Als Legionär über die Alpen

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Römische KaiserzeitExperimentelle Archäologie

Merkwürdige Gestalten waren im Sommer 2004 auf den Straßen Bayerns, Österreichs und Südtirols unterwegs. Sie trugen Tuniken, eiserne Rüstungen, Schwerter und Lanzen, einer gar ein Wolfsfell und eine Standarte.

Zwölf Studenten der Universität Regensburg, alle zwischen 22 und 29 Jahre alt, stellten den Marsch römischer Truppen Richtung Italien im Jahre 193 nach Christus nach. Rund 550 Kilometer betrug die Strecke von der alten Römerstadt Regensburg bis ins italienische Trient. Jeder Legionär schleppte einiges an Gewicht mit sich herum: Der Schienenpanzer wog knapp zehn Kilogramm und der Helm vier (zwei mehr als geplant, die tschechischen Plattner hatten die Helme zu schwer gefertigt), insgesamt konnten es bis zu 38 Kilo werden. Bei den Bogenschützen wogen die Kettenhemden 10 bis 13 Kilogramm, eines sogar 19.

Die Panzer und Helme wurden in Tschechien gefertigt, die Schuhe kamen aus der Schweiz, die Schwerter aus Indien. Jeder Teilnehmer investierte zwischen 1500 und 2000 Euro in seine Ausrüstung. Ein Schwert schlug mit 150 Euro zu Buche, ein Paar Schuhe kostete 300 Euro, ein Panzer mit Helm 1200 Euro. Die Schilde fertigten die Studenten selbst.

Die Marschierer hatten sich aus unterschiedlichen Motiven zusammen gefunden: Aus Spaß am Abenteuer, um körperliche Grenzerfahrung zu sammeln, um Werbung für die Alte Geschichte zu machen und rekonstruierte Ausrüstungsgegenstände auf ihre Praxistauglichkeit zu testen.

Elf Marschierer schafften es bis nach Trient, ein zwölfter Teilnehmer kehrte planmäßig nach wenigen Tagen wieder um und stieß erst in Trient wieder dazu. Aber nur zwei marschierten tatsächlich die gesamte Strecke komplett durch, allerdings ohne Rüstungen. In Begleitfahrzeugen wurden Zelte und schwere Ausrüstungsgegenstände wie die Getreidemühle verstaut. "Eigentlich planten wir wie einst Marcus Junkelmann mit einem Maultier loszuziehen, aber wir wollten in Italien keinen Ärger mit den Bestimmungen zur Verhütung der Maul- und Klauenseuche bekommen. Außerdem kannte sich keiner von uns mit Maultieren aus, das wäre in Tierquälerei ausgeartet", entschuldigt Projektleiter Josef Löffl die wenig antiken Transportmittel. Im weiteren Verlauf sollte sich die Wahl aber als richtig herausstellen, konnten doch die Begleitfahrzeuge zeitweise auch die Legionäre selbst transportieren.

Ein Fragezeichen schwebte über dem Unternehmen: Verfügt ein neuzeitlicher Couch-Potato über die nötige Kondition für eine solche Strapaze? Dr. Walter Neussel, ein Mediziner im Ruhestand, der mit seinem Unimog die Truppe begleitete, wollte kein Risiko eingehen: "Wenn einer einen kranken Eindruck macht, ziehe ich ihn aus dem Verkehr. Zunächst darf er noch auf dem LKW mitfahren und wenn er nicht wieder fit wird, ist endgültig Schluss für ihn".

Morgens um 8.00 Uhr war in der Regel Wecken. Dann marschierte die Truppe mit kleineren Pausen bis Mittag durch. Nach einer zweistündigen Rast standen noch einmal vier bis fünf Stunden Marsch auf dem Programm, bis die Gruppe gegen 19.00 Uhr das bereits vom Begleitkommando vorbereitete Lager erreichte. Denn jeden Tag klinkten sich zwei bis drei der Teilnehmer vom Marsch aus und kümmerten sich stattdessen um den Lagerbau. "Anfangs versorgte ich mit dem Jeep die Marschierer auch mit Nahrung, doch diese gingen bald zur Selbstversorgung über. Dann marschierten sie in voller Montur zum Metzger, Bäcker oder in den Supermarkt", wie Sebastian Namyslo mit einem Lächeln erläutert. Auch Namyslo wollte eigentlich mitmarschieren, doch ein Bänderriss machte ihm kurz vor dem Abmarsch einen Strich durch die Rechnung. Also steuerte er den Jeep, auf den Alpen-Etappen schlüpfte er dann aber doch in ein Kettenhemd und marschierte mit. Das noch nicht ausgeheilte Fußgelenk quittierte die ungewohnte Belastung mit einer deutlichen Schwellung, doch Namyslo biss die Zähne zusammen und hielt durch.

