Schlachtfelder in der archäologischen Überlieferung – die Fallstudie Kalkriese

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In den letzten 20 Jahren sind Schlachtfelder zunehmend ins Blickfeld der Archäologie gelangt, zunächst in den USA und dann ebenso in Großbritannien. Allmählich werden Schlachtfelder auch in Deutschland als Orte wahrgenommen, die nicht ausschließlich Gegenstand militärgeschichtlicher Untersuchungen sein müssen. Obwohl insbesondere zu Kampfverläufen neuzeitlicher Gefechte meistens vergleichsweise detaillierte Schriftquellen vorliegen, ermöglicht die Anwendung archäologischer Methoden auf Plätzen militärischer Konflikte oft die Erschließung zusätzlicher Informationen.

Kalkriese – Eine antike Feldschlacht

Die Forschungen in Kalkriese nehmen in diesem Zusammenhang eine Sonderstellung ein. Die Untersuchungen haben hier bereits vor über 20 Jahren begonnen, zu einem Zeitpunkt, als eine systematische archäologische Erforschung von Schlachtfeldern in Deutschland noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion war. Das öffentliche Interesse an den Arbeiten wird bis heute geprägt von der Frage nach der Identifizierbarkeit des Fundareals von Kalkriese als Ort der historisch überlieferten Varusschlacht, in der im Jahr 9 n.Chr. der römische Feldherr Publius Quinctilius Varus mit drei Legionen von Germanen unter der Führung des Arminius vernichtend geschlagen wurde.

Aufgrund der - verglichen mit militärischen Auseinandersetzungen der jüngeren Vergangenheit - eher allgemein gehaltenen und z.T. widersprüchlichen historischen Informationen kommt den Funden und Befunden in diesem Fall erhebliche Bedeutung zu. Zugleich wird die Bewertung der archäologischen Quellen allerdings dadurch erschwert, dass die Forschung mit der erstmaligen Untersuchung einer antiken Feldschlacht Neuland betreten hat.

Anders als bei der Erforschung belagerter oder gestürmter Siedlungen und Befestigungen - hier sei als Beispiel die Einschließung des keltischen Oppidums Alesia durch Cäsar 52 v. Chr. genannt -, bei der meistens Baubefunde wie z.B. Schanzungen den archäologischen Nachweis von militärischen Konflikten erleichtern, ist die Erfassung von Kämpfen im offenen Feld fast ausschließlich auf die Funde angewiesen, die nach den Gefechten zurück blieben. Mit der Möglichkeit, bei Geländeprospektion und Grabungen Metalldetektoren einsetzen zu können, wurden in den letzten beiden Jahrzehnten überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen, selbst ausgedehnte Feldschlachten zu untersuchen.

 

Befunde und Funde vom Oberesch

In Kalkriese verfügen wir aufgrund der langjährigen Grabungs- und Prospektionstätigkeit inzwischen über ein für ein Schlachtfeld so umfangreiches archäologisches Fundmaterial, dass Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Ereignisse möglich werden. Darüber hinaus wurden hier einige Befunde entdeckt, die zum besseren Verständnis dieses Platzes beitragen.

Zu den wichtigsten Befunden des Kampfareals zählt eine aus Rasensoden und Sand errichtete Wallanlage, die als kurzfristig angelegte Schanzung im Kontext eines germanischen Hinterhalts gegen ein vorbeiziehendes römisches Heer interpretiert wird. Außerdem gibt es Gruben, in denen mehrere Jahre nach der Niederlage die letzten an der Oberfläche noch auffindbaren Knochen der Gefallenen - möglicherweise durch Germanicus im Jahre 15 n. Chr. - bestattet wurden. Wie der überwiegende Teil des Fundmaterials wurden diese Strukturen auf der Flur Oberesch freigelegt, doch fanden sich römische Militaria darüber hinaus in einem Areal von insgesamt mehr als 30 km[2].

Wenn auch meistens nur fragmentarisch überliefert, spiegeln die Funde die Vielfalt der Ausrüstung eines römischen Heeres einschließlich begleitendem Tross wider.

Neben der Ausrüstung der kämpfenden Truppen - darunter Teile von Helmen, Brustpanzern, Militärgürteln, Schwertscheiden, Schilden, Sandalen, Fibeln, Lanzen und Pfeilspitzen von Fußsoldaten, aber auch Zaumzeug und Waffen der Reiterei - finden sich u.a. Münzen, Metallgeschirr, vereinzelt Keramik- und Glasgefäße, Handwerksgerät, Siegelkapseln und Schreibgriffel, medizinisches Gerät, Vermessungsutensilien und Waagen, Kistenteile sowie Anschirrungen von Zug- und Tragtieren, Objekte, die überwiegend dem Tross und der Versorgung zugewiesen können. Diese Funde vermitteln uns erstmals detaillierte Kenntnis der auf einem Marsch mitgeführten Ausrüstung einer römischen Armee aus dem Beginn des ersten Jahrhunderts nach Christus.

