Neue Ausgrabungen am Kloster Himmelpforte bei Wernigerode
Vor 500 Jahren wurde die alte Ordnung aus den Angeln gehoben. Zehntausende Menschen lehnten sich gegen die hergebrachten Obrigkeiten auf, denen gegenüber sie zu Abgaben und Diensten verpflichtet waren, mit denen sie oftmals aber auch wirtschaftlich konkurrierten. Erstmals stellte der "gemeine Mann" über Herrschaftsgrenzen hinweg Forderungen nach gerechter Behandlung und Selbstbestimmung, die heute von vielen als eine Forderung nach unveräußerlichen Grundrechten verstanden werden. Durch die an Fahrt aufnehmende Reformation war die Atmosphäre aufgeheizt und kirchlichen Einrichtungen gegenüber kritisch eingestellt. So wurden nicht nur Adelssitze, sondern vor allem auch Klöster Ziel von Angriffen der Aufständischen. Mit den im Frühling 1525 an zahlreichen Orten in Mitteldeutschland und Südwestdeutschland sowie Tirol parallel aufflammenden Konflikten kann der Bauernkrieg vor 500 Jahren als größter Volksaufstand vor der Französischen Revolution gelten.
Seit 2023 führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt archäologische Forschungsgrabungen an ausgewählten authentischen Stätten des Bauernkrieges auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt durch. Das ehemalige Augustiner-Eremitenkloster Himmelpforte bei Wernigerode (Landkreis Harz) ist einer dieser Orte. Derzeit findet mit Unterstützung der Stadt Wernigerode die dritte Forschungskampagne in Himmelpforte statt. Hier wird "Citizen Science" in für alle Beteiligten gewinnbringender Weise verwirklicht. Zudem erfreuen sich die täglichen Führungen über das Grabungsgelände durch ehrenamtliche Mitarbeiter großer Beliebtheit bei interessierten Einheimischen und Touristen.
Das in der Mitte des 13. Jahrhunderts gegründete, im Frühjahr 1525 während des Bauernkrieges zerstörte und danach aufgelassene Kloster war in der Folgezeit so gründlich abgetragen worden, dass sogar seine genaue Lage vergessen worden war. Im Ergebnis der archäologischen Forschungen unter Leitung von Prof. Dr. Felix Biermann, die neben Ausgrabungen auch geophysikalische Untersuchungen und Metalldetektorprospektionen umfassen, wird eine weitgehende Rekonstruktion der Gestalt und baulichen Entwicklung der steinernen Kernbauten des Konventes möglich sein. Auch aktuell werden wieder hervorragend erhaltene, teilweise über zwei Meter hohe Grundmauern des Klosters freigelegt. Eindrucksvoll ist insbesondere der Ostabschluss der Kirche aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts: Die Augustiner-Eremiten hatten eine architektonische Form gewählt, die stattlich und imposant wirkte, zugleich aber ohne Prunk auskam und ihre Demut und Bescheidenheit in Stein zum Ausdruck brachte – ein einfacher, nicht eingezogener Rechteckchor, den mächtige gotische Strebepfeiler gliederten. Ähnliche Pfeiler begegnen an dem später südlich an die Kirche angesetzten Baukörper, den wir vorerst mit der 1478 schriftlich erwähnten Katharinenkapelle in Verbindung bringen, die auch die Bibliothek des Klosters aufnehmen sollte. Im Norden schloss sich der dreiflügelige Klausurkomplex an die Kirche an, der sich mit seinem Kreuzgang um einen nur kleinen Hof schloss und sich dem üblichen Rechteck lediglich annäherte. Der Grund für den asymmetrischen Grundriss der Klausur ist unbekannt.
Auch andere Baulichkeiten werfen Fragen auf, etwa eine halbrunde, konchenartig in den Kreuzgang ragende Fundamentstruktur an der Nordwand der Kirche. Vielleicht ist an eine Nische für einen Seitenaltar zu denken. Die Grabungsschnitte durch Nord- und Ostflügel der Klausur ermöglichen auch dort detaillierte Einsichten in die Baugestalt und -geschichte, wo die geophysikalischen Untersuchungen kein klares Bild geliefert hatten.
In und an der Kirche sowie im Kreuzgang kommen zahlreiche Gräber des 13. bis 16. Jahrhunderts ans Tageslicht. Besonders das Terrain am Rechteckchor der Kirche, der den Hauptaltar enthielt, war zur Bestattung begehrt – die Nähe zum spirituellen Herzen des Klosters versprach den Gläubigen Seelenheil und Hoffnung auf Auferstehung. Hier ballen sich die Gräber von Kindern, Frauen und Männern, meistenteils Bewohner der Klostergüter. In der Kirche ruhen hohe Mitglieder und adelige Wohltäter des Konventes. Die im Kreuzgang zur letzten Ruhe gebetteten Menschen werden Augustiner-Eremiten gewesen sein. Einige Tote tragen bronzene Schnallen, an denen sich auch Reste ihrer Ledergürtel erhalten haben. Bei etlichen Gräbern weisen eiserne Nägel auf Särge hin.
Die Masse der Toten bleibt für uns anonym. Eine Ausnahme bildet das Grab der 1520 verstorbenen Gerrun von Königstein, deren reich verzierte Grabplatte bereits im letzten Jahr entdeckt und nun gehoben werden konnte: In der ungewöhnlich tiefen Grabgrube darunter liegen die Gebeine des vor 505 Jahren zu früh verstorbenen hochadeligen Mädchens mit fromm zum Gebet gefalteten Händen.
Mehr als ein Dutzend Silbermünzen, eisernes Arbeitsgerät, Tongeschirr und Ofenkacheln, Buchbeschläge aus Buntmetall, Schreibgriffel und sogar ein zierlich-eleganter Ohrlöffel aus Bein als Utensil der persönlichen Hygiene beleuchten viele Aspekte des klösterlichen Alltags. Trümmerschichten, Brandreste, heruntergebrochene Kellergewölbe und unter Feuereinwirkung zerschmolzene Dachziegel künden von der Zerstörung und Verwüstung des Klosters im Bauernkrieg und in den folgenden Jahrhunderten. Die vielfältigen archäologischen Ergebnisse ermöglichen nun ein lebensvolles und facettenreiches Bild der Himmelpforte, über die bis vor Kurzem nur wenige Schriftquellen Auskunft zu geben vermochten.
Derzeit bietet die Kabinettausstellung "Klöster. Geplündert. In den Wirren der Bauernaufstände" den Besucherinnen und Besuchern des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale) Einblicke in laufende Forschungen, die das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt seit 2023 an drei authentischen Orten des Bauernkriegs im heutigen Sachsen-Anhalt durchführt: den einstigen Klöstern Himmelpforte bei Wernigerode (Landkreis Harz) und Kaltenborn im Landkreis Mansfeld-Südharz sowie der erst 2024 wiederentdeckten Mallerbacher Kapelle bei Allstedt (ebenfalls Mansfeld-Südharz).
Nachdem sich die Untersuchungen bereits in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung großen Interesses erfreuten und von zahlreichen Freiwilligen unterstützt wurden, ist auch in diesem Jahr an allen drei Orten die ehrenamtliche Mitarbeit an den Forschungsgrabungen möglich. Daneben können sich Interessierte im Rahmen von Grabungsführungen über die Geschichte, Blüte und den Niedergang der erforschten Orte sowie die neuesten Untersuchungsergebnisse informieren.
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