Im großen und ganzen verlief der Marsch reibungslos. Gelegentlich verlief sich die Truppe, manchmal riss ein Schildtragegurt. Die Qualität der Lagerplätze schwankte zwischen einem feudalen Schlosspark wie in Bozen und ungepflegten Parkanlagen mit Unmengen von Hundekothaufen. Auf Wache schieben verzichteten die Marschierer jedoch, die Erschöpfung war zu groß, um jedes Detail des Soldatenlebens nachzustellen. Die Aufnahme in der Bevölkerung war zumeist positiv, oft gab es Wein als Geschenk und manchmal wurden die Römer zu einer Feier eingeladen. Bereits am ersten Marschtag entfernte sich ein Teil der Truppe außerplanmäßig in Richtung Biergarten.

Die Schienenpanzer der Legionäre konnte man nicht ohne fremde Hilfe anlegen, also halfen sich immer zwei Kommilitonen gegenseitig. Ein Panzer bestand aus einer linken und einer rechten Hälfte, jede wiederum aus mehreren Metallschienen, die den Rumpf schützten, und einem Schulterschutz. Lederschnüre und metallene "Drehschlüssel" hielten die beiden Panzerhälften zusammen.

Die Bogenschützen taten sich da leichter, sie stülpten das Kettenhemd einfach über den Kopf und ließen es dann am Körper hinuntergleiten. Außerdem hatten sie lange, kegelförmige Helme mit Schuppenschutz für den Nacken. Und Pfeil und Bogen statt Lanze und Schild.

Auf dem Marsch erwiesen sich die Schienenpanzer als vergleichsweise unproblematisch. Sie drückten zwar im Schulter-Halsbereich und hinterließen dort sichtbare Wunden, insgesamt waren sie aber relativ bequem. Unter dem Panzer trug jeder Teilnehmer eine Untertunika aus Baumwolle und eine Obertunika aus Wollstoff. Auf den Schultern hatte jeder Legionär noch eine improvisierte Schulterpolsterung.

Das eigentliche Marschgepäck wollten die Studenten ursprünglich auf ihren Schultern tragen. So wie einst die Legionäre. Während ein moderner Soldat seine wichtigsten Utensilien in einem relativ bequemen Rucksack verstaut, kämpfte sich sein römischer Leidensgenosse allerdings mit einer merkwürdig anmutenden Stangenkonstruktion namens Furca durch die Lande.

Doch die zwölf Marschierer mussten schon am zweiten Marschtag vor dieser Herausforderung kapitulieren. "Nichts zu machen, die Stange drückt unerträglich auf die Schulter, das hält man nicht lange durch", stöhnte ein erschöpfter Expeditions-Teilnehmer abends am Lagerfeuer westlich des Ammersees. Ein Großteil der ursprünglich an der Furca befestigten Ausrüstung wurde stattdessen am Körper getragen.

Die Studenten hatten ein Problem: Die genaue Konstruktionsweise der Furca ist unbekannt. Zwar sind auf der Traiansäule durchaus Soldaten mit diesem römischen "Militärrucksack" dargestellt, doch die Abbildung ist nicht maßstabsgetreu, die Stangen sind viel zu lang und das Gepäck baumelt weit über den Köpfen der Legionäre. Offensichtlich hatte der Bildhauer damals bewusst überzeichnet, um die Furca deutlich kenntlich zu machen.

