Slawen im Friaul

In Anbindung zum Samo-Reich (623-658; Böhmen, Mähren, Slowakei und die Lausitz umfassend) existierte zwischen 626 und 658 die marca Vinedorum oder Sclaborum provincia, heute Karantanien genannt (LexMA 5, 1003-1004; Quellen: Fredegar-Chronik (7. Jh.), Historia Langobardorum des Paulus Diaconus (799), Conversio Bagoariorum et Carantanorum (870)).

Diese erste westslawische Herrschaft, mit Zentrum bei Karnburg/Krnsgi grad (Maria Saal) im Kärntner Zollfeld/Gosposvetsko polje (Klagenfurt), umfasste das heutige Slowenien, Istrien, Kärnten, Friuli-Venezia Giulia von den Karnischen Alpen bis zum Tagliamento (wobei die Quellen offen lassen, ob Ostfriaul und Krain in der Frühphase wirklich dazu gehörten) und den Großteil der Steiermark. Die slawisch besiedelten Gebiete nördlich des Alpenkammes im Ennstal und bis zur Schwarza/ Niederösterreich können ebenfalls dazu zählen. Sie wurde von Fürst Boruth dem Kämpfer beherrscht, der 641 den nach der 626 erfolglosen Belagerung Konstantinopels nur langsam wieder erstarkten Awaren Widerstand leisten konnte. Die Einsetzung Cacatius, nach dem Tod seines Vaters Boruth, und später dessen Cousin Cheitmar deutet darauf hin, dass die Slawen im Alpenraum von der freien Wahl eines Herzogs zum fränkischen Erbfolgerecht übergegangen waren. Karantanien geriet, nachdem 745 Bayern gegen die Awaren zu Hilfe gerufen wurden, im Zuge der von Salzburg ausgehenden Christianisierung des 8. Jahrhunderts unter fränkisch-bayrische Oberhoheit und ging in Kärnten auf.

Die Fürsten Gorazd und Hotimir (der Friedwillige) wurden als Geiseln genommen und christlich erzogen. Hotimir lud den irischen Bischof Virgil († 784) aus Salzburg nach Krnsgi grad ein, der zur Missionierung der Slawen Bischof Modestus ausschickte. 811 wurde die Drau zur Missionierungsgrenze, nördlich von der Salzburg und südlich das Patriarchat Aquileia zuständig war. Durch die tolerante irische Mission erhielten sich slawische Elemente und Traditionen, bis hin zur Inthronisierung des Herzogs auf dem Fürstenstein, der Basis einer römischen Säule, nach einem angeblich slawischen Ritual (bis 1414 praktiziert, heute Kärntner Landesmuseum), bei dem ein Wehrbauer (kosez) den Herzog in slawischer Sprache prüfte (Piccolomini/Pius II. (*18.10.1405, † 15.08.1464) in Historia Friderici III. sive Historia Austriaca; LexMA 6, 2191f & Johann von Viktring († 1345/47) in Liber certarum historiarum; LexMA 5, 519f).

819/820 wurden der Süden Kärntens und Friaul von einem Slawenaufstand gegen die Franken erfasst, den Markgraf Balderich unterdrücken konnte. Ludwig I. zog gegen den aufflammenden Widerstand unter Ljudevit Posavski († 823) Truppen aus Bayern und Friaul zusammen, die er in zwei Feldzügen gegen die Slawen führen musste. In Folge übertrug er 828 die fränkische Grafschaftsverfassung auf Karantanien und gliederte es größtenteils Bayern an. Krain (Carniola) wurde abgetrennt und mit einem bayrischen Markgrafen besetzt.

Die slawischen Volksgruppen wurden noch einmal mit der Vergabe Unterpannoniens als Lehen an den aus Nitra/Großmährisches Reich vertriebenen Fürsten Priwina gestärkt. Er sollte die italischen Güter vor Mährern und Bulgaren schützen. Sein Sohn Kocelj nahm die vor den fränkisch-salzburgischen Bischöfen geflohenen Apostel Kyrill und Method in Moosburg am Plattensee auf. Von dort begaben sich diese durch Friaul nach Venedig, um die slawische Kirchensprache gegenüber Hadrian II. zu verteidigen.

Die landbauenden Slawen in Friaul behaupteten ihren Siedlungsraum über die Existenz eigener Herrschaftsgebilde hinaus, obwohl sie aus der Schicht lokaler Herren von bayrischen und schwäbischen Einwanderern verdrängt wurden.
Eine zweite Einwanderungswelle slawischer Bauern setzte nach den Zerstörungen durch die Ungarn im 10. Jh. ein (vgl. SCHULZE-DÖRRLAMM 2002, 109-122/CORBANESE 1984, 156-163). Die Region profitierte vom kulturellen und wirtschaftlichen Kontakt mit den slawischen Nachbarn der 925 vereinten Provinzen Dalmatinisch-Kroatien und Pannonisch-Kroatien, die im 12. Jh. eine Blüte erlebten.

