Die geretteten Götter - temporäres Tell Halaf-Museum eröffnet

Seit heute ist im Nordflügel des Pergamonmuseum eine Ausstellung zu sehen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: Viele Jahre galt die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Berliner Tell Halaf-Sammlung Max von Oppenheims mit ihren monumentalen Steinbildern als unwiederbringlich verloren.

Max von Oppenheim
Max von Oppenheim in seinem Reisezelt (Tell Halaf 1929). © Oppenheim-Stiftung

In einer Zusammenstellung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen über die Verluste der öffentlichen Kunstsammlungen in Mittel- und Ostdeutschland zwischen 1943 und 1946 hieß es dazu 1954: „Das Tell-Halaf-Museum ist als Ganzes zugrunde gegangen.“

In den vergangenen neun Jahren hat eine kleine Gruppe von Archäologen und Restauratoren das Unmögliche gewagt und die 3000 Jahre alten Bildwerke aus den sichergestellten Trümmern wieder erstehen lassen. Dazu mussten in einem beispiellosen Restaurierungsprojekt des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin etwa 27.000 Basaltbruchstücke begutachtet, identifiziert, zusammengesetzt, mit Epoxydharz verklebt und in Teilen ergänzt werden.

Unter dem Titel „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“ soll das Lebenswerk Max von Oppenheims, einer der faszinierendsten Forscherpersönlichkeiten in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts, gewürdigt und wieder bekannt gemacht werden. Auf der Hauptgeschossebene des Nordflügels lassen sorgfältig ausgewählte Exponate eine längst vergangene Welt lebendig werden. Gestalterisch werden konzeptionelle Elemente aus dem ehemaligen Tell Halaf-Museum mit Bilddokumentationen und einem Zeitzeugenbericht verbunden, um den besonderen Charme des „verborgenen Veilchens“, wie Oppenheim sein Museum auch nannte, zu verdeutlichen. Gleichwohl symbolisiert die Inszenierung den kulturellen Verlust, der mit der Zerstörung verbunden war. Der Dramatik des 23. November 1943 ist ein eigener Bereich gewidmet. Mit Hilfe visueller und akustischer Effekte wird hier die Nacht des Luftangriffs virtuell simuliert und die katastrophalen Folgen für die Bildwerke aufgezeigt. Der Bericht einer Zeitzeugin zu den Nachbergungen Anfang der 1950er Jahre bildet den Übergang zum Restaurierungsprojekt. Die hier gezeigten Paletten mit Fragmenten sollen dem Besucher einen ursprünglichen Eindruck von der Menge und Vielfalt der Bruchstücke geben.

Das Zentrum der Ausstellung bildet der sog. Schlütersaal, der bis vor kurzem noch die römischen Kopien der Antikensammlung beherbergte. Auf goldenen Podesten erheben sich grandiose Tierbasen, Säulen in Göttergestalt, Fabelwesen sowie Reliefplatten mit Darstellungen aus der Mythologie und des realen Lebens. Mit seinen Denkmälern kündet dieser Raum nicht nur von dem Können der antiken Bildhauer, sondern auch von der Leistung der Wissen- schaftler und Restauratoren. Zu den besonderen Attraktionen der Ausstellung gehört eine Leihgabe aus dem Nationalmuseum Aleppo, die zum ersten Mal das Land verlassen durfte. Nach der Rekonstruktion der damaligen Ausgräber stand das Bildnis auf einer Löwin im Eingang des Palastes, um mit Gemahl und Sohn den Türsturz zu tragen. Zum ersten Mal nach 83 Jahren ist die göttliche Familie wieder vereint! Vor der Aufstellung konnten der Göttin noch neun Fragmente angepasst werden, die bei der Fundteilung 1927 irrtümlich nach Berlin gelangt waren.

Neben dem Schlütersaal wird unter der Überschrift „Kultraum“ der Umgang mit den Toten im Vorderen Orient beleuchtet. 1912 hatte man in unmittelbarer Nähe des Grabungshauses eine Anlage mit Steinbildern und kostbaren Kleinfunden entdeckt, die mit dem Totenkult in Verbindung gebracht wurde. Verlässt man den Schlütersaal, wird der Besucher vom Anblick einer monumentalen Sitzfigur gefangen genommen ─ Oppenheims „thronende Göttin“! Nach eigenem Bekunden zählte diese monolithische Skulptur zu einer seiner größten Entdeckerfreuden am Tell Halaf. Im Zusammenhang mit diesem Bildnis, das über einem Grabschacht mit Brandbestattung stand, wird noch einmal das Thema Bestattungen aufgegriffen. Wen die Verstorbene verkörpert, bleibt ihr Geheimnis.

Wie lebte man vor 8000 Jahren am Tell Halaf, als Töpfer zum ersten Mal eine qualitätvolle Keramik herstellten, die durch ihre charakteristische Bemalung für eine ganze Epoche namengebend werden sollte? Wie lebte man 4000 Jahre später, als Halbnomaden sich auf dem Tell Halaf neu ansiedelten und einzigartige Bildwerke schufen? In einem kulturhistorischen Überblick wird diesen Fragen nachgegangen und zugleich erklärt, warum Springmäuse den Aus- gräber verwirren können. Hörbeispiele traditioneller Musik, 1913 in Ras el Ain aufgenommen, und in Spiritus eingelegte Schlangen und Eidechsen sowie Vogelbälge stehen für den interdisziplinären For- schungsanspruch, mit dem Oppenheim seine Grabungen führte. Dem Sammler Max von Oppenheim ist schließlich eine eigene Station gewidmet. Wie reich seine Wohnung am Kurfürstendamm oder das Orient- Forschungs-Institut ausgestattet waren, belegen historische Fotoalben und eine Auswahl von ethnologischen und islamischen Artefakten.

