Mittelpersische Texte als Ideenquellen

Das Mittelpersische war Amtssprache des Sasanidenreiches und Schriftsprache von Religionen, wie dem Zoroastrismus und dem Manichäismus. Trotzdem gelten mittelpersische Texte bisher nur als bruchstückhaft erschlossen. Ein neues Langzeitprojekt am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) schließt jetzt diese Lücke in der Grundlagenforschung.

Mittelpersische und griechische Inschrift in Naqsh-e Rajab
Mittelpersische und griechische Inschrift in Naqsh-e Rajab (Foto: Ziegler175, IranNIRadjabMittelpersisch, CC BY-SA 4.0)

Das Mittelpersische war als Amts- und Verkehrssprache des Sasanidenreiches nicht nur von überkultureller, sondern auch von religionsübergreifender Bedeutung. Das Sasanidenreich reichte zur Zeit seiner größten Ausdehnung um 600 unserer Zeitrechnung von Ägypten bis Zentralasien. Die Sprache verband über die Sasanidenzeit hinaus bis in die frühislamische Zeit die verschiedenen Teile Westasiens. Gleich für mehrere Religionen war die Sprache enorm wichtig: So wurden zentrale religiöse Schriften des Zoroastrismus und des Manichäismus in Mittelpersisch verfasst. Aber auch Psalmen des Alten Testaments wurden in diese mitteliranische Sprache übersetzt und gelangten so schon in der Spätantike nach Zentralasien.

Obwohl das Korpus mittelpersischer Texte die umfangreichste aller älteren iranischen Textsammlungen ist, wurde es bis heute lediglich bruchstückhaft erschlossen. Das neue Langzeitforschungsprojekt am Ceres füllt diese Lücke in der Grundlagenforschung und widmet sich der lexikografischen und digitalen Erschließung des mittelpersischen Textkorpus und seiner Bedeutung für Kultur und Religion.

Unter der Leitung von Prof. Dr. Kianoosh Rezania vom Ceres wird ein internationales Team aus unterschiedlichen Disziplinen in den nächsten neun Jahren im Projekt "Zoroastrian Middle Persian: Digital Corpus and Dictionary" forschen. Mit beteiligt sind Fachleute der Freien Universität Berlin, des Cologne Center for E-Humanities und der Hebrew University Jerusalem. Sie werden rund 54 Texte der vormals reichhaltigen mittelpersischen Literatur der sasanidischen und der frühislamischen Zeit, die heute weitestgehend verloren ist, eingehend für die Forschung aufbereiten und untersuchen.

Zunächst gilt es die Texte, die in unterschiedlichen Schriften niedergeschrieben wurden, buchstabengetreu ins lateinische Alphabet zu übertragen. In einem nächsten Schritt werden die übertragenen Texte grammatikalisch annotiert. Diese Aufbereitung der Texte ist nötig, um sie nicht nur linguistisch, sondern auch ideengeschichtlich eingehend untersuchen zu können. Erst die Untersuchung des komplexen Gewebes der mittelpersischen Texte mit ihren zahlreichen internen und externen Bezügen bildet die Grundlage für kulturgeschichtliche und religionshistorische Forschungen. Dabei kann die detaillierte Aufbereitung und Analyse der Texte Antworten geben auf zentrale Fragen in der Religionsgeschichte des spätantiken Westasiens: Welche zoroastrischen Weltvorstellungen wurden aus dem Mittelpersischen in andere Sprachen wortwörtlich übernommen? Wie beeinflusste das Mittelpersische den Manichäismus als Sakralsprache? Und welche Ideen sind noch heute im iranischen Schiismus durch das Mittelpersische präsent?

Ein zentrales Ziel des Projektes ist es, ein Mittelpersisch-Englisch-Wörterbuch mit über 7.000 Einträgen für die Forschung zu erstellen. Darüber hinaus soll als Teil der Digital Humanities eine Open-Access-Plattform für das mittelpersische Textkorpus aufgebaut werden. Sie ermöglicht Fachleuten aus aller Welt Zugang zu den Texten für eigene Forschungsvorhaben. Die Plattform ist auch ein Angebot für bereits abgeschlossene oder derzeit laufende Projekte in der Iranistik, sich zu vernetzen und die Datenbank zu erweitern.

Das Projekt Zoroastrian Middle Persian: Digital Corpus and Dictionary (MPCD) wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Langzeitprojektförderung finanziert. Es ist gegenwärtig das einzige geisteswissenschaftliche Langfristvorhaben an der RUB.

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