Mittelalterliche Bestattungen an der Ratzeburger Allee entdeckt
Im Rahmen der derzeit laufenden Baumaßnahmen in der Ratzeburger Allee zur Herstellung des Radschnellweges, kam es am es am 11. September 2025 zu einem Knochenfund. Eine strafrechtliche Relevanz konnte seitens der Polizei schnell ausgeschlossen werden, so dass umgehend mit den archäologischen Untersuchungen begonnen werden konnte. Bereits jetzt ist klar, dass die Funde in direktem Zusammenhang mit dem ehemals östlich des Mühlentellers an der Ratzeburger Allee befindlichen mittelalterlichen St. Jürgen-Siechenhauses, ein sogenanntes Leprosorium, stehen.
Siechenhäuser vor den Stadttoren schützten Bevölkerung im Mittelalter vor Krankheiten
Siechenhaus war vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit im deutschsprachigen Raum die Bezeichnung für eine Form des Krankenhauses für schwer oder unheilbar erkrankte Menschen. Die Siechenhäuser lagen meist vor der Stadt beziehungsweise außerhalb von Ansiedlungen, aber nahe an Straßen und Flüssen, damit den Erkrankten Almosen gebracht werden konnten. Zu jedem Siechenhaus gehörten eine Kapelle und ein Friedhof.
Das ehemalige Lübecker St. Jürgen-Siechenhaus mit dazugehöriger Kapelle und Friedhof lag unmittelbar vor dem äußeren Mühlentor im Süden der Hansestadt. Die Anlage entstand wahrscheinlich nach 1260, als Bischof Johannes III. von Tralau eine allgemeine Ordnung für die Leprosen des Bistums Lübeck erließ. Dies geschah vermutlich auf Bitten des Lübecker Rates zur Vorbereitung eben eines solchen Leprosoriums in Lübeck. Hierzu passt die 1294 durch Bischof Burchard erlassene Verfügung, die Leprosen »extra muros civitates Lubicenses murantibus« (außerhalbe der Mauern der Stadt Lübeck) zu belassen. Die Anlage wurde in der so genannten Wullenweverschen Revolte von 1534 zerstört und erst 1540 bis 1542 erneut aufgebaut, bevor sie ca. 90 Jahre später der verstärkten Stadtbefestigung weichen musste und vollständig abgebrochen wurde. Ein Nachfolgebau (geweiht 1646) steht heute noch weiter stadtauswärts an der Ratzeburger Allee kurz vor der Querung der Wallbrechtstraße. Die ursprüngliche Anlage geriet nach und nach in Vergessenheit.
Bisherige Funde belegen vielfältige Krankheitsbilder, aber keine Lepra
Die Lübecker Archäologie hat im Bereich des mittelalterlichen St. Jürgen-Siechenhauses schon mehrmals durch Bauvorhaben veranlasste Untersuchungen durchgeführt. Zuletzt wurden 2018 im Zuge von Leitungsverlegungen der Entsorgungsbetriebe Lübeck Skelettreste und intakte Gräber des zu diesem Siechenhaus gehörenden Friedhofs erfasst, archäologisch untersucht und dokumentiert. Die Skelette wurden für weitere Untersuchungen geborgen. Die bisher durchgeführten molekulargenetischen und osteologischen Analysen haben jedoch keine Hinweise für eine Lepraerkrankung ergeben. Die über die Fragestellung hinausgehenden paläopathologischen Beobachtungen zeigen, dass die Krankheitsbilder vielfältig sind. Auch weist die demographische Zusammensetzung des Skelettkollektives eher auf einen Bevölkerungsquerschnitt als auf ausgewählte Gruppen hin, es wurden hier Menschen jeden Alters und Geschlechts bestattet. Es ist möglich, dass der St.-Jürgen-Komplex nach oder während seiner Funktion als Leprosorium zur allgemeinen Krankenversorgung genutzt wurde, was mit seiner Ansprache als Siechenhaus übereinstimmen würde.
Lediglich vereinzelte Gräber am ehemaligen Friedhofsrand vermutet
2018 wurden im weiteren Verlauf der Bauarbeiten in Richtung Stresemannstraße keine Bestattungen mehr angetroffen worden, sodass wir vom Ende des Friedhofs ausgegangen waren. Jetzt zeigt sich, dass sich der Friedhof wohl doch noch weiter nach Osten erstreckte als bisher bekannt, da bei den aktuellen Kanalarbeiten im Bereich der Stresemannstraße beziehungsweise östlich davon Skelette angetroffen wurden. Es handelt sich um einzelne, soweit bekannt, West-Ost orientierte Grabgruben etwa 1,30 Meter unter der heutigen Oberfläche. Schwach vorhandene Holzreste sprechen dafür, dass die Toten in Holzsägen bestattet wurden. Wie 2018 werden die Gräber wissenschaftlich dokumentiert, geborgen und ebenfalls genauer untersucht. Erst dann wird sich zeigen, ob diese Bestattungen in der gleichen Zeit wie die damals geborgenen niedergelegt wurden und die erhobenen Ergebnisse bestätigen, ergänzen oder weitere neue Gesichtspunkte liefern.
Keine Bauverzögerungen durch archäologische Arbeiten erwartet
Da die archäologischen Untersuchungen vor Ort noch nicht abgeschlossen sind, ist die Anzahl der zu erwartenden Bestattungen noch nicht bekannt. Ersichtlich ist aber schon jetzt, dass der Umfang nicht die Dimensionen wie 2023 in der Hüxtertorallee annehmen wird, sodass zur Zeit nicht von einer Verzögerung der Bauarbeiten ausgegangen wird.
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