Goldmünzfragmente des 11. Jahrhunderts aus der Zitadelle von Damaskus werfen Licht auf die Renaissance der Städte in Syrien

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SyrienMittelalterNumismatik

In Syrien waren im 11. Jahrhundert winzige Fragmente importierter Goldmünzen aus Ägypten und Byzanz zusammen mit - mehr im Norden genutzten - importierten byzantinischen Kupfermünzen Hauptzahlungsmittel im Alltag. Soweit die Theorie, die bislang nur auf historische Texte gestützt werden konnte. Eine wesentliche Bestätigung dieser Währungssituation brachte vor Kurzem eine syrisch-französische Grabung in der Zitadelle von Damaskus ans Licht.

Klagen über Geldmangel, Wucher und illegalen Tausch

Klagen über den Umlauf von Goldmünzfragmenten (arabisch sg. qurada) finden sich häufig in zeitgenössischen Chroniken und Handbüchern über Marktbestimmungen (hisba). Auch findet sich wiederholt der Ruf nach der Einführung oder der ausschließlichen Nutzung von ganzen Münzen (sg. sahih). Jedoch aufgrund des Mangels an Münzgeld wurden vorhandene Goldmünzen häufig in kleine Teile zerschnitten. Dies verstieß gegen das Wucherverbot des Koran (riba). Das islamische Recht verbietet, dass zwei gleiche Mengen an Edelmetall unterschiedlich bewertet werden. Dies ist der Kern des Wucherverbotes.

Das oft zitierte Zinsverbot ist nur eine Folge davon. Eine unterschiedliche Bewertung, liegt vor, wenn man für einen geliehenen Dinar z.B. nach Jahren anderthalb Dinare zurückgeben muß. Jedoch ist es in der Geldgeschichte eine wiederkehrende Tatsache, dass Menschen den realen Wertverlust akzeptieren, der durch das Zerteilen einer kompletten Münze entsteht, um Geld für die täglichen Einkäufe zu haben und den zurückbleibenden Rest in gutem Geld behalten zu können. In unserer Zeit ist dies Phänomen nur noch in Ausnahmesituationen zu beobachten, so in Belgrad 1993, als die Menschen den Tausch eines Hundertmarkscheines gegen acht Zehnmarkscheine akzeptierten (Die Zeit 45 vom 5. 11. 1993, S. 36 und Zeitmagazin 45 vom 5. 11. 1993, S. 8f.). Was uns 'verboten' erscheint, kritisierten auch die islamischen Juristen. So schreibt der Rechtsgelehrte und überragende Theologe und Philosoph al-Ghazali in Bagdad um 1100:

Was den Verkauf des Fragmentes gegen den vollständigen (sahih) [Dinar] anbelangt, so ist der Geschäftsverkehr mit ihnen beiden nicht erlaubt, außer bei Gleichheit [der Menge und des Wertes].

Und der Qadi von Tabariya, dem antiken Tiberias, asch-Schaizari formuliert in seinem Handbuch zur Marktaufsicht (hisba) gegen Ende des 12. Jahrhunderts eindeutig:

Der Verkauf des vollständigen Dinar (dinar sahih) gegen einen Dinar in Fragmenten (dinar qurada) ist wegen des Unterschiedes in ihrer beider Wert nicht erlaubt.

Im November-Dezember 1092 verursachte der berühmte zentralasiatische Gelehrte al-Wa'iz al-Abbadi in Bagdad Menschenaufläufe. Er war auf dem Weg nach Mekka. In der Nizamiya Hochschule, in der auch al-Ghazali Lehrer war, hielt er seine viel beachteten Predigten. Der Chronist Sibt ibn al-Jauzi berichtet:

Man erzählte mir, dass er von riba und vom Verkauf von Dinarfragmenten (quradat) gegen vollständige sprach. Und ihm wurde das Abhalten von Lehrveranstaltungen untersagt und befohlen, die Stadt zu verlassen, und er verließ sie.

Die heftige Reaktion des Staates auf diese Predigt zeigt sowohl die politische Brisanz, die man der Kritik an dem staatlich geduldeten, aber islamrechtlich illegalen Geldumlauf beimaß, als auch die starken religiös-rechtlichen Vorbehalte gegen die das Geld betreffenden Geschäftspraktiken. Ohne dass eine relative Abfolge der Ereignisse bestimmt werden kann, bezieht sich wahrscheinlich eine weitere Nachricht aus dem Bagdad des Jahres 1092-3 auf diese Kritik am Geldwesen: "Man verkündete: Kein Geschäftsverkehr außer mit [vollständigen] Dinaren".

Jedoch blieben diese Aufrufe erfolglos, da es im täglichen Geldverkehr keine wirklichen Alternativen zu den Fragmenten gab. Auch Brotlaibe wurden nach dem mittelalterlichen Historiker al-Maqrizi in Bagdad zu dieser Zeit als Geldersatz angenommen. Münzfragmente blieben nach Ausweis der literarischen Quellen charakteristisch für den Geldumlauf bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Erst im Jahr 1234-5 gelang es dem Kalifen in Bagdad durch eine Geldreform erfolgreich den Umlauf der Fragmente im Irak abzuschaffen. Für Syrien läßt sich dies schon für das Ende des 12. Jahrhunderts vermuten.

Die Staaten Syriens, Nordmesopotamiens und des Irak stellten für die Bedürfnisse des Geschäftsverkehrs nicht ausreichend physisches Geld zur Verfügung. Man begann im 11. Jahrhundert Gold-Nomismata aus Byzanz und fatimidische und ostiranische Dinare nach Syrien, Nordmesopotamien und den Irak zu importieren. Im Jahr 1035-6 verbot der Kalif sogar den Import der fatimidischen Dinare in den Irak. Über den tatsächlichen Import dieser Münzsorten weiß man aus schriftlichen Quellen und Schatzfunden. In Nordsyrien und Nordmesopotamien wurden darüber hinaus großformatige Kupfermünzen aus dem byzantinischen Reich eingeführt. Der Mangel an Geldmitteln bestimmte trotzdem den Geschäftsalltag. Die Riba-Regeln und die Diskussion darüber war bislang nur aus den Texten zu belegen. Archäologisch gab es bisher keinen Nachweis für den Umlauf von Goldfragmenten in Syrien für das 11. Jahrhundert.

Der ‚Missing link' gefunden

Eine syrisch-französische Grabung in der Zitadelle von Damaskus unter der Leitung von Edmond el-Ajji, Generaldirektion der Altertümer und Museen Syriens, und Sophie Berthier, Institut Français du Proche Orient (IFPO), bestätigte nun die Klagen der mittelalterlichen Quellen. Zwei winzige Fragmente eines ägyptisch-fatimidischen Gold-Dinars (0,19 g) und einer byzantinischen Gold-Nomisma (1,14 g) von Romanos III. (1028-1034 n.Chr.), etwa in der Größe eines viertel und eines ganzen Cents wurden gefunden.

Der Autor nahm an dem Grabungsprojekt als Islamwissenschaftler und Numismatiker vom 14. bis 21. März 2003 teil. Die Fragmente bilden den ‚missing link' für die Wirtschafts- und Geldgeschichte während des 11. Jahrhunderts. Die Rekonstruktion der Geldgeschichte ist entscheidend für die Frage nach dem Wiederaufstieg der Städte in Syrien und Nordmesopotamien kurz vor Beginn der Kreuzzüge nach einer Zeit der beduinischen Vorherrschaft und des Niedergangs (vgl. S. Heidemann, Die Renaissance der Städte, Leiden 2002, insb. Kapitel V). Bislang waren solche Goldfragmente aus Syrien des 11. Jahrhunderts unbekannt.

Die nächsten verwandten Beispiele sind ein Goldfragment des 9. Jahrhunderts vom Tall al-Bi'a/ar-Raqqa am Euphrat und ein anderes aus der Grabung in Persepolis im Iran, vermutlich aus der Seldschukenzeit (G. C. Miles, Excavation Coins from the Persepolis Region, New York 1959, S. 83). Die Fragmente aus Damaskus bestätigen darüber hinaus den Import der Münzen aus Ägypten und Byzanz nach Syrien. Dies macht den Fund für diese Epoche repräsentativ.

Warum fand man bislang keine Goldfragmente?