Vorgeschichte

Als Max von Oppenheim (1860─1946) im November 1899 auf einem unscheinbaren Hügel im Quellgebiet des Habur, dem größten Nebenfluss des Euphrat, die Überreste eines Fürstenpalastes entdeckte, konnte er noch nicht ahnen, dass er zehn Jahre später seinen Diplomatenrock ausziehen und Ausgräber werden würde. Von 1911 bis 1913 und 1929 legte er am Tell Halaf spektakuläre Paläste, Gräber und Grüfte frei, die damals sogar die Grabungsergebnisse von Babylon und Assur in den Schatten stellten.

Nach der Fundteilung 1927 verfügte Oppenheim über eine einzigartige Sammlung, die er gerne im neuen Pergamonmuseum ausgestellt hätte. Doch die Verhandlungen mit den Staatlichen Museen scheiterten letztlich an den Folgen der Weltwirtschaftskrise: Die von Oppenheim geforderte „Aufwandsentschädigung“ konnte die Staatskasse nicht aufbringen. So machte der Privatgelehrte aus der Not eine Tugend und richtete in einer ehemaligen Fabrikhalle in Berlin-Charlottenburg, Franklinstraße 6, ein eigenes Museum ein. Als eines der frühesten Beispiele einer Umnutzung von Industriebauten für kulturelle Zwecke rief das private Tell Halaf-Museum nach seiner Eröffnung am 15. Juli 1930 unterschiedliche Reaktionen in der Öffentlichkeit hervor. Während Oppenheim selbst und mit ihm die meisten Zeitungen von einem Provisorium ausgingen, schrieb der Kunsthistoriker Paul Ferdinand Schmidt (1878─1955) in den Sozialistischen Monatsheften 1930, dass sich mit dem Tell Halaf-Museum ein „Gegenstück zu jenem Architekturschrecken [das Pergamonmuseum, die Verf.] aufgetan“ habe und „eine Völkerwanderung zu diesem originellen Museum einsetzen“ müsste. Das „originelle“ Museum entsprach vortrefflich dem neuen Zeitgeist, der durch Nüchternheit in der Inszenierung und Einrichtung gekennzeichnet war.

Dieses interessante Museumsexperiment endete in der Bombennacht am 23. November 1943 mit der Zerstörung des Tell Halaf Museums. In den Flammen verbrannten alle Ausstellungsstücke aus Kalkstein und die großartige Palastrekonstruktion aus Gips. Die Bildwerke aus Basalt sollten, durch das Feuer immer noch stark erhitzt, unter dem Löschwasser in tausende Fragmente zerbersten. Trotz der hoffnungslosen Lage nach dem Verlust seiner Sammlung schrieb Max von Oppenheim 1944: „Es wäre ja großartig, wenn tatsächlich die Stücke, in welche die einzelnen Steinbilder zerborsten sind, gesammelt nach den Staatlichen Museen gebracht und später einmal wieder zusammengefügt werden könnten.“ Die weitsichtige Entscheidung, noch während der Kriegshandlungen die Trümmer der Basaltbildwerke aus der Museumsruine zu bergen und in die Keller des Pergamonmuseums zu bringen, hat knapp 60 Jahre später zu einem der erfolgreichsten Restaurierungsprojekte der Staatlichen Museen geführt.

Aufrichtung der Skorpionenvogelmänner
Aufrichtung der Skorpionenvogelmänner (1912). © Oppenheim-Stiftung
Eingang des Tell Halaf-Museums
Eingang des Tell Halaf-Museums in der Franklinstraße 6 (1930er Jahre). © Oppenheim-Stiftung
Tell Halaf-Fragmente nach der Bergung
Tell Halaf-Fragmente nach der Bergung (undatiert). © SMB, Vorderasiatisches Museum
Die kleine Sortierhalle
Die kleine Sortierhalle in Berlin-Friedrichshagen (März 2003). © SMB, Foto: Olaf M. Teßmer
Ergänzung fehlender Partien am Kopf des Löwen
Ergänzung fehlender Partien am Kopf des Löwen vom Eingang des Westpalastes (August 2006). © SMB, Foto: Olaf M. Teßmer
Entdeckung der monumentalen Grabfigur
Entdeckung der monumentalen Grabfigur am 12. März 1912. © Oppenheim-Stiftung
Farbretuschen an den ergänzten Zöpfen der Grabfigur
Farbretuschen an den ergänzten Zöpfen der Grabfigur (August 2008). © SMB, Foto: Nadja Cholidis, Berlin
Grabfigur, Oppenheims „thronende Göttin“
Grabfigur, Oppenheims „thronende Göttin“ (2010). © SMB, Foto: Olaf M. Teßmer
Große Reliefplatte vor der Zerstörung des Tell Halaf-Museums (1930er Jahre)
Große Reliefplatte vor der Zerstörung des Tell Halaf-Museums (1930er Jahre, oben, © Oppenheim-Stiftung) und nach der Wiederherstellung aus etwa 900 Fragmenten (2010, unten, © SMB).
Große Reliefplatte nach der Wiederherstellung aus etwa 900 Fragmenten (2010).
© Oppenheim-Stiftung: © Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung, Köln; © SMB: © Staatliche Museen zu Berlin
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