Wie aber haben die Römer dann ihr Gepäck transportiert? "Auf den Tieren", meinte ein Marschierer, "nur für kurze Strecken haben sie die Furca eingesetzt". An dieser Theorie bestehen jedoch Zweifel, wieso erwähnen die antiken Autoren dann die Furca und wieso erscheint sie den an der Traiansäule beteiligten Künstlern so wichtig, wenn sie nur für kurze Strecken eingesetzt wird? Und es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Soldaten ihr mitunter erhebliches Gepäck über längere Strecken selbst tragen. Im unwegsamen Gebiet ist das unumgänglich. Ebenso wenn die Transporttiere Opfer eines feindlichen Angriffs oder einer Tierseuche wurden.

Die Lösung könnte in der Bau- und Trageweise der Furca gesucht werden. Hier lagen die Regensburger Studenten mit ihrer Rekonstruktion vielleicht falsch. Möglicherweise fertigten einige Marschteilnehmer ihre Furcae aus zu schwerem Holz, wie Florian Himmler, der für die Ausrüstung Verantwortliche, vermutet. Vielleicht waren die Studenten aber auch einfach nicht robust genug für diese Herausforderung. Marcus Junkelmann, der 1985 selbst eine Römertruppe mit römischen Tragegestellen über die Alpen führte, hatte mit der Furca keine Probleme, seine Leute marschierten damit durch.

Als Löffl mit seinen Mitstreitern am Morgen des 15. August bei strahlendem Sonnenschein vom Donauufer in Regensburg aufbrach, war er sich sicher, dass die Hitze der größte Feind sein würde. Das glaubte er auch noch am Abend des ersten Marschtages: "Der morgige Nachmittag, von Weltenburg bis Eining wird bei dieser Hitze die Hölle". Großes Vertrauen hatte er dagegen zu seinem Schuhwerk, sehr bequem seien die römischen Militärstiefel, die Marquita Volken, eine Schuhexpertin aus Lausanne, nach antiken Funden eigens für das Experiment angefertigt hatte. Dabei handelte es sich um schwere genagelte Rindslederstiefel. In der Ledersohle steckten rund 90 Eisennägel, die dem Stiefel Halt geben sollten. So weit die Theorie.

In der Praxis erwiesen sich die Stiefel jedoch der Furca als Folterinstrument fast ebenbürtig. Die Eisennägel drückten sich durch das Leder in die Fußsohlen und bei manchem Marschierer verloren die Stiefel schon nach wenigen Tagen ihre Form. Zudem lockerten sich häufig die Nägel. Dann mussten sie auf einen Schuhamboss gesteckt und zurückgeklopft beziehungsweise ersetzt werden. Dazu wurde zunächst der verschlissene Nagel mit einem Messer etwas angehoben und dann mit der Zange aus der Sohle gezogen. Anschließend setzte Himmler den neuen zwei Zentimeter langen Nagel auf die Schuhunterseite und schlug ihn mit dem Hammer in die Sohle - bei den Nägeln handelte es sich übrigens um Altbestände der Schweizer Armee. Die Spitze wurde dann auf der Sohleninnenseite noch umgeklopft. Damit die Fußsohle nicht direkt mit den Nägeln in Berührung kam, lag noch eine Filzeinlage im Schuh.

Gegen die Schmerzen und Blasen half das jedoch wenig, die Neuzeit-Römer drückte der Schuh. Nach und nach tauschten die Legionäre ihr antikes Schuhwerk gegen Sport- und Treckingschuhe ein, nur einige Bogenschützen marschierten tatsächlich die gesamte Strecke in den Römerstiefeln durch. Junkelmann vermutet, dass sie nicht fest genug geschnürt waren und deshalb solche Probleme auftraten. Oder muss man ähnlich wie bei der Furca eine fehlerhafte Rekonstruktion unterstellen? Vielleicht lag es auch am Straßenbelag: Die Studenten marschierten oft auf modernen Teerstraßen, die Römer benutzten dagegen eher weiche Feldwege und Wiesen, die die Schuhe weniger belasteten.

Florian Himmler mimte den Standartenträger der Truppe. Als Rangabzeichen hatte er ein Wolfsfell über dem Kopf. Das Fell hing weit über den Rücken herab mit den Tatzen vorne über den Schultern. Schon allein unter dem Militärhelm floss der Schweiß, doch unter dem Tierfell war die Hitze unerträglich. Bald verzichtete er auf das Tragen des Fells. Zumal es noch einen weiteren kuriosen Schaden verursachte: Rost. An der Stelle, an der Himmler die rechte Wolftatze mit dem Ellbogen am Schienenpanzer festdrückte, bildet sich verstärkt Korrosion - aggressiver Körperschweiß, den das Fell aufsaugte, war der Grund.