Wenn dieses Phänomen den Geschäftsalltag bestimmte, wäre doch zu erwarten, dass man bereits viel mehr zerteilte als vollständige Goldmünzen in Grabungen gefunden hätte. Die Gründe für die bislang fehlenden archäologischen Nachweise sind vielfältig. Goldmünzen werden in der Regel in Schatzfunden geborgen, jedoch zogen die Menschen vollständige Münzen den Fragmenten beim Sparen vor.

Ganze Münzen waren mehr Wert. Man rufe sich nur das Beispiel von Belgrad in Erinnerung. Die Ersparnisse der Gastarbeiter waren in Hundermarkscheinen angelegt, die für den Alltag jedoch unpraktisch waren. Auch numismatische Sammlungen bevorzugen vollständige Münzen. Sorgfältige Grabungen in islamischen Schichten sind bislang selten, da sich in Syrien die Grabungen meistens auf die altorientalische Zeit konzentrieren. Außerdem entgeht ein unregelmäßig geformtes winziges Fragment häufig den Ausgräbern und ihren Helfern. Unregelmäßige, korrodierte Metallfragmente gleichen den umgebenden Steinchen nach Form und Farbe.

Zwei fehlende Jahrhunderte

Die Münzfragmente bilden einen wichtigen Baustein in einer Theorie zum Wiederaufstieg der Städte, die sich aus der Zusammenschau von historischen Texten, der Archäologie und Numismatik ergibt. Kommt man heute als Reisender nach Damaskus oder Aleppo, so ist man von den architektonischen Zeugnissen der islamischen Vergangenheit beeindruckt, wie z.B. den Versammlungsmoscheen in beiden Städten aus umayyadischer Zeit (Anfang des 8. Jahrhunderts).

Für bedeutende abbasidische Monumente muß man schon weiter bis nach ar-Raqqa am Euphrat reisen, der Residenzstadt des Kalifen Harun ar-Raschid (Ende des 8. Jahrhunderts). Diese Monumentalbauten sind sichtbare Zeichen der frühen Blütezeit der islamischen Zivilisation, einer Zeit, in der die Theologie, das islamische Recht und die Literatur - um nur einige Bereiche zu nennen - ihre für die islamische Kultur bis heute maßgebende Form fanden.

Neben diesen frühen Monumenten fallen in Syrien die mächtigen Festungen, die Moscheen und die Medresen ins Auge. Aber diese Gebäude gehören mit wenigen Ausnahmen einer späteren Zeit an, von der Mitte des 12. bis zum 17. Jahrhundert. Sie sind Ausdruck erneuerter städtischer Wirtschaftskraft und des Willens der Mächtigen zu urbaner Repräsentation ihrer Herrschaft. Die zweieinhalb Jahrhunderte dazwischen, vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert, sind in den heutigen Stadtbildern nicht präsent.

Die Zeit zwischen 950 und 1150 wird von Archäologen gerne als ‚Siedlungslücke' (Karin Bartl) bezeichnet, womit sie eine außerordentlich verminderte Siedlungstätigkeit meinen. Andererseits gelten diese ‚zwei fehlenden Jahrhunderte' auch als ‚Wendepunkt in der Geschichte der islamischen Kultur' (D. S. Richards), von einer arabisch-persisch dominierten islamischen Welt - in der auch die antike persische und hellenistische Zivilisation einen letzten Höhepunkt erreichte - zu einer turkmenisch dominierten islamischen Welt. Die Städte Syriens und Nordmesopotamiens erlebten dann, um etwa 1200, eine neue Blütezeit, die an der Architektur, dem archäologischen Fundmaterial und der Literatur ablesbar ist. Diese Wende in der wirtschaftlichen und städtischen Entwicklung will erklärt sein.

