzeit (Jungpaläolithikum) und speziell in die räumliche Organisation des Siedlungsplatzes und damit des Alltagsgeschehens im sog. Aurignacien vor rund 40.000 - 34.000 Jahren. Dieses Anliegen ist nicht zuletzt für das Verständnis der Wurzeln unseres modern-menschlichen Verhaltens von großer Bedeutung, sind die Indizien für ein »Sich-Einrichten« in einer wohldefinierten, festgelegten Weise, wie wir es auch heute gewohnt sind, mit den neuen Befunden weltweit erstmals an der Fundstelle Breitenbach belegt.
Angesichts der beispiellos großen räumlichen Ausdehnung des Siedlungsareals bietet der Fundplatz Breitenbach die einmalige Chance einer detaillierten Untersuchung einer Freilandfundstelle aus der Zeit des Aurignacien: So sollen am Beispiel der Fundstelle neue Einblicke in die Komplexität und räumliche Organisation eines früh-jungpaläolithischen Siedlungsplatzes gewonnen werden, an dem auch mit Nachweisen von Schmuck, Kunst, Musik oder gar Bestattungen, die aus dieser Zeit bislang kaum bekannt sind, gerechnet werden darf.