Ungewöhnliche Objekte aus dem römischen Lagerdorf in Krefeld

Archäologen haben bei ihrer Arbeit mindestens zwei Glücksmomente, in denen sie sich über Entdeckungen freuen, staunen oder überrascht sind: Einmal während der eigentlichen Ausgrabung und dann bei der anschließenden Säuberung und ersten Betrachtung der Funde. So ist das derzeit auch im Archäologischen Museum Krefeld.

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Der Kopf einer Matronen-Statuette wurde vom Krefelder Stadtarchäologen Dr. Hans Peter Schletter im Rahmen der Gelleper Neufunde vorgestellt
Der Kopf einer Matronen-Statuette wurde vom Krefelder Stadtarchäologen Dr. Hans Peter Schletter im Rahmen der Gelleper Neufunde vorgestellt. (Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof)

Kisten und Kartons sind gefüllt mit Plastiktüten, alle mit gelben Zetteln und Kennziffern versehen, in denen unbearbeitete Funde liegen. Sie stammen alle aus der größten Grabungskompagnie des Museums in Krefeld-Gellep, die für den Stadtarchäologen Dr. Hans Peter Schletter und sein Team im vergangenen Februar endete. Tausende Funde haben sie vor allem aus dem nördlichen Lagerdorf des römischen Kastells Gelduba (Gellep) geborgen. Diese wurden und werden in der Restaurationswerkstatt unter der Leitung von Restauratorin Eileen Wolff und mit Hilfe von Ehrenamtlichen von Dreck und Korrosionsmaterial befreit. Dabei kommt auch manch Ungewöhnliches nach fast 2000 Jahren ans Tageslicht. Zwei solche überraschenden Funde geben nun einen kleinen Einblick in das Alltagsleben der Römer in Krefeld.

Restauratorin Eileen Wolff fügt drei rötlich gefärbte Keramikscherben vorsichtig zusammen. Sie unterlegt die gewölbten Scherben mit etwas Knetmasse, so passen sie fast lückenlos aneinander. "Es war wohl ein Krug oder etwas Ähnliches", sagt Schletter. Ins rechte Licht gerückt, lassen sich eingeritzte Linien erkennen. Es handelt sich um einen Mann in Schrittstellung, einen Arm abgewinkelt, der Kopf und der andere Arm fehlen, also die entsprechenden Scherben. Deutlich zu erkennen ist jedoch ein im Vergleich zum restlichen Körper enorm erigierter Penis.

"Eine derartige Darstellung ist beim ersten Betrachten schon eine Überraschung", so der Stadtarchäologe. Ein Graffito mit einem solch überdimensionierten Glied wurde in Krefeld bislang noch nicht gefunden, obwohl erotische Darstellungen in dieser Zeit weit verbreitet gewesen waren. "Für unsere Augen mag das heute obszön wirken. Im Römischen Reich sind die Menschen aber sehr viel unbefangener mit Sexualität umgegangen", erklärt der Archäologe. Ob der Eigentümer seine Potenz oder andere persönliche Qualitäten damit ausdrücken wollte, ob das Gefäß aus einem Wirtshaus mit Bordell stammt, bleibt eine offene Frage. "Welche Motivation dahinter steckt, können wir nicht sagen, zumal eine Inschrift fehlt, die eine weiterführende Aussage ermöglichen könnte", so Schletter.

Graffiti, also Einritzungen auf Tellern, Krügen und Gefäßen, finden sich auf einigen Objekten aus Gellep. Sie seien auf persönlichen Gebrauchsgegenständen bei den Römern nicht selten gewesen. Auf diesen stehen zumeist Namen oder Abkürzungen von militärischen Einheiten. "Wir haben auch einen Becher auf dem 'Cervisia', also Bier steht", berichtet Schletter. Die Reste des Gefäßes mit der Penis-Darstellung hat Doktorand Eric Sponville im zentralen Bereich des Lagerdorfes entdeckt und im Museum weiter untersucht. "Es stammt wohl aus dem zweiten Jahrhundert. Dabei handelt es sich um normale Gebrauchskeramik, die vielleicht vor Ort produziert worden ist", so Sponville. Entsprechende Brennöfen legte er während der Grabung in Gellep frei.

Das Grafito bilde wie ein weiterer Fund einen kleinen Einblick in das Alltagsleben: Zum ersten Mal wurde in Gellep ein Teil einer Matronen-Tonstatuette gefunden. Der Kopf der Figur aus weißer Keramik ist in drei Teile zerbrochen, der restliche Körper fehlt. Die Augen und die Nase sowie ein typischer Kranz um den Kopf sind gut zu erkennen. Die oft zu Dritt auf Steinblöcken abgebildeten Matronen sind

Muttergottheiten, die für Fruchtbarkeit oder den jahreszeitlichen Wandel der Natur stehen. "Zu dieser Statue gehörten also noch zwei weitere hinzu", erklärt Schletter. Sie könnten Teil eines privaten Hausaltares in Gelduba gewesen sein. In der nordwestlichen römischen Provinz sei dieser keltisch-germanische Götterkult verbreitet gewesen und zum Ende des ersten Jahrhunderts von Römern, vornehmlich Soldaten, übernommen worden. "Wir wissen wenig über den Matronenkult", sagt Schletter. Ob die Matronen angebetet wurden, ist nicht bewiesen. Die Römer baten sie wohl um Segen, Schutz und Beistand. Rund 800 Matronensteine aus der römischen Provinz Niedergermanien sind bekannt. Ein Fund aus Krefeld mit drei Matronen wird in die Abteilung "Römische Religionsvielfalt" im Archäologischen Museum gezeigt, in der verschiedene Kulte erläutert werden. In diese soll auch der kleine Matronenkopf einmal eingefügt werden.

Die vermutlich von einem Krug stammenden Keramikscherben mit der Ritzzeichnung
Die vermutlich von einem Krug stammenden Keramikscherben mit der Ritzzeichnung. (Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof)