Der Weg der steinzeitlichen Wüstennomaden

Tübinger Archäologen beenden ihre 6. Grabungskampagne im arabischen Emirat Sharjah

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Bei ihrer jüngsten Grabungskampagne im Emirat Sharjah, das zu den Vereinigten Arabischen Emiraten gehört, haben Tübinger Archäologen unter der Leitung von Prof. Hans-Peter Uerpmann auf einem steinzeitlichen Friedhof weitere Hinweise auf das Leben der Nomaden vor rund 7000 Jahren untersucht. Nun will der Herrscher des Emirats einen Teil der prähistorischen Funde direkt an der Grabungsstelle in ein neues Museum integrieren.

Sharjah hat weniger Einwohner als manche deutsche Großstadt, doch es bildet ein eigenes Emirat innerhalb der Vereinigten Arabischen Emirate. 1995 wurden dort am Fuße des Jebel-al-Buhais, einem Bergzug in dem heißen Sand- und Felswüstengebiet zwischen dem Persisch-Arabischen Golf und dem Golf von Oman, bei Ausgrabungen zahlreiche menschliche Skelette aus der Steinzeit gefunden. Prof. Hans-Peter Uerpmann vom Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen erhielt den Auftrag, die Grabungen fortzusetzen. Nicht, dass der Herrscher über das Emirat, Scheich Dr. Sultan bin Muhammad al Qasimi, an den steinzeitlichen Spuren auf seinem Staatsgebiet kein Interesse hätte. "Das kleine Emirat hatte einfach keine für diese Aufgabe ausgebildeten Archäologen", erklärt Uerpmann. Seither hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Emirat und den Tübinger Forschern entwickelt. Der Scheich hat auch die sechste Grabungskampagne finanziell gefördert.

Die Grabungsstelle am Jebel-al-Buhais ist für die Besiedlungsgeschichte der Arabischen Halbinsel von besonderer Bedeutung. Eine frühe Nomadenbevölkerung hat dort im 5. Jahrtausend v. Chr. ihre Toten bestattet und zahlreiche andere Zeugnisse ihres Lebens hinterlassen. Die Überreste von Tieren geben auch Hinweise auf die Wirtschaftsweise der frühen Menschen. Der Herrscher des Emirats Sharjah will nun einen Teil der prähistorischen Funde direkt am Grabungsort unter einem Kuppelbau konservieren. Auch bisher schon nimmt die einheimische Bevölkerung regen Anteil an den Ausgrabungen. "Für die Menschen dort ist die Erforschung ihrer Vorfahren auch eine identitätsstiftende Suche", meint Uerpmann. Denn die Grenzen der Emirate sind keine natürlichen Grenzen mit einer in sich geschlossenen Bevölkerung. Bei der jüngsten Grabungskampagne fanden die Tübinger Forscher unter den zahlreichen Skeletten einen Schädel mit einer so genannten Trepanation, Zeichen einer Schädeloperation zu Lebzeiten des Menschen. Mit der Öffnung der Schädeldecke wurde damals vermutlich versucht, geistige Erkrankungen zu behandeln. "Der Trepanations-Fund hat in der einheimischen Presse starkes Aufsehen erregt, weil er davon zeugt, dass medizinische Kenntnisse und Kultur der dortigen steinzeitlichen Menschen ein hohes Niveau hatten", so der Wissenschaftler.

Als der Ur- und Frühgeschichtler Uerpmann 1996 mit den Grabungen am Friedhof am Jebel-al-Buhais begann, hatte er auf eine solche Fundstelle schon lange gewartet. "Der Wüstenboden ist für organische Reste wie Knochen sehr ungünstig. Von unten steigt auch dort ständig Feuchtigkeit nach oben, die den Knochen angreift. Von den wenigen Pflanzen werden das Wasser und die Knochenmineralien begierig aufgesogen", so Uerpmann. Die Knochen werden bei diesen Bodenprozessen aufgelöst. An der Grabungsstelle waren die Verhältnisse anders, weil die Knochen dort so dicht gepackt sind: Rund tausend Skelette vermutet der Forscher auf einer Fläche von nur etwa 30 Metern im Durchmesser: "Dort ist die Bodenchemie zu Gunsten der Knochen verändert." Über rund 7000 Jahre sind die Überreste der Menschen erhalten geblieben. Etwa 350 mehr oder minder vollständige Skelette haben die Tübinger inzwischen geborgen.

