Friulanische Burgenforschung im Wandel der Zeiten

Die Burgenforschung Norditaliens entstand erst nach den Anfängen in Westeuropa und selbst die Burgenromantik des 19. Jh. trat verspätet ein. Standardwerke des deutschsprachigen Raumes, wie die dem "romantischen Reiz" (PIPER 1912, VII) erliegende Burgenkunde Otto Pipers (1895/1912), bisher durch nichts Vergleichbares ersetzt (Meyer 1995, 646), oder Veröffentlichungen des Burgenvereins unter Bodo Ebhardt, wurden kaum oder nur von österreichischen "Burgenforschern" mit Interesse für die Region wahrgenommen. Diesen entstammt das erste elementare, "deutsche Wirksamkeit" im Friaul hervorhebende Werk (ZAHN 1883, IV). Es bezog sich in einer Art Reisebeschreibung u.a. auf eine Handschrift des Paters Gaetano Sturolo von 1772, die heute in der Bibliothek des Museo Archeologico Nazionale di Cividale und der Bibliotheca Civica Udinese aufbewahrt wird. Dabei handelt es sich um eine frühe Auseinandersetzung mit Mittelaltergeschichte und norditalienischen Burgen von italienischer Seite. Es stellt heute eine wichtige Quelle zum einst vorhandenen Bestand dar.

Wie in ganz Europa war die Archäologie Italiens immer mit Politik verknüpft und spielte eine wesentliche Rolle bei der Formung von Staat und nationaler Identität (JEUTE/GRÖNWALD 2002, 102). Die Ur- und Frühgeschichtsforschung Italiens, Paleoetnologia, etablierte sich unter der Persönlichkeit Luigi Pigorinis als institutionalisierter Forschungszweig in den 70er Jahren des 19. Jh. Dieser entsprach in seinem Bemühen um Forschungszentralisierung oder der Formulierung von Terramare-Kultur und geschlossener Besiedlung der Apenninen-Halbinsel von Norden, einer Beschwörung großräumiger Kultureinheiten in Bezug auf moderne staatliche Einheit. Als omnipotenter Forscher und Koordinator um eine umfassende Bearbeitung aller Zeitalter bemüht, musste er sich ab 1885 antipositivistischen Tendenzen, welche die sich durchsetzende Gliederung der Zeitstufen nach Oskar Montelius nicht akzeptierten, beugen.

Die Forschungstradition positivistischer Ur- und Frühgeschichte wich zwischen 1901 und dem Faschismus einseitigen reaktionär-idealistischen Tendenzen und ist seither auf einem absteigenden Ast. Nur Spezialgebiete behaupteten sich neben der Forschung zur römischen Antike und fanden Nischen mit Paläolith-Forschung, Eisenzeit und "Etruskologie". In Rom wurde staatstragende Geschichtswissenschaft betrieben, die Naturwissenschaften siedelten sich in der Florentiner Schule an. Diese Teilung brach in den 40er und 50er Jahren einzig Luigi Bernabó Brea mit seinen Forschungen zu Ligurien und den Aeolischen Inseln (GUIDI 2002, 354) auf. Mittelalterarchäologie und Burgenforschung spielten anders als in Deutschland jener Zeit in der Paleoetnologia eine untergeordnete Rolle und scheinen in Friaul vorwiegend ein Phänomen der letzten drei Jahrzehnte zu sein.

Nach dem zweiten Weltkrieg formierten sich in Siena, Florenz, Pisa, Ferrara und Cagliari neue Lehrstühle mit lokalen Schwerpunkten, gefördert von der Christlich-Demokratischen Regierung und ihren Bündnispartnern (Zentralismus und staatliche Einheit weiter betonend). Sie knüpften nach vorhandenen Altertümern und in Abhängigkeit des Sammlungsbestandes der Museen an bereits vor Pigorini gefestigte regionale Gewichtungen an. Der Bruch zwischen den Forschungszweigen ist noch immer nicht überwunden. Durch die Konzentration prozessualer, naturwissenschaftlich orientierter Forschung zur Vorgeschichte in Norditalien und Florenz, traditioneller Theorie und Materialerhebung in Rom und eines postprozessualen Kreises in Neapel, entstand im letzten Viertel des 20. Jh. eine "methodische Anarchie" (GUIDI 2002, 354).

Diese Situation versuchte bereits die 1967 um Ranuncio Bianchi Bandinelli gegründete marxistisch orientierte Gruppe Dialoghi di Archeologia aufzubrechen, die aber fast nur aus Kunsthistorikern und klassischen Archäologen bestand. Eine Ausnahme ist der Prähistoriker Renato Peroni, der die erste sozialwissenschaftliche und ökonomische Rekonstruktion protohistorischer Gesellschaften in Italien vorlegte. Die Zeitschrift Dialoghi di Archeologia konnte der zunehmend regionalen Gewichtung nicht entgegenwirken, formte aber die italienische Forschung, indem sie quantitative Methoden an diese herantrug und alternative Modelle für die Besiedlung Italiens in urgeschichtlicher Zeit propagierte.

Nach der Gründung erster privater Grabungsfirmen/Kooperativen in den 80er Jahren wird seit Mitte der 90er Jahre überwiegend auf dieser Basis archäologische Feldforschung betrieben, da jungen Archäologen kaum noch Arbeitsfelder in den staatlichen Institutionen eingeräumt werden können. Inzwischen wird die Qualität der Arbeit unter den Kooperativen zunehmend bemängelt, was weniger den Archäologen, als wirtschaftlichen Zwängen geschuldet ist (DEMOULE 2004, 168f). Der Verteilung des Fundmaterials über zahlreiche staatliche und private Einrichtungen und Museen weitete sich auf Firmen und die Grabungsdokumentationen aus. Mit einem Besitzanspruch auf wissenschaftliche Verwertbarkeit ist diese einer einheitlichen Erfassung und Verwaltung entzogen und wird mitunter als verloren abgeschrieben.