Lokale Herren langobardischen und slawischen Ursprungs waren, trotz der neuen westfränkischen, bayrischen und schwäbischen Kronvasallen und der Verschiebung der Herrschaftsverhältnisse zu ihren Ungunsten, von Umstrukturierungen kaum betroffen, da bereits unter langobardischer Landesverwaltung eine Belehnung nach Vorbild des Frankenreiches stattfand.

Die deutschen Einwanderer trafen im Friaul auf ein verhältnismäßig dichtes Netz landwirtschaftlicher Siedlungen mit slawischer und langobardischer Bevölkerung. Trotz der vorhandenen Landesverwaltung nach fränkischem Modell etablierte sich eine deutschstämmige Elite. Eine Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen fand aber nicht statt, zumal man mit der Integration slawischer Burgmannen bereits bei den fränkischen und später ottonischen Burgen in den nordöstlichen Markenzonen gute Erfahrungen gemacht hatte (HENNING 2002, 143).

Ein Kulturtransfer aus den deutschen Reichsgebieten nach Friaul ist hingegen kaum wahrnehmbar, während z.B. lokale Keramik von den Einwanderern adaptiert wurde. Die vor Ort produzierte "slawische" Keramik der dominierenden ethnischen Gruppe, mit Parallelen in Kärnten, der Steiermark, dem niederösterreichischen Raum, Slowenien, Süddeutschland und der Schweiz, wurde von den neuen Burgherren aus den Lehnbezirken bezogen. Wenn diese Bevölkerungsgruppe vielleicht nicht mit zu den Burgbewohnern der ersten Generation zählte, so wird ihre Mitarbeit bei der Errichtung der Burgen unverzichtbar gewesen sein und mit einem Förderatenstatus wird sie in Folge auch Burgmannen gestellt haben. Dieses Arrangement ist über eine Anpassung von Sprachen und Dialekten in dem bereits im Mittelalter mehrsprachigen Gebiet nachvollziehbar, in dem heute Furlan/Friulisch, Slowenisch, Italienisch und in Resten Deutsch gesprochen wird.

Von der gemeinsamen Kirchensprache abgesehen, die nur den wenigsten eine Verständigungsmöglichkeit bot, war im Mittelalter ein Dialekt der slawischen Sprachfamilie, heute als Slovencina oder Slavo bezeichnet und dem Slowenischen verwandt, die wichtigste Umgangsprache. Noch immer markiert der kleine Fluß Cjanal di Grivo im westlichen Friaul die Grenze zwischen friulanischem und slowenisch-slawischem Sprachraum. In letzterem haben sich sechs verschiedene slawische Dialekte erhalten: das Korosko/Karinthisch oder der Windische/Kärntner slowenische Dialekt wird im Val Canale/Kanalska Dolina gesprochen und gliedert sich je nach Einfluss österreichischer/deutscher Mundarten in drei Unterdialekte: Zilja/Gailtaler Dialekt, Roz/Rosentaler Dialekt und Podjune/Jauntaler Dialekt (STENNER 1997, 18f). Die große Anzahl von Germanismen und die dem Deutschen angeglichene Phonetik und Syntax lassen das Korosko fast als eigenständige Sprache erscheinen. Daneben gibt es noch Primorsko/Littoral, Gorenjsko/Hochkarniolisch, Dolenjsko/Niederkarniolisch, Stajerkso/Steirisch und Panonsko/Pannoninisch.

Dem mittelalterlichen Dialekt der slawischen Bevölkerung wird die heute aus modern-nationalistischer Sicht als regionale Variante des Slowenischen bezeichnete, aber als Ableitung vom Gailtaler Zilja des 13. Jh. angesehene Mundart des Val di Resia/Rezija am nächsten kommen. Erst mit der Abschottung des Raumes nach Norden im 14. Jh. isolierte sich der resianische Dialekt von weiteren deutschen Spracheinflüssen und öffnete sich nach Südosten. Ende des 18. Jahrhunderts traten außerdem verschiedene Elemente aus ganz Europa und dem Mittleren Orient hinzu, da die resianischen Wanderhandwerker einen besonderen Ruf genossen. Dennoch ließen sich in dem abgelegenen Tal durch das frühe Interesse ethnologischer Forschung nur gering modern überformte Kultur- und Sprachtraditionen dokumentieren. In jüngster Zeit wurde das Val di Resia/Rezija durch die aus dem 16. Jh. stammende Musik- und Tanztradition bekannt, die archaische Bräuche bewahrt haben soll (PALETTI 1996).

Als italienische Mittelaltersprache gilt hingegen die lingua occitanica su Friuli, ein aus der französichen lingua d`oc abgeleiteter Dialekt mit enger Verwandtschaft zum modernen Furlan/Friulan, der als epische Hof- und Kunstsprache in Schriftform im 13. Jh. seine Blüte hatte, wobei unbekannt bleibt, ob er überhaupt größere umgangssprachliche Verwendung fand.