Das Internet als Rettungsanker für bedrohte Sprachen

FU-Romanist Guido Mensching fördert mit einem Internetprojekt den Erhalt der sardischen Sprache und Kultur

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Professor Dr. Guido Mensching, Romanist an der Freien Universität Berlin, will dazu beitragen, das Verschwinden der sardischen Minderheitssprache zu verhindern. Um sein Ziel zu erreichen, bedient er sich des modernsten Mediums: dem Internet. Die ersten sardischen Internetseiten Europas stellte der Sprachwissenschaftler 1994 ins Netz: "Limba e curtura de sa Sardigna". Die Resonanz war so überraschend groß, dass Mensching den Internetauftritt zu einem Forschungsprojekt ausgedehnt hat, das er an der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Institut für Sprachliche Informationsverarbeitung der Universität zu Köln umsetzt. "Die Seiten im Netz sind eine Art virtuelles sardisches Dorf", meint Mensching. Denn in den Foren wird nicht nur auf sardisch diskutiert. Die Sarden tragen hier auch kulturelles Wissen und zahlreiche Texte zusammen. Das reicht von Kochrezepten, wie man sardisches Brot backt, über juristische Urkunden aus dem Mittelalter bis zu Märchen, Sagen und von den Internet-Teilnehmern selbst verfasster Dichtung. Die datenbankartig installierten Texte können weltweit abgerufen, verwendet und ausgewertet werden. "Viele Sarden, die aus ökonomischen Gründen im Ausland leben, können ihre Abgerissenheit von der Heimat auf den sardischen "Home-Sites" ausgleichen", glaubt Mensching. So entstand im Januar 1999 die stark frequentierte und bisher einzige Mailing-Liste "Sa-Limba" zur Förderung der sardischen Sprache und Kultur. Das Internet-Projekt "Limba e curtura de sa Sardigna" ist heute die weltweit größte Web-Site des Sardischen.

 

Unter den romanischen Sprachen ist das Sardische ein Exot, scheint sich doch in ihm die lateinische Sprache teilweise in einer recht ursprünglicheren Form erhalten zu haben. Doch die noch nicht vollständig erforschte Sprache ist vom Aussterben bedroht. Sie wird vor allem in den ländlichen Gebieten Sardiniens gesprochen. Moderne Medien und die Zugehörigkeit zu Italien verdrängen das Sardische immer stärker zugunsten der Nationalsprache.

Mensching, der ein Lehrbuch zur sardischen Sprache publiziert hat, interessiert vor allem, wie das Medium Internet mit seinen spezifischen Eigenschaften dazu beitragen kann, Minderheitssprachen zu erforschen. Ein Vorteil der Kommunikation im Internet etwa ist, so Mensching, dass sie eher der gesprochenen als der geschriebenen Sprache ähnelt. Denn da keine allgemeine Schriftsprache des Sardischen existiert und sardisch zudem in vielen verschiedenen Dialekten gesprochen wird, stößt die konventionelle Sprachforschung an Grenzen. "Die Sprache ist von Dorf zu Dorf anders. Es sind nicht einmal alle Wörter bekannt, geschweige denn erfasst", erklärt der Sprachwissenschaftler. Deshalb eröffnet das Internet ganz neue Chancen. Bestimmte Teilgebiete des Sardischen lassen sich erstmalig systematisch und großflächig erfassen: "Es ist sehr spannend zu beobachten, wie die Sarden im Netz schreiben. Die elektronisch archivierten Sprachdaten mit der spontanen Orthographie und Wortwahl der sardischen Internauten schafft eine neue Textbasis, die auch mit elektronischen Mitteln sehr genau untersucht werden kann", erklärt Mensching.

Abgesehen von einem relativ kleinen Zeitraum im Mittelalter war das Sardische praktisch nie offizielle Landessprache: Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. werden die Sarden zum ersten Mal in den Quellen erwähnt. Ab 900 v.Chr. dominierte die Kultur der phönizischen Siedler auf der Insel. Dann folgten die Römer, die das Phönizische und die ursprünglichen, heute unbekannten Sprachen Sardiniens verdrängten. Das Bauern- und Hirtenvolk nahm die lateinische Sprache an, aus der hier in insularer Abgeschiedenheit das Sardische entstand, das die katalanische, spanische und italienische Herrschaft überdauerte und sich bis heute erhalten konnte. Einen frühen Versuch, das Sardische zur Schrift- und Literatursprache zu erheben, machte übrigens eine Frau: die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Grazzia Deledda. 1891 schreibt sie in einem Brief: "Bald werde ich zwanzig sein. Mit dreißig will ich mein großes Ziel erreicht haben; aus mir selbst heraus eine Literatur zu schaffen, die rein und ausschließlich sardisch ist." Doch ihre sardischen Zeitgenossen akzeptieren die schriftstellerische Arbeit einer Frau nicht und verweigern die Hilfe beim Sammeln überlieferter Gedichte und Gesänge. Schließlich geht Deledda in die Literaturstadt Rom, wo sie Romane auf italienisch verfasst.

Mit seinem Projekt will Mensching das angeschlagene sprachliche Selbstbewusstsein der Sarden wieder rehabilitieren. Wie wichtig es ist, das Sardische als eine normale Sprache anzuerkennen, konnte Mensching auf einem Vortragsabend des sardischen Kultur-Zirkels Berlin erfahren. Alle Vorträge wurden bei diesem offiziellen Anlass auf italienisch gehalten. Erstaunt, begeistert und ein wenig beschämt reagierten die Mitglieder, als Mensching seine Rede auf sardisch hielt. "Das Sardische ist eine Sprache wie jede andere auch", betont Mensching. "Dass die Sarden dies teilweise nicht wahrhaben, ist ein soziologisches, ja sogar psychologisches Problem." Die Chatprogramme und Web-Sites können deshalb für Mensching den besonderen Stellenwert und die Aktualität der sardischen Sprache sichtbar machen und den Sarden dazu verhelfen, ihre kulturelle Identität zu leben und neu zu entdecken.

Weitere Informationen finden Sie unter:

http://www.lingrom.fu-berlin.de/sardu.html

http://www.sardanet.de

Quelle: FU Berlin (idw)