Herxheim – ein rituelles Zentrum der Bandkeramik mit Menschenopfern und hohem Zerstörungspotential

Zu den (vorläufigen) Endergebnissen der wissenschaftlichen Auswertung des außergewöhnlichen Fundplatzes Herxheim bei Landau

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Vor nunmehr fast 16 Jahren begann die intensive Auswertung der Grabungen in einer jungsteinzeitlichen Siedlung der linienbandkeramischen (kurz: bandkeramischen oder LBK) Kultur mit doppeltem Grabenwerk am Westrand des Dorfes Herxheim. Vor allem die umgebende Grabenanlage und die darin enthaltenen Materialien sollten sich als eines der absoluten Highlights der europäischen Vorgeschichtsforschung entpuppen; mittlerweile hat der Fundplatz weltweit die Aufmerksamkeit der archäologischen Fachwelt auf sich gezogen. Im August 2019 erschien der zweite Band der Forschungsergebnisse mit der vorläufigen Gesamtinterpretation des Platzes, ein Anlass, um diesen bedeutenden Fundort auch in Archäologie Online einmal  Revue passieren zu lassen.

Wann ging es los mit den Untersuchungen? Forschungsgeschichte in Kürze

1996 bis 1999 fand direkt westlich des Ortes Herxheim aufgrund der Planung eines Gewerbegebietes eine Rettungsgrabung statt, bei der ca. 1/3 der doppelten Grabenanlage mit den innen liegenden Siedlungsbefunden freigelegt wurde. 2003 stellte dann die Autorin ein internationales Spezialistenteam zusammen, um die außergewöhnliche Anlage (siehe unten) ihrer Bedeutung entsprechend fachgerecht zu analysieren. Für die Jahre 2004/2005 wurde ein erster Antrag auf finanzielle Unterstützung für die Erforschung von Herxheim bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt – ebenso auch drei Folgeanträge. Mit diesen Mitteln schien der wissenschaftlichen Bearbeitung der Funde und Befunde nichts mehr im Wege zu stehen. Schnell jedoch sollte sich herausstellen, dass die Dokumentation der Rettungsgrabungen der 1990er Jahre den Ansprüchen einer differenzierten Auswertung nicht genügen konnte. In dieser Lage erwies es sich als außerordentlicher Glücksfall, dass die Gemeinde Herxheim, und vor allem ihr damaliger Bürgermeister Elmar Weiller (†), großes Interesse an der Vorgeschichte und dem kulturellen Erbe ihres Ortes bewiesen und für eine neuerliche, unter dem Stern modernster Grabungs- und Dokumentationsmethoden stehende Ausgrabung erhebliche Finanzierungsmittel beisteuerten.

Diese Forschungsgrabung fand in den Jahren 2005–2008 statt und wurde 2010 noch durch zwei kleine Sondagen im Osten der Anlage ergänzt. Die sorgfältigst in kleinen Abhüben und mit 3D-Einmessung des Großteils der Funde durchgeführte Ausgrabung stellte dann eine hervorragende Grundlage für die wissenschaftliche Auswertung des Gesamtbefundes dar.

Die Gräben: rätselhafte Fundkonzentrationen

Weshalb aber ist Herxheim ein so außergewöhnlicher prähistorischer Fundplatz, der DFG und Gemeinde Herxheim veranlasste, bereitwillig namhafte finanzielle Unterstützung zu bieten? Und warum rissen sich Wissenschaftler zahlreicher archäologischer Fachrichtungen regelrecht darum, in dem von der Autorin ins Leben gerufenen »Projekt Herxheim« mitzuarbeiten?

Die Spuren der bandkeramischen Siedlung waren aufgrund starker Erosionsvorgänge nur rudimentär erhalten – nicht ein einziger Hausgrundriss konnte sicher nachgewiesen werden, doch zeigen die Funde in den Resten zahlreicher Siedlungsgruben, dass hier bereits in der Phase Flomborn (ab ca. 5300 v. Chr.) ein Dorf gegründet und dieses auch bis in die jüngste Phase der Bandkeramik, also rund 300 Jahre lang, besiedelt war. Spektakulär waren allerdings die Grabenbefunde; hier fanden sich, besonders im inneren Grabenring, die Überreste von mehr als 500 Menschen in Form zerhackter, großenteils intensivst fragmentierter Knochen. Diese lagen in der Grabenfüllung in unterschiedlich umfangreichen Fundkonzentrationen, die des Weiteren prunkvoll verzierte Keramik, Steinbeile und Feuersteinartefakte aus wertvollen importierten Rohmaterialen (Herkunftsorte in Frankreich und Belgien) enthielten. Alle diese Objekte waren – wie die menschlichen Skelette – absichtlich zerstört worden, bevor man sie in den Gräben deponierte. Zahlreiche jungsteinzeitliche Getreidemühlen hatten das gleiche Schicksal erlitten und liegen nun in unterschiedlichem Fragmentierungsgrad in großer Menge im Depot der Außenstelle der Landesarchäologie in Speyer. Mehr als ein Drittel des großen, etwa trapezförmigen Grabenringes, der allerdings an seiner östlichen Seite offen blieb, ist bis heute als Bodenarchiv erhalten und wird zukünftigen Forschergenerationen für weitere Untersuchungen zur Verfügung stehen. Rechnet man die Zahl der menschlichen Individuen auf den gesamten doppelten Grabenring hoch, so ergibt sich die beeindruckende Zahl von mehr als 1000 Menschen, die im Rahmen eines ganz speziellen Rituals in Herxheim zu Tode kamen.

Die Gräben weisen eine komplexe Architektur- und Verfüllungsgeschichte auf: Von mehreren Arbeitstrupps wurden offenbar gleichzeitig zuerst auf einer vorgegebenen Trasse lange, bis zu 3 m tiefe und an der Oberfläche bis zu ca. 2,5 m breite Gruben ausgehoben. Diese verbinden sich zu längeren Grabensegmenten und geben nur im Sohlenbereich zu erkennen, dass die zugrunde liegende Architekturform eine lange Grube war. In der Erdverfüllung der Grabensegmente lagen dann die Fundkonzentrationen, die sich über Strecken bis zu 7 m ausbreiten können.

Die verzierten Keramikscherben, die mit den Menschenknochen vergesellschaftet waren, lassen sich zeitlich recht gut einordnen und belegen, dass die Aktionen, deren Ergebnis die Fundhäufungen in den Gräben waren, in einem recht kurzen Zeitraum stattfanden, der 50 Jahre nicht überschritt und eher eine noch erheblich geringere Zeitspanne umfasste, die ziemlich am Ende der bandkeramischen Kulturepoche lag. Dass aber mehrere dieser Handlungen stattgefunden haben müssen, wird durch die Überlagerung einzelner Fundkonzentrationen sichtbar.

Die Toten – keine normale Sterbegemeinschaft

Aufgrund einer demographischen Untersuchung konnte belegt werden, dass die Toten von Herxheim keine gewöhnliche Sterbegemeinschaft bilden, wie wir sie von Friedhöfen kennen. Es ist daher davon auszugehen, dass die zerlegten Individuen keines natürlichen Todes gestorben sind, sondern gewaltsam aus dem Leben gerissen wurden. Deutlich wird dies vor allem an der großen Zahl junger Erwachsener – genau diese Gruppe fehlt nämlich in der Regel auf den vorgeschichtlichen Friedhöfen, ist aber in Herxheim massiv vertreten. Es dürfte sich demnach in Herxheim um regelrechte Menschenopferungen handeln.

Die Überreste dieser Menschenopfer machen die größte Fundgruppe aus – insgesamt wurden in den Grabungen ca. 76 000 Knochenfragmente, Schädel und Schädeldächer geborgen, die zu mehr als 500, eher bis zu 600 menschlichen Individuen gehören.

Normierte, regelhaft wiederholte Behandlung der Toten

Völlig außergewöhnlich und für die Bandkeramik in diesem Ausmaß an keinem anderen Fundplatz belegt, ist die intensive Zerschlagung der menschlichen Knochen; auch in der späteren europäischen Vorgeschichte bleibt der Befund von Herxheim ohne Vergleich. 

Bevor man die menschlichen Knochen jedoch zertrümmern konnte, war eine vollständige Entfleischung notwendig. Hierzu wurden den Toten – vergleichbar mit der Behandlung von Schlachtvieh – zuerst Arme und Beine abgetrennt. Sichtbar wird dieser Arbeitsgang an feinen Schnittspuren im Bereich der Muskel- und Sehnenansätze in der Nähe der Gelenke. Auf immer wiederkehrende, geradezu normierte Weise wurden die Toten zerlegt, entfleischt und ihre Knochen dann intensiv zerschlagen; diese Regelhaftigkeit der systematisch ablaufenden Aktivitäten macht deutlich, dass wir es hier mit einem Ritual zu tun haben, dessen Abläufe bestimmten Normen und Vorschriften unterlagen.

