Neue Erkenntnisse zur Herkunft der marmornen Deckplatte des Grabmals Ottos des Großen im Magdeburger Dom
Bereits bekannt war zu Beginn der Arbeiten, dass die Deckplatte des kassettierten Kalksteintroges aus einem wiederverwendeten antiken Werkstück aus Marmor besteht. Nach ihrer Abnahme konnten erstmals die Unterseite und genauen Maße der mit dunklen Bänderungen durchzogenen weißen Marmorplatte dokumentiert werden.
Um Rückschlüsse auf die Frage zu erhalten, aus welcher antiken Lagerstätte ihr Rohmaterial stammte, konnten mit Walter Prochaska und Vasiliki Anevlavi vom Österreichischen Archäologischen Institut an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wien) und Vilma Ruppiene vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Ruhr-Universität Bochum ausgewiesene Spezialisten auf dem Gebiet der Herkunftsbestimmung antiker Marmore gewonnen werden.
Die ersten Ergebnisse dieser Forschergruppe werfen ein aufschlussreiches neues Licht auf die Deckplatte. Bisherige Veröffentlichungen hatten vermutet, dass es sich bei ihrem Material um Carrara- oder Cipollino-Marmor aus den Apuanischen Alpen (Italien) beziehungsweise von der Insel Euböa (Griechenland) handelte. Dieses auf einer sehr kleinen Probe beruhende Ergebnis konnte durch die laufenden Untersuchungen jedoch nicht bestätigt werden.
Für die neuen Analysen wurden an zwei Stellen repräsentative Proben entnommen. Es handelte sich um jeweils einen Bohrkern mit etwa 1,5 cm Durchmesser aus dem weißen Bereich sowie aus einer dunklen Lage der Platte. Dünnschliffe dieser Proben wurden unter dem Mikroskop einer petrographischen Analyse unterzogen, um Aufschluss über die mineralogischen Charakteristika des Marmors zu erhalten. Daneben wurde das Gestein auf seine isotopische und chemische Zusammensetzung hin untersucht. Zu deren Auswertung kamen komplexe statistische Methoden zur Anwendung. Das Ergebnis wurde mit einer etwa 7.500 Steinbruchproben aus den klassischen antiken Lagerstätten des Mittelmeerraums, aus Norditalien und dem Ostalpenraum enthaltenden Datenbank abgeglichen.
Die Ergebnisse aller angewandten Untersuchungen belegen eindeutig, dass der Marmor der Grabplatte aus den Lagerstätten von Prokonnesos (heute Marmara-Insel, Türkei) stammt. Seit der archaischen Epoche (7./6. Jahrhundert vor Christus) bis heute wird hier hochwertiger Marmor abgebaut. Der prokonnesische Marmor ist weiß und weist streng begrenzte graue Bänder von unterschiedlicher Intensität und selten auftretender Verfaltung auf. Üblicherweise wurden die Werkstücke in der Antike so geschnitten, dass die Bänderung der Längsachse folgte. Die bei der Grabplatte Ottos vorliegende Struktur von eng verfalteten Bändern mit aufgelösten und gezackten Rändern schräg zur Längsachse wurde wohl erst in der Spätantike Mode.
Zahlreiche Beispiele für prokonnesische Marmore dieses Typs sind unter anderem aus der Hagia Sophia in Istanbul, San Marco in Venedig und besonders aus Ravenna bekannt. Dort kamen sie zur Wandverkleidung mit Marmorplatten, als Bodenbelag und in Form von Säulen zum Einsatz. Da sich Otto I. etwa 10 Jahre seines Lebens in Oberitalien aufhielt, kann es als sehr wahrscheinlich gelten, dass die Grabplatte von dort als Spolie nach Magdeburg gelangte. Eine Lieferung als neues Werkstück direkt aus den Steinbrüchen der Prokonnesos ist aus logistischen und politischen Gründen höchst unwahrscheinlich, zumal bereits für Karl den Großen überliefert ist, dass er Spolien aus Rom und Ravenna holen musste, da er sie sonst nicht bekommen konnte.






