Verlorenes Erbe: Mittelalterliche Synagoge in Rothenburg wiederentdeckt

Archäologische Grabung enthüllt Fundamente eines der bedeutendsten jüdischen Zentren Süddeutschlands – Nach Judenpogrom von 1349 wurde die Synagoge 1406 zur Kapelle

Grabungsfläche in Rothenburg
Grabungsfläche mit Fundamenten der romanischen Synagoge. Foto: KT Kohler & Tomo Archäologie

Um das Jahr 1180 entstand in Rothenburg ob der Tauber eines der ältesten jüdischen Viertel in Süddeutschland. Die Stadt galt im Mittelalter als Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit mit überre- gionaler Strahlkraft. Doch von der ersten Synagoge am heuti- gen Kapellenplatz waren bisher nur historische Zeichnungen bekannt, konkretere Belege gab es keine. Nun liefern archäologische Grabungen im Zuge der Neugestaltung des Kapellenplatzes entscheidende neue Erkenntnisse: Die freigelegten Fundamente stimmen in Bauweise, Ausrich- tung und Lage des Haupteingangs bis ins Detail mit den beiden bekannten Abbildungen aus dem 18. Jahrhundert überein. Zusammen mit den überlieferten Schriftquellen lassen sie kaum Zweifel: Bei den Funden handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die erste Synagoge Rothenburgs, die als großer, freistehender Saalbau der Romanik das Stadtbild prägte. Die archäologischen Untersu- chungen erfolgten unter Fachaufsicht des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD), das die wissenschaftliche Auswertung begleitet und den dauerhaften Schutz des Bodendenkmals sicherstellt. 

»Der Fund an dieser Stelle war überraschend, da die Synagoge an anderer Stelle vermutet wurde. Er zeigt einmal mehr den unschätzbaren Wert der Bodendenkmalpflege: Nur dank archäologischer Untersuchungen wie diesen gelingt es uns, die Ge- schichte des europäischen Judentums um einen weiteren Mosaikstein zu ergänzen«, sagt Prof. Mathias Pfeil, Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD). 

Doch erzählt die Geschichte der Synagoge neben der Blüte des jüdischen Lebens auch von dessen Zerstörung. Nach dem verheerenden Judenpogrom von 1349 wäh- rend der Pest fiel die Synagoge wie die übrigen Gebäude der jüdischen Gemeinde an die Stadt Rothenburg. 1404 verkaufte die Stadt das Gebäude an einen örtlichen Patrizier, der es 1406/07 zur Marienkapelle umbauen ließ. Der Kernbau blieb dabei erhalten, unter anderem ergänzt durch eine Apsis im gotischen Stil. 

Mit der Säkularisation wurde die Kapelle 1805 schließlich abgerissen, womit die letzten sichtbaren Reste der Synagoge verschwanden. Zwar entstand bereits wenige Jahrzehnte nach dem Pogrom erneut eine jüdische Gemeinde, zu deren Zentrum entwickelte sich aber die Judengasse im Norden der Rothenburger Altstadt. Die Stadt errichtete auf dem Areal des heutigen Schrannenplatzes eine neue, bescheidenere Synagoge. 

Dr. Markus Naser, Oberbürgermeister von Rothenburg ob der Tauber, sagt: »Die nun freigelegten, massiven Kalkstein- fundamente dieses stattlichen Bauwerks belegen eindrucksvoll, welche Bedeutung Rothenburg im Mittelalter als eines der großen Zentren des Judentums in Süddeutschland hatte. Auch das unrühmliche Ende dieser Ära gehört zu un- serer Stadtgeschichte, die wir weiter erforschen und im Bewusstsein halten wollen.« 

Weiterhin bleiben Fragen zur Entstehungszeit und frühen Baugeschichte der Synagoge offen. Ebenso ist unklar, ob sich entlang der Längswände die sogenannte Frauensynagoge befand, welche möglicherweise im Zuge des Umbaus zur Marienkapelle abgebrochen wurde. Die aktuellen Ausgrabungen beschränken sich auf die Bereiche, die für die geplanten Baumaßnahmen notwendig waren. Die übrigen Teile dieses für die jüdische Geschichte Süddeutschlands so bedeutenden Bodendenkmals bleiben geschützt unter dem neuen Pflaster, das die Struktur des Bodendenkmals oberirdisch abbildet und so dauerhaft sichtbar am Kapellenplatz erhalten bleiben. 

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