Eine ganz besondere Behandlung erfuhren die Schädel der Toten: Mit axial über den Schädel verlaufenden Schnitten schlitzten die Akteure des Rituals zuerst mit scharfen Silexmessern die Kopfhaut auf, zogen dann die Haut ab und reinigten den so freigelegten Schädel akribisch von allen noch daran haftenden Weichteilen; da unter der Kopfhaut direkt der Schädelknochen liegt, sind hier die Schnittspuren besonders häufig und lassen sich gut erkennen. Daraufhin wurden mit gezielten Steinbeilschlägen Gesichtsschädel und Schädelbasis abgetrennt, so dass nur noch – in Form einer Schale – das Schädeldach, die sogenannte Kalotte, übrig blieb (Abb. 4). Bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Köpfe der Toten von Herxheim auf diese Weise zugerichtet.

Es fällt auf, dass zwar die Kalotten nicht etwa aufbewahrt, sondern mit allen anderen Menschenresten und zerstörten Artefakten in den Gräben deponiert wurden, aber den Schädeldächern dennoch bei der Ablage im Erdwerk in einigen Fällen eine spezielle Beachtung geschenkt wurde: Mehrfach konnten regelrechte »Kalottennester« beobachtet werden, wobei bis zu neun Kalotten eng nebeneinander und teilweise ineinander geschachtelt absichtlich in Szene gesetzt worden waren. In ähnlicher Weise konnte dies auch in drei Fällen für ganz erhaltene Schädel beobachtet werden.

Kannibalismus in Herxheim?

Die Schnitt- und Schabespuren an den Knochen, die Tatsache, dass die Menschen auf eine mit der Zubereitung von Tieren zum Verzehr vergleichbare Weise zerlegt und entfleischt wurden sowie verschiedene statistisch ermittelte Argumente führten die Anthropologen Bruno Boulestin und Anne-Sophie Coupey zu der Mutmaßung, dass man es in Herxheim mit einem kannibalistischen Ritual zu tun habe; bis zu 1000 oder sogar mehr menschliche Opfer seien bei mehreren Anlässen hier verzehrt worden. Verbrannte Frontzähne an einigen menschlichen Kiefern ließen die Anthropologen darüber hinaus vermuten, man habe die Opfer vor ihrer Zerlegung am Spieß gebraten. Tatsächlich gehen die  beiden Anthropologen davon aus, dass die Ritualteilnehmer die Toten vollständig zur Nahrungszubereitung »ausgebeutet« und sogar aus den Fingerknochen noch das Mark herausgesaugt hätten. Gerade letzteres erscheint angesichts der schieren Masse an verfügbarem Fleisch und Fett, will man der Kannibalismustheorie folgen, gänzlich unwahrscheinlich. Faktisch belegen lässt sich Kannibalismus in Herxheim nicht, und es gibt , ebenso wie Argumente für, auch eine ganze Reihe von Argumenten gegen diese Hypothese. Man muss darüber hinaus in Betracht ziehen, dass die beiden Bearbeiter differenzierte anthropologische Untersuchungen lediglich an zwei ausgewählten Fundkonzentrationen der Forschungsgrabung durchgeführt haben. Eine weitere anthropologische Studie, die an Menschenknochen aus der Rettungsgrabung vorgenommen wurde, kommt zu Ergebnissen, die denjenigen der Bearbeiter der Forschungsgrabungsfunde durchaus widersprechen – nicht jedes Konglomerat von Menschenknochen aus den Gräben weist also die gleichen Spuren auf. So bleibt die Frage »Kannibalismus ja oder nein?« für Herxheim ebenso ungeklärt wie weitere Ungereimtheiten dieses außergewöhnlichen Fundplatzes.