Die Armee war nicht mehr finanzierbar

Syrien und Nordmesopotamien waren in der frühen abbasidischen Zeit eine steuerlich ertragreiche prosperierende Landschaft. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts verlor das einst mächtige abbasidische Zentralreich im Irak die Fähigkeit, sein wichtigstes Machtinstrument zu finanzieren. Dies war eine auf Geldzahlungen beruhende Armee importierter Militärsklaven, meist turkmenischer Abstammung. Die Macht erodierte, steuerlich reiche Provinzen wie Ostiran und Ägypten wurden unter ihren Gouverneuren autonom. Gleichzeitig wuchsen die militärischen und gesellschaftlich-religiösen Probleme: Im Südirak rebellierten die schwarzen Sklaven, die in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Die wirtschaftliche Erosion führte zu einem Niedergang des auf Geldsteuerzahlungen beruhenden Staats- und Finanzsystems.

Durch die Errichtung eines schiitischen Kalifats in Kairo in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts war auch der formale Anspruch des sunnitischen Kalifen in Bagdad auf die Führung in der islamischen Welt in Frage gestellt. Syrien und Nordmesopotamien lagen im politischen Spannungsfeld von Byzanz, dem fatimidischen Ägypten und den Militärherrschern des Iraks, den Buyiden. Gleichzeitig wanderten im ersten Drittel des 10. Jahrhunderts oberflächlich islamisierte arabische Stämme von der Arabischen Halbinsel nach Syrien und Nordmesopotamien ein.

Die Folgen für die seßhafte ländliche Bevölkerung waren ein Rückgang der Kulturflächen und eine Gefährdung der Überlandwege und damit des Fernhandels. Zentrum nomadischer Macht blieb das Zeltlager, auch wenn ihren Führern formal die Herrschaft über Städte übertragen worden war. Mit städtischer Verwaltung und Kultur waren sie wenig vertraut. An den Städten hatten sie nur ein fiskalisches Interesse. Aus der Numismatik und Archäologie ist für die Zeit ab spätestens 940 ein drastischer Rückgang der Produktion von Münzgeld ablesbar und damit auch ein Rückgang geldvermittelter Wirtschaft.

Geldumlauf und Archäologie

Die Münzen aus archäologischen Grabungen in Syrien liefern wichtige Daten zum Geldumlauf. Während es in Nordsyrien und dem syrischen Nordmesopotamien eine Reihe von Grabungen mit Münzbefunden gibt, sind die etwa 250 Fundmünzen aus der Zitadelle von Damaskus bislang der einzige Fundkomplex, der über den Münzumlauf in Südsyrien in der islamischen Zeit Auskunft gibt. Nicht das große Geld ist dabei wichtig, sondern das Kleingeld. Eine wirtschaftliche Erholung in einer Region und ein Wiederaufleben der Städte sind an der Lösung, die sie für das ‚Kleingeldproblem' (C.M. Cipolla) der städtischen Märkte bereitstellt, ablesbar.

In den Veränderungen des Geldsystems und des Kleingeldumlaufes spiegeln sich die geänderten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Städte und innerhalb der Städte wider. In der Zeit der beduinischen Vorherrschaft und noch unter den Seldschuken enthielt man sich noch gestaltender Eingriffe in das Geldwesen, wie die oben angeführten Klagen zeigen.

Die am numismatisch-archäologischen Befund ablesbaren Veränderungen - wie der Import fremder Münzsorten, der Gebrauch an Goldfragmenten - sind daher zum größten Teil auf Marktprozesse zurückzuführen. Erst Mitte des 12. Jahrhunderts kam es schrittweise zu einer grundlegenden Neuordnung des Geldsystems in der Region.

Die wirtschaftliche Erholung

Ein aufwendiges Bauprogramm von städtischer Infrastruktur und Repräsentationsarchitektur setzt ab etwa der Mitte des 12. Jahrhunderts ein, die bauliche Renaissance der Städte. Diese kann der heutige Reisende in den historischen Orten Syriens noch immer bewundern. Es ist ein Ergebnis eines langen Aufbau- und Konsolidierungsprozesses militärischer, politischer und wirtschaftlicher Art.

Er begann etwa zur Zeit der seldschukischen Eroberung und band fast alle fiskalischen Ressourcen der Region. Erst Mitte des 12. Jahrhunderts war genügend Reichtum vorhanden, um sowohl die weiteren Kriege, u.a. gegen die Kreuzfahrer, als auch die architektonische Wiedergeburt zu finanzieren. Die Kreuzfahrer kamen also in einer Zeit in Syrien an als diese begann sich wirtschaftlich zu erholen.