Subfossiler Wald in Zürich entdeckt

Ein subfossiler Wald, der über dreizehntausend Jahre im Zürcher Schlamm konserviert geblieben ist, erweitert die Perspektiven für die mitteleuropäische Jahrring-Chronologie. Forscher der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL haben bis heute rund 200 Kiefernstümpfe geborgen.

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Daniel Nievergelt und Fritz Schweingruber wählen Proben aus dem Holz aus, das an die WSL transportiert wurde. (Foto: WSL / Gottardo Pestalozzi)
Daniel Nievergelt und Fritz Schweingruber wählen Proben aus dem Holz aus, das an die WSL transportiert wurde. (Foto: WSL / Gottardo Pestalozzi)

Schon viele Entdeckungen sind dem Zufall zu verdanken. Kürzlich geschehen in Zürich, als Daniel Nievergelt, Jahrringforscher an der WSL, einen Blick in eine Baustelle am Südrand von Zürich warf. Dass die Hoffnung auf einen spektakulären Fund nicht ungerechtfertigt war, wusste er aus der Zusammenarbeit mit seinem 2012 verstorbenen Arbeitskollegen Felix Kaiser: Dieser hatte schon 1999 beim Aushub des Uetliberg-Autobahntunnels subfossiles, also nicht oder nur teilweise versteinertes Holz gefunden.

Tatsächlich lagen am Rand der lehmigen Baugrube im Quartier Binz einige Baumstrünke. Die Bauarbeiter hatten sie zum Holzabfall geworfen. Bei näherem Hinsehen erkannte sie der Forscher als Kiefern. Sofort unterzog er sie mit Kollegen der WSL einer näheren Untersuchung und schickte drei Proben an die ETH Zürich mit Bitte um eine C14-Datierung. Dies bestätigte seine Vermutungen: Dem Holz wurde ein Alter zwischen 12846 BP und 13782 BP Jahren zugeschrieben. Mit Unterstützung der Bauleitung erreichten die WSL-Forscher bis heute die Bergung von rund 200 Kiefernstümpfen, die sie in mehreren Lastwagenladungen an die WSL transportieren liessen. Qualität und Dimensionen des Fundes sind nach dem Kenntnisstand der beteiligten Forscher weltweit einmalig.

Die WSL betreibt das international grösste Labor für Jahrringforschung (Dendrochronologie). Die neusten Funde reihen sich in eine weltweite Sammlung von Umweltarchiven ein und können wichtige Puzzleteile zu Forschungsfragen beitragen: Wie war das Klima nach der letzten Eiszeit? Welche Ereignisse haben die Landschaft um Zürich, aber auch jene der Erde, geprägt? In welcher genetischen Beziehung stehen die Binz-Kiefern mit ihren heutigen Verwandten? Zudem könnte der prähistorische Wald in der Binz auch zur Kalibration der C14-Kurve beitragen.

Jahrringe, Zustand und Lage der gefundenen Baumstrünke erlauben Schlüsse über vergangene Temperatur- und Niederschlagsschwankungen und zeugen von Störungen wie Feuer, Stürmen oder Erdbeben. Die Dichte und die chemische Zusammensetzung des Holzes kann Hinweise über Klima und Luftzusammensetzung in der Vergangenheit geben. Und seit kürzerem erlauben DNA-Analysen, die Abstammung der Bäume zu verfolgen.

Die WSL-Forscher sägen nun aus jedem verwertbaren Strunk drei Baumscheiben und analysieren Holz und Ringe in den eigenen Labors sowie bei Partnern. Als erstes werden sie versuchen, die mitteleuropäische Jahrring-Chronologie zu ergänzen. Diese Datenreihe enthält absolut datierte Jahrringe bis zurück zum Jahr 12594 BP. Die bisherigen Funde in Zürich bewegten sich in der Zeit von 12700 BP bis 14100 BP. Durch Vergleich von Jahrringmustern wird nun versucht, die Überlappungen zu finden, die es für eine absolute Datierung braucht. Die Forscher hoffen, mit den neu gefundenen Hölzern eine Lücke in der bisherigen Chronologie zu schliessen und diese um rund 2000 Jahre zu verlängern. So oder so sind die in Zürich gewonnen Hölzer und die Daten aus deren Analysen von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert. In der Tradition eines offenen wissenschaftlichen Austausches wird die WSL die Daten nach und nach öffentlich zu Verfügung stellen. Zum Beispiel über die International Tree-Ring Data Bank (ITRDB), deren Inhalt seit Jahrzehnten auch durch viele Daten aus dem WSL-Jahrringlabor und seinem Gründer, Fritz Schweingruber, genährt wurde.