Um den Friedhof herum haben die Forscher über hundert Feuerstellen entdeckt, die sich zum Teil überlagern. In ihrer Nähe liegen flache Haufen von so genannten Kochsteinen, die als Wärmespeicher und Grillrost gedient haben. "In diesen Haufen fanden sich auch tierische Reste von Mahlzeiten, Tierknochen, die für die Wirtschaftsweise aufschlussreich sind. Bisher wurden leider keine Nahrungspflanzen, Körner oder Früchte in der Asche gefunden", sagt der Archäozoologe. Vielleicht haben sich die Menschen allein von Fleisch ernährt? Uerpmann hält das für unwahrscheinlich, zumindest ein geringer pflanzlicher Nahrungsanteil sei bei Menschen verschiedener Kulturen immer dabei. "Wir vermuten, dass die Menschen Milch von Ziegen und Schafen, nicht aber von Rindern getrunken haben." Zwar sind von allen drei Tierarten Skelettreste vorhanden. Doch die Altersprofile der Knochen lassen genauere Rückschlüsse zu: "Wenn man Tiere melken möchte, lässt man sie acht bis zehn Jahre alt werden, sodass sie im Laufe ihres Lebens mehrere Junge bekommen. Hier waren jedoch nur unter den Schafen und Ziegen viele alte weibliche Tiere."

Die Erkenntnis, dass die frühen Menschen am Jebel-al-Buhais Nomaden waren, war auch für die Wissenschaftler überraschend. "Die Einschätzung, dass es ohne einen Anteil sesshafter Menschen kein Nomadentum geben könne, ging schon auf die Bibel zurück. Sie wurde von vielen renommierten Forschern geteilt. Bei dem Friedhof war jedoch weit und breit kein Dorf oder Anzeichen von Architektur zu finden", sagt der Wissenschaftler. Lediglich einige undeutliche Pfostengruben wurden vielleicht für Zelte oder für den Sonnenschutz verwendet. Ein Hinweis auf die nomadische Lebensweise war der Schmuck, der bei zahlreichen Toten als Grabbeigabe lag: Die weißen Korallen, Austernperlen, Schnecken und Muscheln stammten eindeutig aus dem rund 60 Kilometer entfernten Meer. "Natürlich wäre es vorstellbar, dass die Menschen den Schmuck durch Handel erworben hatten", sagt Uerpmann. Doch zu diesem Hinweis auf nomadische Wanderungen gesellten sich bald neue. So gab es Sekundärbestattungen, das heißt, mehr als ein Drittel der Gräber enthielten Knochenbündel, auf denen der Schädel beigesetzt war: "Das ist keine anatomische Anordnung, es ist davon auszugehen, dass die Knochen als Bündel hergeschafft worden sind. Diese Menschen sind also an anderer Stelle gestorben und dort verwest, bevor ihre Knochen zum Jebel al-Buhais gebracht und dort endgültig bestattet worden sind."

Außerdem fehlten unter den Tierresten solche von Jungtieren mit weniger als drei Jahren. "Die Herde hätte sich aber ohne Schlachtung von Jungtieren explosionsartig vergrößert, sodass diese an einem anderen Ort geschlachtet worden sein müssen", erklärt der Archäozoologe Uerpmann. Die Annahme einer nomadischen Lebensweise wird durch Fundplätze an der Küste gestützt, die ebenfalls keine großen Siedlungen waren. "Wahrscheinlich haben sich die Nomaden mindestens noch in einem dritten Gebiet aufgehalten", sagt der Forscher. Uerpmann vermutet weitere Lagerplätze in höheren Bergregionen im Süden oder Südwesten. So wären etwa die benachbarten, bis 3000 Meter hohen Berge im Oman im Sommer klimatisch angenehm gewesen. "Um diese Vermutung zu bestätigen", so Uerpmann, "müssten wir grenzüberschreitend weitere Untersuchungen machen."

Vor zwei Jahren haben die Forscher am Grabungsplatz am Jebel-al-Buhais auch eine fossile Quelle gefunden. "Der Fund würde erklären, woher die Menschen damals das Wasser nahmen", so der Forscher. Prof. Augusto Mangini vom Heidelberger Institut für Umweltphysik hat bei der diesjährigen Grabung Proben genommen, die bei der Datierung der inzwischen längst versiegten Quelle helfen sollen. Viele der geborgenen Skelette von Mensch und Tier wurden nach Tübingen transportiert und sollen hier genauer untersucht werden. Uerpmann will die Wanderungsbewegungen der frühen Nomaden in Zusammenarbeit mit dem Tübinger Geochemiker Prof. Muharrem Satir auch an der Aufnahme unterschiedlicher Strontium-Isotope in die Knochen nachweisen. Geologisch gesehen handelt es sich bei den Lagerplätzen der prähistorischen Menschen um gut unterscheidbare Regionen. Besonders in den Zähnen spiegelt sich die Aufnahme unterschiedlicher Strontium-Atome wider: "Bildlich gesprochen wird im Kindesalter an jedem Lagerplatz ein Zahn gebildet, daran lassen sich dann die Wanderungen geochemisch nachvollziehen", sagt Uerpmann.

Quelle: Uni Tübingen (idw)