Was vom Graben übrigblieb

Die Ausgrabungen auf dem Dresdner Neumarkt

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Im Herbst letzten Jahres wurden unter dem Dresdner Neumarkt die gut erhaltenen Reste einer einzigartigen spätmittelalterlichen Befestigungsanlage abgerissen, die erst wenige Wochen zuvor entdeckt worden waren. Halbkreisbastion (Barbakane), Grabenmauern und der größere Teil der Grabenbrücke vor dem Frauentor mussten einer Tiefgarage weichen. Die Auseinandersetzung um den Erhalt der Befestigung überschatteten ein wenig die übrigen Ergebnisse der Ausgrabungen, die das Landesamt für Archäologie Sachsen vom März 2003 bis Januar 2004 durchführte. Die wesentlichen Etappen der Besiedlung des Neumarktgeländes konnten geklärt werden, dabei gab es auch einige Überraschungen (siehe Plan).

Vor Beginn der Besiedlung lag das Gebiet in einer heute nicht mehr wahrnehmbaren Senke. Der aus Schriftquellen bekannte See vor dem Frauentor nahm etwa die südliche Hälfte des Grabungsgeländes ein, er entwässerte über einen Bach in die Elbe. Nordöstlich wurde auf einem Hügel spätestens im ausgehenden 12. Jahrhundert die erste Frauenkirche gebaut, westlich entstand der eigentliche Stadtkern. Die Frauenkirche war während des gesamten Mittelalters die einzige Pfarrkirche der Stadt, die Dresdner mussten mithin die ummauerte Stadt verlassen um zur Messe zu gehen und ihre Toten zu bestatten.

Am stadtseitigen Ufer des Frauentorsees deuten Schlackefunde und starke Brandspuren auf Metallhandwerker hin, die hier vor dem Bau des Frauentores arbeiteten. Vermutlich im 13. Jahrhundert entstanden dann die Stadtmauer mit dem Frauentor und ein erster Stadtgraben, über den eine hölzerne Brücke mit steinernen Widerlagern führte. Gegenüber dem Tor wurde ein massives trapezförmiges Mauerfundament an die Uferböschung des Frauentorsees gesetzt, das wohl Teil eines Stauwehres war. Der - größtenteils durch spätere Anlagen zerstörte - Staudamm muss wohl gleichzeitig als Verkehrsweg gedient haben. Eine Nutzung der Wasserkraft für Mühlen ist anzunehmen. Zwei Gräben leiteten das Wasser zur Elbe ab. Sie wurden gegen Ende des 14. Jahrhunderts zugeschüttet, als der Frauentorsee zunehmend verlandete.

Das neu gewonnene Gelände wurde bald zum Hausbau genutzt. Dicht an dicht stand eine Zeile Fachwerkhäuser zwischen Stadtgraben und Frauenkirchenfriedhof. Gut erhaltene Schwellbalken mit Zapflöchern und Resten der Staken für die Lehmausfachung geben Einblick in deren Bauweise (Abb. 1). Die Gebäude standen an einer bisher unbekannten Gasse, die im 15. Jahrhundert mit faustgroßen Kieseln sauber gepflastert wurde (Abb. 2). Einige Häuser hatten im hinteren Teil steinerne Keller (Abb. 3). Komplette Steingebäude gab es jedoch nicht, im Verteidigungsfalle mussten Gebäude im Schussfeld der Stadtmauer abgerissen werden, um Angreifern keine Deckung zu bieten. Vieles spricht dafür, dass sich in dieser Vorstadt eher ärmere Familien niedergelassen hatten. Die weitere Auswertung wird zeigen, ob sich diese Tatsache auch im Fundmaterial niederschlägt. Produktionsabfälle deuten auf Knochenschnitzer (Paternosterer) und Buntmetallhandwerker.

Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen war die einfache Dresdner Stadtmauer nicht mehr zeitgemäß. Eine zweite Mauer wurde Mitte des 15. Jahrhunderts im Abstand von 19 Meter vor der ersten errichtet und mit halbrunden Türmen gesichert (Abb. 4). Da diese Zwingermauer nun auf der inneren Böschung des Stadtgrabens stand, wurde der Graben nach Nordosten verbreitert, wofür die dort stehenden Häuser abgerissen werden mussten. Als Uferbefestigung des Grabens diente eine weitere Mauer, so dass der Graben nun beidseitig mit Mauern eingefasst war. Wohl ebenfalls in dieser Zeit wurde die Holzbrücke über den Stadtgraben durch eine steinerne Konstruktion ersetzt (Abb. 5). Der Stadtgraben konnte abschnittsweise geflutet werden, wie zwei zeitlich aufeinanderfolgende Stauwehre unter der Brücke zeigen (Abb. 6).

Wenig später entschied man sich, auch das Frauentor noch stärker zu sichern. Dafür wurde auf der gegenüberliegenden Seite des Stadtgrabens eine halbkreisförmige Grabenerweiterung ausgehoben, die ebenfalls beidseitig mit Mauern eingefasst war. Die innere Mauer wurde bastionsartig ausgebaut, so dass eine Barbakane von 18 Meter Durchmesser entstand (Abb. 7). Sie sicherte als Brückenkopf den Zugang zum Frauentor. Der Erweiterungsgraben wiederum wurde mit einer Holzbrücke überspannt, die später mit einer zweiten steinernen Brücke ergänzt wurde.

Die Ausgrabungen erfassten außerdem einen Teil des mittelalterlichen Frauenkirchhofes. Rund 800 Skelette wurden hier erfasst, die dicht an dicht lagen, wobei jüngere Bestattungen die älteren oft störten. Kleinräumig waren auch hier sehr gute Erhaltungsbedingungen für Holz anzutreffen, so dass einige Särge geborgen werden konnten (Abb. 8). Auf den Bodenplatten zweier Särge waren sogar noch aufgemalte schwarze Kreuze zu erkennen - ein wohl einmaliger Befund (Abb. 9). Die Mehrzahl der Bestatteten war jedoch ohne Sarg begraben worden, vermutlich eingewickelt in ein Leichentuch. Häufig waren den Toten einfache hölzerne Kreuze mit ins Grab gegeben worden (Abb. 10).

Mit der Ummauerung der gesamten Frauenvorstadt in den 1520er Jahren wurde die eindrucksvolle Befestigung bereits wieder überflüssig. Um 1550 wurde sie geschleift und die Gräben aufgefüllt, der Neumarkt wurde angelegt. Dabei wurde auch der Frauenkirchfriedhof verkleinert.

Die Mauern blieben, soweit sie unterhalb der Marktoberfläche lagen, in den folgenden viereinhalb Jahrhunderten weitgehend unversehrt. Um den exakten Verlauf der Zwingermauer zu finden, waren bereits im Jahre 2002 Sondagegrabungen durchgeführt worden. Als deren Ergebnis wurde bereits in der Planungsphase die gesamte Tiefgarage drei Meter nach Nordosten verschoben, um die Mauer und den Turm nicht angreifen zu müssen. Für die vorgelagerten Befestigungen bleibt pars pro toto ein kleiner Teil der Grabenbrücke erhalten und wird in der Tiefgarage sichtbar sein.

Pläne und ein VRML-Modell der Grabung am Dresdner Neumarkt 2003

3D-Modell von Barbakane und Grabenbrücke

Das 3D-Modell zeigt den Zustand der Anlage, wie er im Sommer freigelegt worden war. Das Modell ist bewusst in künstlichen Farben gehalten. Jeder Befund, das heißt jeder einzelne Bauabschnitt, hat eine eigene Farbe. Gerade an der Grabenbrücke ist seit dem 13. Jahrhundert immer wieder gebaut worden. Aus einer Holzbrücke (nicht erhalten) mit steinernen Widerlagern wurde so ein steinerner Damm mit Gewölbe und kleinem Wasserdurchlass. Die ursprünglichen Laufoberflächen von Barbakane und Brücke waren nicht erhalten. Um die plastische Wirkung des Modells zu verbessern, wurde daher eine "künstliche" Oberfläche auf die Barbakane gelegt.