Vulkane mitschuldig am Zusammenbruch chinesischer Dynastien?

Vulkanausbrüche sollen in den letzten 2000 Jahren regelmässig zum Sturz chinesischer Dynastien beigetragen haben. In einer interdisziplinären Studie unter Beteiligung der Universität Bern werden erstmals vulkanische Klimaschocks eindeutig als eine der Ursachen für die Zusammenbrüche identifiziert.

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Der Tang-Kaiser Xuanzong, einer der bekanntesten Kaiser von China, flieht von Chang'an in die Provinz Sichuan, um der Gewalt während des An-Lushan-Aufstands 755 n. Chr. zu entkommen
Der Tang-Kaiser Xuanzong, einer der bekanntesten Kaiser von China, flieht von Chang'an in die Provinz Sichuan, um der Gewalt während des An-Lushan-Aufstands 755 n. Chr. zu entkommen. (Abb.:The Yorck Project, 2002)

Wenn Vulkane ausbrechen, hat das einschneidende Folgen fürs Klima – und damit für die Gesellschaft. Grosse Eruptionen erzeugen eine Schwefelsäurewolke, die ein oder zwei Jahre lang einen Teil des Sonnenlichts blockiert. In Asien kann das unter anderem zu kalten Sommern im Norden und einem schwächeren Monsun und damit zu weniger Niederschlag im Süden führen, was beides die Ernteerträge verringert.

Welch dramatische Folgen die vorübergehende Abkühlung und die schlechten Ernten in China während den beiden letzten Jahrtausenden hatten, zeigt eine internationale Studie, die soeben in der Fachzeitschrift «Communications Earth & Environment» erschienen ist. Erarbeitet wurde sie von Forschenden aus den Bereichen Geschichte, Klimaforschung, Vulkanologie sowie von Eiskernspezialistinnen und -spezialisten. Von der Universität Bern war Michael Sigl, Assistenzprofessor für Klima- und Umweltphysik und Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung an der Untersuchung beteiligt. Er sagt: «Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass es in China nach Vulkanausbrüchen deutlich wahrscheinlicher war, dass Dynastien zusammenbrachen. Diese Ursache hat System.»

Allerdings, so gibt Umweltchemiker Michael Sigl zu bedenken, seien die Zusammenhänge und Wechselwirkungen komplex: Einerseits sind Dynastien anfälliger für einen Zusammenbruch, wenn es bereits Kriege und Konflikte gibt. Andererseits werden Konflikte wahrscheinlicher, wenn eine klimatische Abkühlung zu Missernten führt. Kommt dazu: «Grössere Eruptionen können zu einer doppelten Gefährdung der Ernte durch ausgeprägte Kälte und Trockenheit während der Wachstumsperiode führen.» Die Auswirkungen könnten durch Folgen wie Viehsterben, beschleunigte Bodendegradation und höhere Ernteschäden durch Schädlinge noch verschlimmert werden.

Die Forschenden rekonstruierten insgesamt 156 explosive Vulkanausbrüche von 1 n. Chr. bis 1915. Sie stützen sich dabei auf Eisbohrkerne aus Grönland und der Antarktis, in denen sie erhöhte Schwefelkonzentrationen nachwiesen und datierten. Parallel dazu wurden historische Dokumente aus China zu 68 Dynastien analysiert. Bis vor wenigen Jahren konnten Eiskerne aus den Polarregionen noch nicht mit der nötigen Genauigkeit datiert werden, um den Zusammenhang zwischen Eruptionen und den gesellschaftlichen Umbrüchen klar zu erkennen. Heute aber lassen sich erhöhte Schwefelkonzentrationen für die letzten 2000 Jahre auf zwei Jahre genau bestimmen.

Der Vergleich von Daten aus historischen Quellen und Umweltarchiven führte zu differenzierten Resultaten. Die Forschenden zeigen, dass kleinere, von Vulkanen ausgelöste Klimaschocks zum Zusammenbruch von Dynastien führen können, falls der politische und sozioökonomische Druck auf ein politisches Regime bereits hoch ist. Grössere Schocks hingegen können zu Untergang führen, auch wenn zuvor kein erheblicher Stress vorhanden ist. Weitere Faktoren, die zum Zusammenbruch einer Dynastie beitragen, sind schlechte Führung, Korruption in der Verwaltung und demografischer Druck.

Was lässt sich aus der Rolle, die vergangene Vulkanausbrüche für gesellschaftliche Umwälzungen gespielt haben, für die Gegenwart lernen? «Die Eruptionen im 20. und 21. Jahrhundert waren viel kleiner und seltener als viele der Ausbrüche im kaiserlichen China», erklärt Michael Sigl, «aber auch solche Vulkanereignisse können grosse Folgen haben.» So könnten etwa die lediglich mässigen Eruptionen in den 1970er bis 1990er Jahren zusammen mit menschlichen industriellen Schwefelemissionen zu Dürren in der Sahelzone beigetragen haben. Sie forderten in dieser wirtschaftlich marginalisierten Region rund 250.000 Todesopfer und trieben 10 Millionen Menschen in die Flucht. Entsprechend gehen die Autorinnen und Autoren der Studie davon aus, dass künftige grössere Eruptionen in Verbindung mit dem Klimawandel in einigen der bevölkerungsreichsten und am stärksten marginalisierten Regionen der Erde tiefgreifende Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben könnten.

Prof. Dr. Michael Sigl Physikalisches Institut, Klima- und Umweltphysik (KUP) / Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR), Universität Bern
Prof. Dr. Michael Sigl Physikalisches Institut, Klima- und Umweltphysik (KUP) / Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR), Universität Bern (Foto: zvg)