Hieratistik-Forschungen sollen in Mainz verstärkt werden

An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wird die Ägyptologie dazu beitragen, ein wichtiges Kapitel der Schriftgeschichte, die altägyptische Hieratistik, international besser erforschen zu können. Auf Einladung von Univ.-Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen vom Institut für Ägyptologie und Altorientalistik fand im April dazu ein Arbeitstreffen europäischer und ägyptischer Spezialisten statt.

Die Schreibtafel enthält eine hieratische Abschrift des Nilhymnus sowie einige Zeichnungen und Notizen. (Hellmut Brunner, Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957, Tf. 3)
Die Schreibtafel enthält eine hieratische Abschrift des Nilhymnus sowie einige Zeichnungen und Notizen. (Hellmut Brunner, Altägyptische Erziehung, Wiesbaden 1957, Tf. 3)

Die Hieratistik beschäftigt sich mit der hieratischen Schrift, d.h. der handschriftlichen Variante der altägyptischen Hieroglyphen. Die altägyptischen Schreiber haben die detailreichen Hieroglyphen im Alltag in schnell schreibbare, abgekürzte Kursivformen umgesetzt. Diese hieratische Schrift wurde über drei Jahrtausende bis in die Römerzeit verwendet und mit Tinte und einer Binse auf Papyrus, Stein, Ton, Holz, Leinen oder Leder geschrieben, mitunter auch geritzt. „Die noch nicht absehbare Fülle der Quellen bietet uns einen authentischen Einblick in das tägliche Leben von Beamten, Priestern, Gelehrten und auch Schülern“, erklärt Ursula Verhoeven-van Elsbergen. „Erhalten sind sowohl administrative Texte, Briefe und Notizen als auch Erzählungen, Gedichte, Lebenslehren, religiöse Hymnen und Rituale, mathematische und medizinische Handbücher und noch vieles mehr.“

Einzelne Aspekte der Forschung betreffen die Stufen der Entwicklung, das Zeicheninventar, Besonderheiten der Orthographie, Datierungsmöglichkeiten nach Epochen oder auch einzelnen Schreibern, den Schreibvorgang selbst von der Vorbereitung und Formatierung der Handschriften bis zu den Abständen des Eintauchens in die Tinte oder nachträgliche Gliederungs- und Korrekturzeichen, schließlich auch die zahlreichen Kombinationen von Bild und Schrift und die Vermittlung und Tradierung der Schrift im Altertum.

In Mainz wird nun zunächst eine Internetplattform entstehen, um die internationalen Aktivitäten, die verstreuten Datenbanken und digitalen Hilfsmittel privater, musealer oder institutioneller Initiativen zu bündeln sowie die hieratistische Community sichtbar und ansprechbar zu machen. Anfang April fand in den neuen Räumlichkeiten des Mainzer Instituts für Ägyptologie und Altorientalistik ein internationales Arbeitstreffen mit dem Titel „Ägyptologische 'Binsen'-Weisheiten“ statt, das „Neue Impulse für die Wissenschaft von den hieratischen Handschriften“ erbringen sollte. Zu dem Arbeitstreffen hatte Verhoeven-van Elsbergen im Rahmen ihres GFK-Fellowships eingeladen. Die Gäste kamen aus Ägypten, Frankreich, England, den Niederlanden, der Schweiz und Deutschland. Weitere Treffen und Tagungen sowie größere Projekte sind geplant.

Eine besondere Aufgabe ist die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, weil es im Rahmen der aktuellen Studiengänge oftmals schwierig ist, die zeitaufwendige Einarbeitung in die Handschriften zu ermöglichen. Eine regelmäßige Hinführung an die Originalquellen sowie eine innovative Didaktik sollen das Interesse wecken. „Zahlreiche Texte in den Sammlungen sind noch nicht erschlossen und in den Ausgrabungen treten regelmäßig neue Handschriftenfunde zu Tage“, umreißt Verhoeven-van Elsbergen die anstehenden Aufgaben.

Der Kurator der ägyptischen Abteilung des British Museum London, Dr. Richard B. Parkinson, war zudem im Monat April als Gastwissenschaftler am Mainzer Fachgebiet Ägyptologie tätig. Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Papyrushandschriften und stellt sowohl materielle Aspekte der Handschrift als auch die altägyptische Dichtung in ihrem kulturellen Kontext in den Mittelpunkt seiner Forschungen. Seine aktuelle Arbeit am berühmten, hieratisch geschriebenen Literaturwerk des „Beredten Bauern“ stellte er bei einem Gastvortrag zum Thema „The Eloquent Peasant - Reflections on Writing a Commentary on an Old Poem” sowie bei einem Kolloquium mit den Studierenden und Doktoranden des Faches vor.

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