Das erste Blau Europas: 13.000 Jahre altes Pigment entdeckt

In einem unscheinbaren Fundstück aus Hessen haben Forscher winzige Spuren von Azurit entdeckt. Der flache Sandstein mit anhaftenden blauen Pigmentresten ist rund 13.000 Jahre alt und stellt den frühesten Nachweis für die Verwendung der seltenen Farbe Blau in Europa dar.

Altsteinzeitlicher Fund mit Pigmentresten aus Mühlheim-Dietesheim
Die drei Bereiche mit blauen Rückständen auf der Sandsteinschicht des Steinartefakts aus Mühlheim-Dietesheim. Der Bereich A stand aufgrund seiner besser zugänglichen Lage auf einer flacheren Stelle des Sandsteins im Mittelpunkt der archäometrischen Analysen. Der Maßstab beträgt 50 mm. Abb.: Wisher et al./ Antiquity, CC-BY 4.0

Der älteste Nachweis blauer Farbe in Europa stammt aus Hessen. Bei einer erneuten Untersuchung eines Fundstücks aus Mühlheim-Dietesheim, das bereits in den 1970er-Jahren entdeckt worden war, fanden Forschende  der Universität Aarhus winzige Spuren von Azurit, einem leuchtend blauen Mineral. Das Artefakt wird auf rund 13.000 Jahre datiert und stammt aus der späten Altsteinzeit.

Das Objekt selbst ist ein flacher Sandstein mit einer deutlich ausgehöhlten, konkaven Vertiefung. Jahrzehntelang galt es als sogenannte »Öllampe«, ein Deutungsmuster, das für ähnliche Funde üblich war. Bei genauerer Betrachtung fanden sich an der Oberfläche des Steins jedoch Rückstände, die sich mit bloßem Auge nicht erkennen ließen. Erst mithilfe hochauflösender Analysemethoden wie Röntgenfluoreszenz und Rasterelektronenmikroskopie konnte gezeigt werden, dass es sich um Partikel von Azurit handelt.

Die blauen Reste befinden sich vor allem am inneren Rand der Vertiefung, was darauf hindeutet, dass der Stein als Palette oder Arbeitsfläche genutzt wurde. Hier könnten die Pigmente zermahlen oder mit Flüssigkeiten angerührt worden sein. Damit verändert sich auch die Interpretation des Artefakts: Statt als Lampe diente es vermutlich der Vorbereitung von Farben.

Der Nachweis ist wissenschaftlich bedeutsam, da bislang nur rote und schwarze Pigmente in der europäischen Steinzeit belegt waren. Blau galt als »fehlende« Farbe, zumal es schwieriger herzustellen und seltener in der Natur verfügbar ist. »Die Entscheidung für Blau war vermutlich nicht zufällig – Farbe hatte symbolische Bedeutung«, betont Projektleiterin Hanne Lovise Aannestad von der Universität Aarhus.

Da in der Region keine Höhlenmalereien bekannt sind, vermuten die Forscher, dass das Pigment auf andere Weise verwendet wurde – möglicherweise für Körperbemalung, für organische Materialien wie Textilien oder für rituelle Objekte, die nicht erhalten geblieben sind.

Die Entdeckung erweitert das Bild der kulturellen Praktiken im späten Paläolithikum. Sie zeigt, dass die damaligen Menschen mit einem komplexeren Farbspektrum arbeiteten, als die heutige archäologische Überlieferung vermuten lässt. Der Fund von Mühlheim-Dietesheim macht deutlich: Schon vor 13.000 Jahren griffen Menschen bewusst zu einer Farbe, die auch heute noch als besonders und selten gilt – dem Blau.

Mikroskopaufnahme der blauen Farbrückstände
Mikroskopische Aufnahme von blauen Rückständen in Nanogröße, direkt neben sichtbaren Konzentrationen, die dem Bereich A in Abbildung 1 entsprechen. B zeigt den Bereich im weißen Rechteck unter stärkerer Vergrößerung. Abb.: Wisher et al./ Antiquity, CC-BY 4.0
PIXE-Analyse der blauen Farbrückstände
Ergebnisse der PIXE-Analyse, die einen der kartierten Bereiche mit blauen Rückständen (A) und die entsprechende Kupfer-Heatmap für diesen Bereich (B) zeigen. Der Ausschnitt hat eine Größe von 2000 × 2000 µm² und eine Pixelgröße von 25 × 25 µm. Abb.: Wisher et al./ Antiquity, CC-BY 4.0
Karte: Lage der Fundstelle und altsteinzeitliche Abbaustellen für Ocker und Feuerstein
Karte der Umgebung von Mühlheim-Dietesheim mit bekannten Azurit-Fundorten im Rhein-Main-Flusssystem und zeitgenössischen Fundstätten für Ocker- und Feuersteinabbau aus dem Jungpaläolithikum in Mitteleuropa. Abb.: Wisher et al./ Antiquity, CC-BY 4.0
Ältester Nachweis für die Verwendung blauer Farbe in Europa
Publikation

Wisher I, Birch T, Andreasen R, et al.

The earliest evidence of blue pigment use in Europe

Antiquity. 29.09.2025
DOI: 10.15184/aqy.2025.10184
https://www.cambridge.org/core/journals/...

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