Christian Lau: Zur Keramikchronologie der Römischen Kaiserzeit in Ostwestfalen

anhand der Siedlungen von Enger, Hüllhorst und Kirchlengern im Ravensburger Land

veröffentlicht am

Westfälische Siedlungsgeschichte des 1. bis 4. Jahrhunderts n. Chr. neu erzählt

Ein Großteil des archäologischen Wissens über die Germanen beruht derzeit vor allem auf dem schon lange bekannten Gräberfeld von Leverkusen-Rheindorf und auf den großen Siedlungen entlang der deutschen Nordseeküste, die in aufwändigen Forschungsgrabungen erschlossen wurden. Sie legen nahe, dass es im Mittelgebirgsraum nach einer längeren Siedlungslücke insbesondere in der späten Römischen Kaiserzeit (d. h. ab der Mitte des 2. Jh. n. Chr.) zu einer Neugründung von vielen Orten durch germanische Siedler gekommen ist. Dieses Bild steht im Einklang mit der gängigen Annahme einer Landnahme in weiten Teilen des heutigen West- und Mitteldeutschlands durch Germanen aus Norddeutschland und Skandinavien. Nun legt Christian Lau eine Studie zu drei kleinen Siedlungen in Ostwestfalen vor, die im Zuge der üblichen Rettungsgrabungen durch die regionale Bodendenkmalpflege in Ausschnitten aufgedeckt wurden. Die drei Siedlungen von Enger, Hüllhorst und Kirchlengern im Ravensberger Land bestanden jeweils aus nicht viel mehr als einem Hofplatz, also einem meist dreischiffigen Wohn-Stall-Haus und seinen zugehörigen Nebengebäuden wie Grubenhaus und Speicher. Sie zeigen, dass hier im Binnenland nach einer relativ kurzen Siedlungslücke in der Zeit um Christi Geburt bereits in der frühen Römischen Kaiserzeit, d. h. ab ca. 50 n. Chr. und somit deutlich früher als bislang angenommen, wieder dauerhaft gesiedelt wurde. Erst nach gut 250 Jahren wurden die immer wieder erneuerten Höfe im Verlauf der späten Römischen Kaiserzeit, also im beginnenden 4. Jh. n. Chr., von ihren Bewohnern aufgegeben, und zwar sehr wahrscheinlich zu Gunsten eines Lebens in einer größeren Dorfgemeinschaft, wie sie ab dieser Zeit fassbar werden. Das wirft ein neues Licht auf die Besiedlung Westfalens in der Römischen Kaiserzeit. Offenbar gab es germanische Kolonisten, die diesen Raum unmittelbar nach der römischen Okkupationszeit und damit deutlich früher als bislang angenommen wieder nachhaltig besiedelten. Für die Bürger in den drei genannten Orten, die in den Jahren 1999-2003 die Ausgrabungen persönlich erlebt haben, ist das Buch von Christian Lau damit ein Stück konkreter Heimatgeschichte und für die Archäologie zugleich ein Rechenschaftsbericht als auch eine Grundlagenstudie, auf der weitere Studien fußen können.

Drei Siedlungen in Ostwestfalen als Schlüssel für ein weites Umfeld

Grundlage dieser historischen Ergebnisse ist eine akribische Studie zur Typologie der rhein-weser-germanischen Siedlungskeramik, wobei Lau über diese drei Plätze und Ostwestfalen hinaus den gesamten deutschen Mittelgebirgsraum vom Rhein im Westen bis an den Harz und den Thüringer Wald im Osten betrachtet. Alle wesentlichen Siedlungskomplexe dieses Raumes sind in seine Auswertung einbezogen. Ausgangspunkt ist eine detaillierte Merkmalanalyse der Keramikfunde, und zwar weniger – wie bislang üblich – anhand der ganzen Gefäße, sondern auf Basis der Scherben und deren Merkmale. Der damit verbundene geringere Anspruch an die Erhaltung der Gefäße erlaubt es, ein weitaus umfangreicheres Material zu berücksichtigen als in den bisherigen Typologien. Mit Hilfe von Korrespondenzanalysen – einem modernen statistischen Verfahren – hat Christian Lau die Funde und Typen zeitlich geordnet und eine Chronologie des Fundstoffes wie auch der Befunde erstellt. Die neue Chronologie beruht allein auf der einheimischen Keramik und ist daher auch auf all die vielen Fundkomplexe anwendbar, denen markante Metallfunde wie etwa Fibeln oder römisches Importgeschirr fehlen. Im Ergebnis hat Lau nicht nur den Fundstoff der drei von ihm publizierten Siedlungen datiert, sondern das gesamte einheimische Material einer weiten Region in deren Umfeld neu geordnet. An den drei ostwestfälischen Siedlungen, die den Ausgangspunkt der Studie bilden, erlaubt die Rückbindung der Keramikchronologie an die einzelnen Befunde, deren Zusammengehörigkeit und Abfolge zu rekonstruieren und damit die Bau- und Besiedlungsgeschichte dieser Höfe über etwa 250 Jahre zu verfolgen. Für den Autor des Buchs stand die Erstellung einer Keramikchronologie im Zentrum. Die übergreifenden siedlungsgeschichtlichen Implikationen, die sich aus der neuen Chronologie ableiten lassen, werden daher nur im Schlusskapitel behandelt. Dies mag man bedauern, doch nun kann das gewonnene Datierungsgerüst als Grundlage für weitere Studien dienen, die andere ländliche Siedlungen dieser Zeit untersuchen.

Veröffentlichung im Open Access: kostenlos und online erreichbar

Erhältlich ist das neue Referenzwerk kostenlos als Download im Open Access. In Fortschreibung der Schriftenreihe »Archäologischen Berichte« der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e. V. (DGUF) nimmt die Publikation von Chr. Lau eine Pionierstellung ein: Es ist die erste neu erschienene Monographie, welche die DGUF im Open Access vorlegt – ohne jede Schutzfrist. Für Bibliophile wird Anfang 2015 auch der Bezug einer gedruckten Ausgabe möglich sein. Als weitere Neuerung werden zugleich auch alle der Studie zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Daten veröffentlicht. Dadurch ist die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse gewährleistet und eine Weiterarbeit mit ihnen erheblich vereinfacht.

Rezension zu

Zur Keramikchronologie der Römischen Kaiserzeit in Ostwestfalen anhand der Siedlungen von Enger, Hüllhorst und Kirchlengern im Ravensberger Land
Lau, Christian

Archäologische Berichte, Band 25
413 S. mit 212 Abbildungen und 91 Tafeln, Datenbank der Keramik und der seriierten Komplexe als Open Data
Kerpen-Loogh 2014, Verlag Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte (DGUF)

ISBN: 978-3-945663-00-4
Preis: - Veröffentlichung im Open Access: kostenlos und online erreichbar -

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