Nachdem die Regierungsparteien Anfang der 90er Jahre mit Skandalen in die öffentliche Kritik gerieten und separatistische Bewegungen gegen den zentralistischen Staat entstanden, sieht sich die momentan regional geförderte Mittelalterarchäologie Erscheinungen gegenüber, die z.T. mit Sorge beobachtet werden müssen:
Nur in Anpassung an den Trend der Regionalisierung glauben die archäologischen Schulen überleben zu können. Kaum unter Beteiligung von Historikern blüht eine Burgenarchäologie mit zahlreichen, unzureichend publizierten Untersuchungen an mittelalterlichen Burgen und unterschiedlichsten Auffassungen zu deren Ursprüngen.
In der Hoffnung auf eine touristische Vermarktung erhalten Aufbauvorhaben einzelner Gemeinden und eine neue Burgenromantik zusätzliche Impulse, zu Ungunsten einer neutralen Vermittlung von Geschichte.

Durch die anhaltende Bautätigkeit seit dem Erdbeben 1976 und viele Restaurierungsaktivitäten auf privater Basis, engagieren sich verstärkt Architekten und Bauforscher um die Qualität der Rekonstruktionen, weshalb zu Beginn der 80er Jahre das Consorzio per la Salvaguardia dei Castelli Storici dei Friuli-Venezia Giulia als private Denkmalpflegeorganisation gegründet wurde. Um eine breitere Öffentlichkeitsarbeit neben der Bestandsaufnahme bedrohter Substanz bemüht sich seither auch das Istituto per la Ricostruzione del Castello di Chucco Zucco mit sachgerechter Sicherung, Teilrekonstruktion und bis dato ausstehender, archäologischer Erschließung. Handelte es sich anfangs bei den Arbeiten um empirische Studien, da sich die akademische Archäologie aufgrund ihrer Vorgeschichte zurückhielt, wird seit fast zwei Jahrzehnten auf einem hohen professionellen Standard gearbeitet. Durch die Betreuung der Soprintendenza ai Beni Archeologici del Friuli Venezia-Giulia sind allgemeine Vorbehalte gegenüber Burgenforschung in Bezug auf die aktuellen Untersuchungen weitestgehend ausgeräumt. Daher schließt nun auch das Departimento di Storia e tutela deli Beni Culturali der Universität Udine an Untersuchungen auf friulanischen Burgen an und macht sich dabei die erbrachten Vorarbeiten zu Nutze.

Neu ist, dass die Burgen nach der Lösung von der Romzentristik wieder als Resultat der Konfrontation nordisch-germanischer und romanischer Traditionen gedeutet werden. Dem entzog sich selbst Chr. Ulmer nicht (ULMER 1999, 9), der in seinem breit angelegten Bildband Nationalismus und Burgenromantik kritisiert, ohne sich davon zu lösen. Das öffentliche Interesse an Mittelaltergeschichte wird in dieser Hinsicht von der Partei Lega Nord instrumentalisiert. Die Lega, ehemals unter Umberto Bossi, verfolgt im nationalistischen Lager die Errichtung der Republik Padanien. Dabei wird zu propagandistischen Zwecken gern auf die Archäologie zurückgegriffen und Kontinuität zu vermeintlichen Ursprüngen hergestellt.

Die zentralen Bildmotive einer neuen Staatsmythologie wurden einem archäologisch angehauchten Formenkanon entlehnt: ein mittelalterlicher Ritter und ein keltisches Sonnensymbol auf weißem Grund. Die 1982 gegründete Lega Lombarda, Keimzelle der heutigen Lega, griff bereits auf dieses Modell zurück, indem sie sich namentlich auf ein mittelalterliches Städtebündnis gegen die zentralstaatlichen Maßnahmen Friedrichs II. bezog. Aus dem lombardischen Dialekt sollte eine eigene Sprache abgeleitet werden, um mit einer Sprachgemeinschaft nationale Ansprüche, wie des autonomen Alto Adige (Südtirol), einzufordern. Um sich vom ärmeren Süditalien abzugrenzen verschweigt man dezent, dass Friuli-Venezia Giulia erst nach dem Zweiten Weltkrieg als administrative Region künstlich gebildet wurde und 1963 den Sonderstatus einer Autonomie erhielt. Aus Furcht vor der sozialen Differenzierung entstanden im Süden starke neofaschistische Kräfte, die einen antiparlamentaristischen Nationalstaat fordern.

Schizophren ist die Verwendung von Symbolik der 20er bis 40er Jahre, obwohl ein dieser Ära entgegengesetztes Ziel verfolgt wird. Sie zeigt sich in Form öffentlicher Bücher- und Dokumentenverbrennungen (Ausrufung Padaniens 13.-15.09.1996) oder bei Bürgerwehren und Privatpolizeien, die als Camicie Verdi (Grünhemden) an die Schwarzhemden Mussolinis anzuknüpfen suchen. Nach den Wahlerfolgen der Lega bei den Europawahlen (zuletzt 7%, am 13.06.2004 6%) und der Regierungsbeteiligung im Bündnis Polo delle liberté (Pol der Freiheiten) Silvio Berlusconis Forza Italia und der faschistischen Alleanza Nazionale, wurden Regionalpolitik und Ethnoföderalismus auch für andere Parteien (PDS, Olive) zum Thema. Dem biedert sich selbst die universitäre Archäologie (Udine) an und profitiert paradoxer Weise von einer zunehmenden Förderung der Burgenarchäologie.