Beim Essen verzichteten die modernen Römer auf Authentizität, oft erfolgte die Verköstigung durch die gastgebenden Gemeinden. Also Schweinebraten und Weißbier statt Getreidebrei und Wasser. Gelegentlich wurde aber die antike Nahrungszubereitung demonstriert. Dann holte Himmler die Getreidemühle aus dem Begleitfahrzeug und mahlte Weizenkörner zu Mehl, das in siedendes Olivenöl gegeben und unter Zugabe von Wasser, Wein, Gewürzen und Speck zu einem antiken Brei namens Pulsum geformt wurde - sehr sättigend aber nicht jedermanns Geschmack.

Eine Tagesetappe war im Schnitt 25 bis 30 Kilometer lang, in den Bergen etwas weniger. Am Brenner wurde es kritisch:

"Auf der Brennerstraße war kein Randstreifen zum Marschieren. Wenn uns in einer engen Kurve ein LKW entgegen gekommen wäre, dann hätte es neun Mal ‚Klong' gemacht und die Exkursion wäre beendet gewesen", erklärt Himmler. Also wich die Truppe auf den Wipptaler Wanderweg aus, der sich aber als unbezwingbar erwies. Teilweise nur 20 Zentimeter breit, stürzten einige Marschierer um ein Haar. Entnervt legten die Studenten den Rest der Strecke dann doch auf der Brennerstraße zurück.

Am 11. September erreichten sie schließlich Trient, das Unternehmen war gelungen. Die seit 2001 vorbereitete Aktion war Werbung für die Antike, doch in diversen Internet-Foren und in Expertenkreisen gab es auch Kritik. So bezweifeln einige den wissenschaftlichen Wert der Unternehmung, weil sich die Truppe erhebliche Marscherleichterungen gönnte, das antike Schuhwerk durch moderne Treter ersetzte und zeitweise ohne Panzer marschierte. Zudem wurde das fehlende Schanzen und das nicht sehr realistische Lagerleben kritisiert.

Auch an der Ausrüstung fanden sich Kritikpunkte, nicht alle Ausrüstungsteile stammten aus der gleichen Epoche. Zudem verkalkulierten sich die Marschierer gleich auf der zweiten Etappe mit der Marschdauer und mussten die verlorene Zeit unantik auf vier Rädern wieder reinholen. Löffl lässt das jedoch kalt: "Wir haben hier nach bestem Wissen und Gewissen mit bescheidensten finanziellen Mitteln gearbeitet. Keiner dieser Kritiker ist jemals eine derartige Strecke marschiert." Und Himmler ergänzt: "Einige Kettenhemden erreichten uns zu spät, zudem hielten sich die tschechischen Handwerker nicht immer an unsere Vorgaben, wie man beispielsweise an den zu schwer geratenen Helmen sieht."

Das Vorbild Markus Junkelmann

In Römerrüstungen über die Alpen - das ist nicht neu. Bereits 1985 marschierte der Archäologe Dr. Marcus Junkelmann mit einigen Mitstreitern von Verona nach Augsburg. Seine Ausrüstung unterschied sich allerdings von den Regensburgern, weil seine Truppe rund 200 Jahre früher, also in augusteischer Zeit angesiedelt war. So marschierten die ‚Junkelmänner' durchwegs in Kettenhemden statt in Schienenpanzern, trugen einen anderen Helmtyp mit Helmbusch und leichte Militärsandalen statt schwere Stiefel.

zum Thema

Auf der Website des Projektes finden Sie weitere Informationen zu dem Marsch, der Ausrüstung und den Teilnehmern:
www.legion-regensburg.de

Die Firma Deepeeka, der Hersteller der Schwerter, bietet einige mehr oder weniger gelungene Nachbildungen historischer Waffen und Rüstungen:
www.deepeeka.com

Zum Marsch von Marcus Junkelmann 1985 ist ein Buch erschienen:
Marcus Junkelmann, Die Legionen des Augustus. Der römische Soldat im archäologischen Experiment (Mainz 2000)