Vielschichtige Ausgrabungen in Marsberg-Westheim abgeschlossen

In- und ausländische Archäologen haben unter der Fachaufsicht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Marsberg (Hochsauerlandkreis) die Überreste zahlreicher Gebäude aus verschiedenen Zeiten freilegen können. Pfostenlöcher und Gruben weisen auf hölzerne Bauten hin, so genannte Pfostenbauten. Aus welcher Epoche die ältesten dieser Gebäude am Ort sind, ist ungewiss. Sie stammen aber spätestens aus der Völkerwanderungszeit, dem 5./6. Jahrhundert nach Christus.

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Grabungsgelände Marsberg-Westheim
Auf dem großen Gelände des Gewerbegebietes Westheim II bei Marsberg brachten Archäologen die jahrtausendealte Besiedlungsgeschichte ans Tageslicht. Foto: W. Bracht

Anlässlich der geplanten Erweiterung des Gewerbegebietes Westheim II seit dem Frühjahr hatten die Fachleute großflächig gegraben. Auf der Gesamtfläche von 34.000 Quadratmetern haben die Wissenschaftlerinnen Siedlungsspuren gefunden, die auf eine mehr als tausendjährige Besiedlung des Ortes im westfälischen Bergland hinweisen, der als mittelalterliches Dorf »Dörpede« bekannt ist.

»Diese früheste Besiedlung bestand aus einzelnen Höfen. Es scheint, dass der Ort mehrfach verlassen und wieder aufgesucht wurde«, berichtete Prof. Dr. Michael Baales, Leiter der LWL-Archäologie für Westfalen in Olpe. »Einer der spannendsten Funde ist eine spätrömische Keramikscherbe aus dem 5. Jahrhundert nach Christus.« Sie hat einen mattglänzenden roten Überzug und ist der so genannten Terra sigillata zuzuordnen. »Das ist ein besonders hochwertiges Tafelgeschirr und ist als importierte Ware aus dem späten Römischen Reich in unserem Gebiet sehr selten«, ergänzt Baales. 

»Eine mehr oder weniger kontinuierliche Besiedlung, die vielleicht schon echten Dorfcharakter hatte, scheint im 9. oder 10. Jahrhundert eingesetzt zu haben. Die Menschen errichteten weiter noch ausschließlich Pfostenbauten nach althergebrachter Art«, erläutert die LWL-Archäologin Dr. Eva Cichy die Befunde. Im Hohen Mittelalter hatte Dörpede dann wirklich dörflichen Charakter. Als »villa Durpehte« wird es im 11. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Die frühesten Steinfundamente auf dem Grabungsgelände können die Wissenschaftler in das 13. Jahrhundert datierten. »In dieser Zeit gingen die Bewohner scheinbar dazu über, langlebigere Fachwerkbauten auf steinernen Fundamenten zu errichten«, schließt Cichy. 

Darüber hinaus sind Reste eines gepflasterten Weges gefunden worden, der auf eine Kirche zulief, die bereits bei Grabungen in den Jahren 2003/2004 lokalisiert werden konnte. Den Fachleuten zufolge belegen zahlreiche Hufeisenfunde eine rege Nutzung dieses Weges. Darüber hinaus stießen sie auf eine Vielzahl von Brunnen. Auch ein hölzerner Brunnenkasten hat sich aufgrund der guten Bedingungen erhalten.

Was für die Fundüberlieferung gut war, stellte sich für die Grabungsarbeiten als nicht immer einfach heraus. Im Überschwemmungsgebiet des Flusses Diemel lagerten sich im Laufe der Zeit immer wieder neue Sedimentschichten ab. Der Querschnitt durch den Boden gleicht daher einer Torte: Zwischen Sedimentschichten liegen Ebenen, die den Siedlungsphasen unterschiedlicher Epochen entsprechen. Die komplizierten Schichtabfolgen hatten zur Folge, dass die Archäologen die einzelnen Grabungsflächen in mehreren Etappen untersuchen mussten, teilweise bis 2 m unterhalb der heutigen Geländeoberfläche.

Grabungsleiter Stephan Deiters erläutert die komplizierte Befundsituation: »Die wenigen Siedlungsreste, die wir aus dem späten Mittelalter haben, liegen interessanterweise auf einem auffällig hohen Bodenniveau. Möglicherweise hat das bekannte Magdalenenhochwasser von 1342, das in ganz Mitteleuropa verheerende Überschwemmungen anrichtete, auch hier zu massiven Zerstörungen geführt.« Anhand der Fundschichten ist abzulesen, dass nach dieser Katastrophe teilweise ein Wiederaufbau des Dorfes auf dem Boden stattfand, der beim Hochwasser angeschwemmt wurde.

Die Überflutungen waren nicht die einzigen Katastrophen, die Dörpede heimsuchten. Brandschichten zeugen davon, dass immer wieder zu verheerenden Feuersbrünsten gekommen ist. Auch die schriftlichen Quellen berichten von einem Brand im Jahr 1496, der große Teile des Dorfes zerstört haben soll. 

Einen Grund dafür sieht das Archäologie-Team in der feuergefährlichen Metallverarbeitung von Eisen und Kupfer, für die es bei seinen Untersuchungen zahlreiche Belege in Form von Schlacken und auch Öfen gefunden hat. »Neben einfachen Metallfunden haben wir auch mehrere Fibeln und Münzen entdeckt. Bei einem der Verarbeitungsöfen haben wir sogar ein schönes kleines Kruzifix freigelegt, dass vielleicht vor Ort hergestellt worden ist«, freut sich Cichy. »Außerdem haben wir einen wunderschönen Kamm aus Knochen gefunden.«

Bereits im Vorjahr hatten Archäologen ein System von sogenannten Suchschnitten auf dem Areal angelegt. Schon damals stießen sie auf Siedlungsreste vom 4. bis zum 16. Jahrhundert. Insgesamt 1.200 Jahre Stadtgeschichte liegen damit im Boden von Marsberg-Westheim verborgen. Nachdem diese Spuren jetzt abschließend untersucht und dokumentiert sind, kann das Gewerbegebiet »Westheim II« errichtet werden.

Mittelalterlicher Steinweg
Deutlich hebt sich der mittelalterliche Steinweg ab, den die Archäologen freigelegt haben. Foto: Salisbury Archäologie GmbH
Schnitt durch Brunnen
Dieser Schnitt durch einen Brunnen zeigt, wie tief die Archäologen ins Erdreich vorgedrungen sind. Foto: Salisbury Archäologie GmbH
Ofen zur Metallverarbeitung
Mehrere Öfen für die Metallverarbeitung wurden bei der Grabung freigelegt. In diesem wurde ein Kruzifix gefunden. Foto: Salisbury Archäologie GmbH
Kruzifix
Dieses kleine metallene Kruzifix könnte direkt vor Ort hergestellt worden sein. Foto: Salisbury Archäologie GmbH
Knochenkamm
Die Archäologen fanden auch einen geschnitzten Knochenkamm. Foto: Salisbury Archäologie GmbH