Mittelalterlicher Zahnstein entpuppt sich als Fundgrube

Mikrobiologen erforschen die Besiedlungsgeschichte des Menschen durch Bakteriengemeinschaften

Forscher des Zentrums für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich und Fachkollegen entdeckten im Zahnstein von eintausend Jahre alten Skeletten eine hohe Konzentration von Erbsubstanz und zahlreiche Krankheitserreger. Dabei stellte sich heraus, dass im Mittelalter Parodontitis wohl von den gleichen Erregern wie heute verursacht wurde.

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Mittelalterlicher Zahnstein
Zahnstein bei einem Mann, der im Mittelalter in Dalheim lebte. Christina Warinner, UZH

Die Entdeckung beruht auf den ausserordentlichen Eigenschaften von mineralisiertem Zahnstein–Bakterien, durch die Nahrungsreste und andere Substanzen auch über Hunderte von Jahren sehr gut erhalten bleiben. Im Gegensatz zu Knochenmaterial, welches nach dem Tod relativ rasch verunreinigt wird und die meiste Erbsubstanz verliert. »Zahnstein wirkt wie ein Langzeitspeicher für die bakterielle Mundflora, sowie für Nahrungs- und Umweltpartikel«, erklärt Christina Warinner, vormals an der Universität Zürich und mittlerweile an der Universität Oklahoma tätig. »Daraus können wir Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand eines Individuums ziehen und erhalten Hinweise über den Lebensstil und persönliche Vorlieben.«

Die Wissenschaftler fanden im Zahnstein zahlreiche opportunistische Krankheitserreger, sowie die Auslöser von Parodontitis. Im wesentlichen waren es die gleichen Erreger, welche auch heute noch diese Krankheit verursachen, trotz deutlicher Veränderungen bei Zahnhygiene und Ernährung.

Wie sich weiter herausstellte, besaß die mittelalterliche Mundflora bereits zahlreiche Genfamilien, welche Antibiotika-Resistenzen ausbilden können – und dies mehr als acht Jahrhunderte vor dem ersten therapeutischen Einsatz von Antibiotika. Neben Hinweisen auf den Gesundheitszustand fanden die Wissenschaftler auch Erbsubstanz-Spuren von Nahrungsbestandteilen, darunter verschiedene Nutzpflanzen und Gemüse, welche mit üblichen archäologischen Methoden sonst nur schwer nachzuweisen sind.

Erstmals konnten im Rahmen dieser Studie größere Mengen Erbsubstanz aus mittelalterlichem Zahnstein isoliert und entschlüsselt werden. Dabei konnten wesentliche Teile des Genoms eines Parodontose-Bakteriums rekonstruiert werden, und es wurde erstmals Erbmaterial von Nahrungsbestandteilen gefunden.

Millionen-Puzzle

Die Analyse des hochkomplexen Gemisches von fragmentierter Erbsubstanz stellt eine enorme Herausforderung dar, weil Millionen von anonymen Einzelfragmenten zusammengesetzt werden müssen, ähnlich wie bei einem grossen Puzzle. Dafür kommen komplexe Algorithmen und Verfahren der Bioinformatik zum Einsatz. Professor Christian von Mering, Ko-Autor der Studie und Arbeitsgruppenleiter am Schweizerischen Institut für Bioinformatik sowie an der Universität Zürich, freut sich über die Herausforderung: »Für uns ist dies ein sehr spannendes Material – Zahnstein ist ein Fenster in die Vergangenheit, und möglicherweise eine der best-zugänglichen Quellen für historische Bakterien im Umfeld des Menschen.«

Wie Professor Matthew Collins von der Universität York erklärt, wusste man bereits, dass Zahnstein mikroskopisch kleine Nahrungsbestandteile und auch Partikel aus der Umgebung enthält. »Der hier gefundene Detailreichtum ist eindrücklich. Die Mundflora wird eingeschlossen und versteinert, fast wie die Opfer von Pompeji.«

Die Entdeckung weist den Weg zu einem besseren Verständnis von Zahn- und Zahnfleischerkrankungen und zeigt auf, wie sich die menschliche Mundflora historisch entwickelt und angepasst hat. »Wir brauchen die Information über die historische Besiedlung des Menschen mit Bakteriengemeinschaften», sagt Prof. Frank Rühli, einer der Hauptverantwortlichen der Studie und Leiter des Zentrums für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich. »So können wir die moderne Medizin weiterentwickeln.«

Publikation

Christina Warinner et al..
Pathogens and host immunity in the ancient human oral cavity.
Nature Genetics. Doi:10.1038/ng.2906

Labor
Christina Warinner an der Arbeit im Zentrum für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich Christina Warinner, UZH