Naturwissenschaftliche Analysen geben Rätsel auf

Weitere spannende Besonderheiten konnten durch naturwissenschaftliche Analysen festgestellt werden. Mit der Strontium-Isotopenanalyse, bei welcher für Herxheim von 83 Toten der Strontiumgehalt im Zahnschmelz des ersten Backenzahns (dieser wächst von der Geburt bis zum zweiten Lebensjahr) gemessen wurde, lässt sich bestimmen, welchen geologischen Untergrund das Herkunftsgebiet einer Person besitzt. Denn Strontium, das der Mensch mit dem Trinkwasser und der Nahrung aufnimmt, wird im Zahnschmelz der Backenzähne eingelagert, während diese noch wachsen – ist der Zahn ausgewachsen, so schließt der Schmelz das Strontium nachhaltig ein und der Gehalt dieses Minerals im Zahn ändert sich im Lauf des Lebens des Menschen nicht mehr. Beprobt wurden zahlreiche isolierte Kiefer aus den Knochenkonzentrationen in den Gräben, daneben aber auch einige in der Siedlung bestattete Tote sowie Zähne aus ganz erhaltenen Schädeln. Überraschenderweise stammen 90 % der Individuen aus höheren Mittelgebirgslagen mit granitischem Untergrund. Dies widerspricht allem, was wir bis heute über die Bandkeramiker wissen – diese lebten als Ackerbauern in den fruchtbaren Lössebenen und nutzten die Mittelgebirge nicht als Siedlungsland, sondern, wie Steinbeilfunde in höheren Berggegenden belegen, lediglich zur saisonalen Waldweide. So werfen die Strontiumwerte von Herxheim nun für die Archäologie ein ziemliches Rätsel auf, denn es hat den Anschein, als lebten am Ende des 6. Jahrtausends v. Chr. – entgegen aller bisherigen Annahmen – doch namhafte Zahlen an Menschen in den Mittelgebirgen, die für uns »archäologisch unsichtbar« sind.

Noch verwirrender entwickelte sich das Problem der Identität der Toten von Herxheim, als von denselben Zähnen, die der Isotopenanalyse unterzogen worden waren, die Wurzeln für genetische Untersuchungen beprobt wurden. Im Ergebnis dieser genetischen Analysen weisen alle beprobten Individuen die für Bandkeramiker charakteristische DNA auf. Wer sind also die Toten von Herxheim? Haben wir es hier mit »Bergbauern« oder nomadisierenden Gruppen zu tun, die zwar genetisch zu den frühesten Ackerbauern gehören, sich aber in höheren Mittelgebirgslagen angesiedelt hatten – ohne dass davon nennenswerte archäologische Spuren übrig geblieben sind? Die Frage der Identität der menschlichen Opfer von Herxheim bleibt weiter im Dunkeln und wir können nur hoffen, dass uns oder späteren Archäologen die Auflösung dieses Rätsels in der Zukunft gelingen wird.

Keramik aus aller Herren Länder

Fast ebenso erstaunlich wie die große Anzahl an extrem fragmentierten menschlichen Skeletten und deren mysteriöse Identität ist die qualitätvolle Keramik, die wie die Skelette der Menschen absichtlich zerstört wurde. Da in der jüngeren Bandkeramik in unterschiedlichen Siedlungskammern differenzierte Verzierungsstile für den Dekor der Keramik entwickelt wurden, lassen sich die Gefäße dieser jüngeren Phasen gut verschiedenen Gegenden zuordnen. Erwartungsgemäß ist in Herxheim der Pfälzer Zierstil sehr häufig vertreten – aber erstaunlicherweise finden sich auch größere Gruppen von Gefäßen mit Zierstilen aus acht weiteren Regionen der europaweit verbreiteten Bandkeramik, etwa aus dem Elster-Saale-, dem Nordhessischen und dem Rhein-Main-Gebiet. Analog zu den Menschenknochen fanden nicht jeweils alle Scherben eines Gefäßes den Weg in die Gräben; es müssen also größere Mengen an Skelett- und Keramikfragmenten an der Oberfläche verblieben oder an anderen Stellen entsorgt, bzw. vergraben worden sein.

Die am weitesten entfernte, in Herxheim mit einer ganzen Reihe von Gefäßen vertretene »Zierstilprovinz« ist Böhmen – immerhin eine Distanz von gut 400 km Luftlinie bis zum südpfälzischen Fundort. Spezielle Tonanalysen haben bewiesen, dass die Keramik mit »fremden« Verzierungen sich auch in der Zusammensetzung des Gefäßtons deutlich von denjenigen mit einheimischer Pfälzer Ornamentik unterscheidet. So müssen wir wohl davon ausgehen, dass ganze Gruppen auswärtiger Bandkeramiker – mit ihren prunkvoll verzierten Gefäßen und wohlmöglich einer größeren Zahl an gefangenen »Bergbewohnern«, die als Opfer vorgesehen waren, aus größeren Entfernungen nach Herxheim kamen, um hier gemeinsam die außergewöhnlichen Rituale zu vollziehen.