 

Methodische Fragen

Bei dem Versuch, aus diesem reichen Fundmaterial mit archäologischen Methoden Informationen über den Ablauf der eigentlichen Kampfhandlungen zu gewinnen, wurden jedoch bald Grenzen der Auswertbarkeit deutlich. Schon die Beobachtung, dass ein durch den Engpass zwischen Kalkrieser Berg und Großem Moor ziehendes römisches Heer offenbar auf dem Marsch angegriffen worden war, führte vor Augen, dass die Erschließung von Details durch eine permanente Überlagerung von Einzelereignissen in bestimmten Kampfzonen sehr erschwert würde.

Darüber hinaus verdeutlichten Grabungsflächen jenseits der Flur Oberesch, wie unterschiedlich die Funddichte in den verschiedenen Abschnitten des Untersuchungsgebietes ist. Die Konzentration von etwa 90% der Funde auf den Oberesch überraschte zunächst, und die ursprüngliche Vorstellung, dass aus der Quantität der Funde direkt auf die Intensität der Kämpfe geschlossen werden kann, schien für eine weitgehende Beschränkung der Kampfhandlungen auf diese Teilfläche zu sprechen.

Außer Acht gelassen wurde bei dieser Interpretation jedoch, dass wesentliche, die Hinterlassenschaft auf Schlachtfeldern beeinflussende Faktoren erst nach Beendigung der eigentlichen Gefechte wirksam werden. Die Untersuchungen in Kalkriese gaben Anlass, sich mit diesen grundlegenden quellenkritischen Fragen der Schlachtfeldarchäologie eingehender auseinander zu setzen. Es hat sich gezeigt, dass der Umfang der Fundüberlieferung auf Plätzen militärischer Konflikte sehr stark von den auf die Kämpfe folgenden vielfältigen Prozessen des Bergens, Aufräumens oder Plünderns geprägt sein kann. Die Wirksamkeit dieser Vorgänge lässt sich im Untersuchungsgebiet von Kalkriese besonders gut nachvollziehen.

 

Defileegefecht und die Auswirkung von Plünderungen

Wenn auch in der Funddichte stark variierend, erstreckt sich die Fundstreuung im Engpass zwischen Moor und Berg insgesamt über mehr als 15 Kilometer in Ost-West-Richtung. Dies spricht ebenso wie der Verlauf der Wallanlage auf dem Oberesch, die nicht etwa einen Weg sperrt, sondern über 400 m den Marschweg der Römer begleitet, für ein langgestrecktes Defileegefecht. In dessen Verlauf sind die germanischen Angreifer dem römischen Marschverband immer wieder in die Flanke gefallen, nicht nur ausgehend von der Wallanlage auf dem Oberesch, sondern an unterschiedlichen Stellen aus natürlichen Waldkanten heraus.

Es ist zu vermuten, dass attackierte Truppen im Verlauf einer derartigen Folge von Partisanenangriffen einen Entwicklungsprozess durchlaufen, der im heutigen archäologischen Fundbild nachgewiesen werden kann. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sogar im Endeffekt vernichtete Truppen zunächst wohl erfolgreich Widerstand geleistet haben. Auch die römische Armee war darauf trainiert, Verwundete und Tross selbst in verlustreichen Kämpfen zu retten. Bei einem Zug des römischen Heeres von Ost nach West würde das für die östlichen Abschnitte des Fundareals von Kalkriese eine erhebliche Reduzierung des zu erwartenden Fundmaterials bedeuten, weil davon auszugehen ist, dass ein großer Teil der in Mitleidenschaft gezogenen Legionäre von den eigenen Leuten geborgen und einschließlich ihrer Ausrüstung von den noch intakten Teilen der eigenen Truppen mitgenommen wurde.

In den Abschnitten eines Defileegefechts aber, in denen erhebliche Teile der römischen Armee niedergemacht wurden und die Logistik u.a. auch des Sanitätswesens zusammenbrach, wäre direkt nach der Schlacht ein entsprechend großer Niederschlag an Militärausrüstung zu erwarten, um so mehr, als in dieser Zone vermutlich auch die zuvor noch Geborgenen umkamen und mitsamt ihrer Ausrüstung liegen blieben. Dies erscheint derzeit als die plausibelste Erklärung für die große Anzahl von Funden auf der Fundstelle Oberesch. Allerdings führten die Plünderungen durch die siegreichen Germanen nach der Schlacht auch hier zu einer sehr weitgehenden Reduzierung der Hinterlassenschaften. Dass wir heute noch so viele Bruchstücke römischer Ausrüstung finden, ist wahrscheinlich auf die Brutalität zurückzuführen, mit der sowohl gegen die römischen Legionäre als auch gegen ihren Tross vorgegangen wurde: Beim Fleddern der Leichen dürften Kleinteile abgerissen und einige davon im Gras übersehen worden sein; unter den über 5000 römischen Artefakten vom Oberesch finden sich immer wieder Fragmente der direkt am Körper getragenen Soldatenausrüstung wie Haken von Kettenpanzern, Schließen und einzelne Platten von Brustpanzern, Schnallen oder Beschläge von Gürteln, aber auch Halterungen von Schwertscheiden.

