Wassermühlen von Barbegal erzeugten vermutlich Mehl für Schiffszwieback

Die Wassermühlen von Barbegal in Südfrankreich gelten als eine der ersten Industrieanlagen in der Geschichte der Menschheit. Der Komplex aus 16 Wasserrädern stammt aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. und wurde bis zum frühen 3. Jahrhundert zur Vermahlung von Getreide genutzt. Schätzungen zufolge konnten täglich 25 Tonnen Mehl erzeugt werden – ausreichend für die Ernährung von mindestens 27.000 Menschen. Eine neue Studie zeigt, dass die riesigen Mengen Mehl wohl kaum zur Versorgung der Bevölkerung im nahen Arles dienten, wie bisher vermutet wurde, sondern zur Herstellung von Schiffszwieback für die Häfen in der Region.

Ansicht der Anlage von Barbegal im Jahr 2018
Ansicht der Anlage von Barbegal im Jahr 2018 (Foto/©: Robert Fabre, Saint Etienne du Grès, Frankreich)

"Die Wasserräder standen regelmäßig für zwei bis drei Monate im Jahr still, meistens im späten Sommer und Herbst", erklärt Prof. Dr. Cees Passchier von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Das deckt sich mit den Zeiten des römischen Schiffsverkehrs, der typischerweise im Spätherbst eingestellt wurde." Die Wissenschaftler um Passchier verwendeten Kalkablagerungen aus den Wassermühlen, die Ende der 1930er Jahre in einem französischen Museum eingelagert und bislang nie untersucht wurden.

Die Welt der Griechen und Römer galt lange als eine Zeit, in der technologische Innovation und Entwicklung stagnierten. Archäologen entdeckten jedoch in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche römische Mühlenanlagen, die den beträchtlichen Fortschritt besonders auf dem Gebiet der Hydraulik und die Nutzung von Wassermühlen bereits ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. dokumentieren. Barbegal ist ein ganz besonderer Fall: Der Komplex stellt die früheste und soweit bisher bekannt auch die größte industrielle Nutzung von Wasserkraft in der Antike dar und gilt als ein technologisches Meisterwerk. Vergleichbares gab es weder zu Zeiten Roms noch in asiatischen Kulturen.

Die Mühlen von Barbegal wurden zwischen 1937 und 1939 ausgegraben. Ursprünglich wurde angenommen, dass sie Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. gebaut wurden und der Produktion von Mehl für die römische Verwaltung, das Militär und die Bevölkerung von Arles dienten. Allerdings blieben bis heute viele Fragen offen, vor allem weil die Anlage schlecht erhalten ist. Die Ruinen stammen von dem Gebäude, aber von den eigentlichen Mühlwerken aus Holz ist nichts erhalten geblieben. "Heute können wir dank moderner Labortechnik und interdisziplinärer Zusammenarbeit zahlreiche offene Fragen beantworten", erklärt Dr. Gül Sürmelihindi, Erstautorin der Studie.

Die Wissenschaftler hatten die Möglichkeit, Kalkablagerungen aus den in Arles eingelagerten Fragmenten zu analysieren. Diese Karbonate, die sich ehemals auf Mühlrädern oder in Wasserrinnen abgelagert hatten, konnten die Jahrhunderte überdauern, während sich die Holzkomponenten zersetzt haben. Die Kalkablagerungen wurden makro- und mikroskopisch sowie durch Isotopenanalyse untersucht. Die Isotopenverhältnisse von Sauerstoff und Kohlenstoff liefern den Geowissenschaftlern Informationen über die Dauer der Nutzung und Angaben über das Klima, die Wassermenge der Quellen und deren Variation.

Damit sind einzigartige Erkenntnisse über die Verwendung der Mühlen, ihren Unterhalt und die schlussendliche Dekonstruktion der industriellen Anlage möglich. "Zum Beispiel sehen wir an den Fragmenten, dass sie nicht das gleiche Alter haben. Das heißt, einzelne Holzteile sind zur Reparatur ersetzt worden. Wir können jetzt sagen, wann genau das erfolgt ist", teilte Passchier mit. So stellte die Forschergruppe anhand der Isotopenanalyse fest, dass die Mühlen nicht kontinuierlich während des gesamten Jahres in Betrieb waren, sondern alljährlich im Spätsommer und Herbst angehalten wurden. Damit ist keine kontinuierliche Versorgung einer Stadtbevölkerung möglich.

In der Antike wurde das Getreide meist lokal vermahlen – zu Hause, in Bäckereien oder in kleineren Wassermühlen. Mehl wurde in der Nähe des Endverbrauchers erzeugt, weil es nicht so lange haltbar war wie die Getreidekörner. Wenn die Großproduktion von Barbegal aber nicht für den baldigen Verbrauch einer größeren Stadtbevölkerung diente, dann deutet die Nähe zu den Häfen von Arles und Fossae Marianae vielleicht auf eine andere Bestimmung hin. Aus dem Mehl wurde, so die Vermutungen, Schiffszwieback hergestellt. Zweimal gebackenes Brot konnte in großen Mengen produziert, gelagert und über lange Strecken transportiert werden und war außerdem nicht so leicht verderblich. Hinzukommt, dass die Römer ihre Schifffahrt üblicherweise im späten Herbst einstellten, sodass auch der Bedarf ab dem Spätsommer zurückging – was sich mit dem zyklischen Betrieb der Wassermühlen von Barbegal deckt.

"Die Untersuchung zeigt, wie mit einfachen Kalkablagerungen aus antiken Wassersystemen weitreichende Hinweise über die Archäologie von Bauwerken und historische Ereignisse gewonnen werden können", erklärt Cees Passchier. Die Studie wurde in Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Aix-Marseilles und der Universität Rennes 1 in Frankreich sowie dem Institut für Geologie der Universität Innsbruck erstellt und in dem Wissenschaftsjournal Science Advances veröffentlicht.

Querschnitt einer Karbonatablagerung der Wassermühlen von Barbegal
Querschnitt einer Karbonatablagerung der Wassermühlen von Barbegal (Foto/©: Cees Passchier, Mainz)
Skizze der Wassermühlen von Barbegal
Skizze der Wassermühlen von Barbegal, wie sie im 2. Jahrhundert n.Chr. vermutlich in Betrieb waren (Abb./©: Cees Passchier, Mainz)
Publikation

Gül Sürmelihindi, Philippe Leveau, Christoph Spötl, Vincent Bernard, Cees W. Passchier

The second century CE Roman watermills of Barbegal: Unraveling the enigma of one of the oldest industrial complexes

Science Advances. 5.9.2018
DOI: 10.1126/sciadv.aar3620

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