Hypothesen zu den Ritualhandlungen in Herxheim

Im Verlauf dieser Ritualsequenzen  dürfte jeweils eine größere Anzahl menschlicher Opfer getötet und rituell zerlegt worden sein. Der jüngste Interpretationsansatz der Autorin bezieht nun auch festliche Mahlzeiten mit in die Rituale ein. Es ist durchaus vorstellbar, dass man sich in Herxheim zu Festgelagen traf, bei denen aus den qualitätvoll dekorierten Keramikgefäßen gespeist wurde; auch rituelles Mehlmahlen kennen wir aus archäologischen und ethnographischen Quellen. Nach dem gemeinsamen Mahl wurden dann wohlmöglich alle Gegenstände, die dabei benutzt worden und daher nun gleichsam »rituell aufgeladen« waren, zerstört, um sie einem späteren Wiedergebrauch im Alltag zu entziehen – oder um sie, wie die Menschen, den Göttern zu opfern. Diese »Unbrauchbarmachung« betraf die zur Speisenzubereitung und –aufbewahrung sowie beim Essen und Trinken benutzten Keramikgefäße, die Feuersteinklingen, mit denen Schlachtvieh zum Verzehr zugeschnitten worden war sowie die Reibsteine, auf denen man das Mehl für Brotfladen und Getreidebrei gemahlen hatte.

Auch die Felsgesteinbeile, die zum Holzschlagen für Feuer, aber auch zum Zerschlagen der menschlichen Knochen sowie zum Zurichten der Schädelkalotten verwendet worden waren, mussten offenbar rituell zerstört werden.

Somit produzierten die Akteure der Ritualhandlungen große Mengen an »rituellem Abfall«, zu dem auch die zerschmetterten Knochen der menschlichen Opfer zu zählen sind, ebenso wie die vielleicht im Rahmen der Mahlzeiten als Trinkgefäße oder rituelles Essgeschirr verwendeten Schädelkalotten. Dieser »Ritualmüll« wurde dann als Abschluss des Rituals oder aber einfach nur als Aufräummaßnahme nach Beendigung der Zeremonien in die Gräben um die Siedlungsfläche geschüttet und diese mit Erde und Artefakt- und Skelettresten dann gänzlich wieder aufgefüllt. Was tatsächlich mit dem Fleisch der Getöteten geschah, ob man es im Ritual verspeiste, wie die zuständigen Anthropologen glauben oder ob man es ebenfalls vergrub bzw. wilden Tieren oder den Dorfhunden überließ, ist heute nicht mehr zu beantworten. Fest steht, dass die Theorie des rituellen Kannibalismus in Herxheim, die zeitweise für regelrechten Aufruhr in den Medien gesorgt hatte, keinesfalls bewiesen ist, sondern letztlich nur eine Hypothese unter mehreren darstellt. Natürlich ist auch die Vorstellung eines Festmahls – ohne Verspeisung von Menschenfleisch – eine Hypothese, die jedoch in der Ethnologie und auch in der jüngeren Geschichte zahllose Parallelen findet – denn bei fast jedem Ritual gehört eine festliche Mahlzeit im weitesten Sinne zum Programm.

Letztlich bleiben, was den faszinierenden Fundort Herxheim angeht, viele Fragen offen, von denen wir zumindest einige hoffentlich noch zukünftig mit weiteren Forschungen und mit Hilfe immer ausgefeilterer Methoden werden beantworten können.


Links

  • Projekt Herxheim
    Homepage mit Informationen zum DFG-Forschungsprojekt »Bandkeramische Siedlung mit Grubenanlage von Herxheim bei Landau (Pfalz)«
  • Museum Herxheim
    Das Museum Herxheim zeigt neben den sensationellen Funden der Herxheimer Ritualanlage auch einen umfassenden Einblick in die Jungsteinzeit und in das Leben der ersten Ackerbaugesellschaft Europas.

Literatur

  • A. Zeeb-Lanz (Hrsg.), Ritual Destruction in the Early Neolithic – The Exceptional  Site of Herxheim (Palatinate, Germany), Forschungen zur Pfälzischen Archäologie (FPA) 8.1 (Speyer 2016) 
  • A. Zeeb-Lanz (Hrsg.), Ritual Destruction in the Early Neolithic – The Exceptional  Site of Herxheim (Palatinate, Germany), Forschungen zur Pfälzischen Archäologie (FPA) 8.2 (Speyer 2019)
  • A. Zeeb-Lanz, Gewalt im Ritual – Gewalt an Toten. Die Krise am Ende der Bandkeramik im Spiegel außergewöhnlicher Befunde. In: Th. Link  and H. Peter-Röcher (Hrsg.), Gewalt und Gesellschaft. Dimensionen der Gewalt in ur- und frühgeschichtlicher Zeit/Violence and Society. Dimensions of violence in pre- and protohistoric times. Internationale Tagung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 14. – 16. März 2013. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 259 (Bonn 2014), 257–270. Artikel als PDF-Download

Zahlreiche weitere Literaturhinweise finden Sie unter www.projekt-herxheim.de