Eine Bergung der Toten vom Schlachtfeld hätte zu einem wesentlich schwächeren Fundniederschlag geführt. Dies dürfte einer der Gründe für den weitgehenden Ausfall germanischer Funde in Kalkriese sein: während die römischen Toten geplündert wurden und unbestattet auf dem Boden liegen blieben, wurden die - im allgemeinen ohnehin weniger metallreich ausgerüsteten - germanischen Gefallenen abseits des Schlachtfeldes ordndungsgemäß bestattet.

 

 

In welchem Maße derartige nicht eigentlich kampfbezogene Verhaltensmuster auf den Funderhalt eingewirkt haben können, wird auch im nordwestlich an den Oberesch anschließenden Areal deutlich. Während die Gesamtfundmenge hier abnimmt, hat der hohe Anteil besonders wertvoller Fundensembles in dieser Zone, so die silbernen Beschläge einer Schwertscheide oder auch Silbermünzbestände, zunächst für Spekulationen gesorgt. Geht man aber davon aus, dass auf zentrale Kampfzonen Bereiche nachsetzender Gefechte und der Flucht folgten, ist zu erwarten, dass römische Soldaten wertvolle oder hinderliche Ausrüstung beispielsweise vor anstehender Gefangennahme weggeworfen oder versteckt haben. Ausrüstungsteile wie Lederbeutel mit Münzen oder Schwertscheiden, die als Einzelobjekte auf oder in den Boden gelangt waren, konnten Plünderer in diesen „Randzonen" aber leichter übersehen als in Hauptkampfzonen mit vielen Toten, wo Schwertscheiden und Münzbörsen bei der Leichenfledderei kaum unbemerkt blieben, weil diese besonders begehrenswerte Beute noch mit toten Legionären verbunden war.

Die Überlieferungsqualität in Kalkriese ist auf die Vernichtung einer metallreich ausgestatteten Armee zurückzuführen, gefolgt von einer bis zur Leichenfledderei gehenden Plünderung. Sie resultiert in einer für ein Schlachtfeld ungewöhnlich reichen Fundmenge.

 

Perspektiven für die Forschung

Aus den quellenkritischen Analysen ergeben sich im übrigen zusätzliche Indizien für eine Identifizierung von Kalkriese mit der Varusschlacht: Die archäologische Hinterlassenschaft der Kampfhandlungen spricht für die vernichtende Niederlage einer römischen Armee und nicht für lediglich in Mitleidenschaft gezogene Truppen, wie sie beispielsweise in den antiken Quellen für die Germanicus-Feldzüge in den Jahren 14 bis 16 n. Chr. erwähnt werden.

Die Chancen, die das Forschungsprojekt Kalkriese für die Entwicklung einer speziell auf die Untersuchung von Schlachtfeldern ausgerichteten archäologischen Methode bietet, werden durch einen Vergleich mit Untersuchungen jüngerer Schlachtfelder deutlich. Der Vielfalt der Fragmente militärischer Ausrüstung in Kalkriese steht auf neuzeitlichen Kampfplätzen ein archäologisches Fundmaterial gegenüber, das oft zu einem großen Teil aus Munition besteht. Als wertlos betrachtet, blieben Geschosse und Hülsen selbst beim systematischen Aufräumen eines Schlachtfeldes weitgehend unbeachtet zurück, so dass ihre heutige Verteilung auf einem Kampfareal tatsächlich als direkter Hinweis auf Art und Umfang von Kampfhandlungen gelten kann. Das archäologische Fundmaterial aus Kalkriese hingegen erfordert und ermöglicht zugleich eine eingehendere Untersuchung der auf die Kämpfe folgenden Prozesse, die die Fundüberlieferung dieses Platzes beeinflusst haben. In besonderem Maße können die Forschungen in Kalkriese deshalb dazu beitragen, Schlachtfelder als eigenständige archäologische Fundstellenkategorie aufzufassen, die speziellen Selektionsprozessen unterliegt.

 

Zum Weiterlesen

Douglas Scott, Lawrence Babits, Charles Haecker (Eds.), Fields of Conflict: Battlefield Archaeology from the Roman Empire to the Korean War (Westport 2007).

Rainer Wiegels (Hrsg.), Die Varusschlacht. Wendepunkt der Geschichte? Sonderheft 2007 plus der Zeitschrift Archäologie in Deutschland (Stuttgart 2007).

Susanne Wilbers-Rost, Hans-Peter Uerpmann, Margarethe Uerpmann, Birgit Großkopf, Eva Tolksdorf-Lienemann: Kalkriese 3. Interdisziplinäre Untersuchungen auf dem Oberesch in Kalkriese. Römisch-Germanische Forschungen 65 (Mainz 2007).

Hinweis

Dieser Artikel ist gedruckt erschienen in Archäologie in Deutschland 1/09.

Weiterführende Links

In unserem Guide im Bereich Themen / Varus-Schlacht finden Sie eine Zusammenstellung von Links zum Thema.

Medien-Tipps

Weitere Buchtipps finden Sie in der Rubrik Varus-Schlacht der Bibliothek.