Der »schiefe Turm« von Vreden

LWL-Archäologen erforschen Vredener Stadtgeschichte

Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) graben derzeit im Vredener Stadtzentrum an der Burgstraße. Dabei haben sie die Fundamente eines mächtigen Turmes der bischöflichen Burg freigelegt. Risse im Mauerwerk deuten darauf hin, dass der Turm im sandigen Untergrund abgesackt ist. Die Ausgrabung zeigt, dass es Baumängel auch schon im Mittelalter gab.

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Der schiefe Turm von Vreden
Die Reste der bischöflichen Burg liegen dicht unter der heutigen Oberfläche. Die fast quadratischen Grundmauern des Turmes werden Stück für Stück freigelegt. Foto: LWL/B. Grundmann

Wo heute das barocke Herrenhaus als Teil des Vredener Rathaus steht, befand sich bis zum Jahr 1699 die bischöfliche Burg. Teile dieser Anlage konnten nun im Vorfeld der Umgestaltung des Rathausumfeldes und damit verbundenen Kanalarbeiten untersucht werden. Dabei stießen die Archäologen unter anderem auf die Reste des Burgturms. 

Die Fundamente des Turms sind nach gegenwärtigem Forschungsstand noch bis in eine Tiefe von über zwei Metern erhalten. Der Turm ist mit sechseinhalb mal siebeneinhalb Metern im Grundriss fast quadratisch. Damit bestätigt die Ausgrabung alte Zeichnungen der Anlage.
Die Mauern haben eine Stärke von bis zu anderthalb Metern und bestehen aus einer Mischung aus Back- und Bruchsteinen. »Wie für das Mittelalter typisch, ist die Mauer in der sogenannten Zweischalentechnik gebaut«, erläutert Grabungsleiterin Birgit Grundmann von der LWL-Archäologie für Westfalen. »Diese Technik hatte den Vorteil, dass im Zwischenraum der beiden Mauerschalen auch minderwertige Bruchsteine verwendet werden konnten.«

Auffällig ist, dass die Fundamente an der Nordseite mehrere Setzungsrisse aufweisen, die über 10 Zentimeter breit sind. »Offensichtlich ist der Turm im sandigen Untergrund einseitig abgesackt und neigte sich in der Folge zum Wassergraben«, so Grundmann. Möglicherweise konnte die Grabungstechnikerin damit die Erklärung finden, warum die Wehranlage in zeitgenössischen Karten als »schiefer Turm« bezeichnet wird. »Die Ausgrabung zeigt, dass die Archäologie auch in Epochen, für die schriftliche und bildhafte Quellen vorliegen, wichtige Aussagen liefern kann.«

Die Expertin erkennt in dem Mauerwerk verschiedene Bauphasen. Der Turm wurde offenbar erst nachträglich in die 1398 errichtete Burgmauer integriert und wiederholt umgebaut. Wahrscheinlich waren mehrfach Reparaturen notwendig. Die genaue Bauzeit des Turms ist bislang noch unklar. Unter den Fundamenten könnte sich noch ein hölzerner Pfahlrost befinden. Die Wissenschaftler hoffen, anhand von Holzproben eine genaue Datierung ermitteln zu können.

Darüber hinaus kamen weitere Spuren der Burg zutage. Grundmann legte auch einen aus Backstein gemauerten Kanal mit gewölbter Decke frei, dessen Breite im Inneren einen Meter beträgt. Solche Kanäle dienten zur Ableitung von Niederschlägen und Abwässern aus dem Innenbereich der Burg in den Graben. Aus Backstein bestand auch ein Brunnen, der jedoch von einem Abwasserkanal aus den 1970er Jahren weitgehend zerstört ist. 

Die Ausgrabung an der Burgstraße wird voraussichtlich noch vor Monatsende abgeschlossen sein. Unmittelbar anschließend folgt eine weitere Grabung an der Kreuzung zur Gartenstraße. Hier vermuten die LWL-Archäologen eine Toranlage der Stadtmauer. 
Die erste Stadtbefestigung wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet, als Vreden die Stadtrechte erhielt. Im Zuge der Errichtung der Burg wurde 1398 ein Teil dieser Befestigung abgerissen. Die neue Stadtmauer wurde unter Einbeziehung der Burg weiter nördlich verlegt. Der Verfall der Burg begann in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Schriftliche Quellen berichten wiederholt von Reparaturarbeiten, bis die Anlage schließlich im Jahr 1699 abgerissen wurde.

Die archäologische Ausgrabung ist ein weiterer bedeutender Baustein zur Erforschung der Stadtgeschichte Vredens. Die LWL-Archäologie für Westfalen hat in den letzten jahren wiederholt in Vreden gegraben, stets in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Vreden und dessen Erstem Vorsitzenden Guido Leek. Dank der engen Abstimmung mit der Stadt können die wissenschaftlichen Untersuchungen frühzeitig in die Planungen einbezogen werden. Stück für Stück ergibt sich so ein Gesamtbild der frühen Entwicklung von Vreden.

Vreden war im Hoch- und Spätmittelalter eine überregional bedeutsame Stadt. Der Mittelpunkt der Siedlung war ein in karolingischer Zeit gegründetes hochadeliges Damenstift, das zu den vornehmsten Westfalens zählte. Als seine berühmteste Vorsteherin berief Kaiser Heinrich II. im Jahre 1014 Adelheid, Tochter Ottos II. und Schwester Ottos III. Sie war gleichzeitig Äbtissin der ebenfalls dem Kaiser unterstellten Damenstifte Quedlinburg und Gernrode. Im Jahr 1024 war Vreden sogar Schauplatz reichspolitisch bedeutsamer Ereignisse, als der neu gewählte König Konrad II. auf seinem Umritt hier einzog, um an den Gräbern der gemeinsamen Vorfahren die Verbindung der sächsischen und fränkischen Herrscherhäuser zu demonstrieren. Mittlerweile hatte sich um das Stift herum die Marktsiedlung Vreden entwickelt. In den folgenden Jahrhunderten bauten zunächst der Erzbischof von Köln und schließlich dessen siegreicher obsiegender Konkurrent der Bischof von Münster Vreden zur Stadt aus.

Grabung Vreden im Luftbild
Im Luftbild lässt sich erkennen, dass die Reste der bischöflichen Burg nicht weit von der heutigen Pfarrkirche St. Georg liegen, die mehrere mittelalterliche Vorgängerbauten hat. Foto: LWL/R. Klostermann