Schuhnägel für Roms Legionäre: Ausgrabungen im Kastell von Waldmössingen

Seit dem 4. August 2025 haben sich Studierende verschiedener Universitäten aus ganz Deutschland mit modernen Methoden der Ausgrabungstechnik auf der Ausgrabung in Schramberg-Waldmössingen (Landkreis Rottweil) vertraut gemacht. Zu den wissenschaftlichen Ergebnissen der von großem Publikumsinteresse begleiteten Grabungen gehört der Nachweis einer Fabrica, aus der unter anderem große Mengen eiserner Schuhnägel für die berühmten römischen Militärsandalen stammen.

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Caliga
Römischer Soldatenstiefel (lateinisch: caliga) mit genagelter Sohle. Im Hintergrund der 1975 nachgebaute Eckturm des Kastells Waldmössingen. Foto: Universität Freiburg, L. Regetz

"Als Rom im 1. Jahrhundert das Land am Oberen Neckar in Besitz nahm, dürfte Waldmössingen das zentrale Versorgungsdepot für die kaiserlichen Truppen gewesen sein, die vom Oberrhein über die neuerbaute Schwarzwaldstraße vorrückten", berichtet Dr. Andreas Thiel vom Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart. "So helfen uns eineinhalb Zentimeter kleine Nägel, die historischen Vorgänge der Zeit besser zu verstehen, als Kaiser Vespasian um das Jahr 74 nach Christus beschlossen hatte, die Reichsgrenzen vom Rhein nach Osten vorzuverlegen".

Vermutlich zusammen mit dem Bau der Straßenverbindung durch das Kinzigtal errichtete das römische Heer mehrere Truppenlager am oberen Neckar. Rings um ein 16 Hektar großes Standlager für eine Legion in Rottweil, dem antiken Arae Flaviae, entstanden auch mehrere kleinere Kastelle, deren Funktion im Einzelnen unklar bleibt. Unter diesen sticht das zwei Hektar große Waldmössingen durch seine zentrale Lage an einem Straßenknoten hervor. Bereits im Jahr 1896 führte hier die damalige Reichs-Limeskommission flächige Ausgrabungen durch. Dabei wurden die Umwehrung und ein Teil der Innenbauten des Kastells untersucht. Damals fiel den Ausgräbern im vorderen Lagerteil ein über 1.000 Quadratmeter großes Steingebäude auf, das keine Parallelen in zeitgleichen Plätzen hatte. Mit den damaligen Methoden gelang es jedoch nicht, die Funktion dieses ungewöhnlichen Gebäudes zu klären.

Im Rahmen der aktuellen Lehrgrabung, die das Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (LAD) in Kooperation mit der Abteilung für Provinzialrömische Archäologie der Universität Freiburg durchführt, wurde ein kleiner Ausschnitt im Inneren des rätselhaften Gebäudes untersucht. Dabei ließen sich unter anderem zwei aufeinanderfolgende Bauphasen während der rund fünfzig Jahre dauernden Nutzungszeit des Gebäudes feststellen. Ein wichtiges Ergebnis für die Frage nach dessen ursprünglicher Funktion war laut Andreas Thiel der Nachweis, dass in dem zirka 50 mal 20 Meter messenden langrechteckigen Bau offenbar Metall verarbeitet wurde. Besonders den Funden von weit über 100, offenbar fabrikneuen Schuhnägeln aus Eisen, kommt dabei Bedeutung zu: Ihre Verwendung zum Beschlagen der Sohlen römischer Schnürstiefel, der "caligae", dem charakteristischen Schuhwerk römischer Legionare, ist laut Thiel seit langem bekannt. Solche eisernen "Spikes" gaben im unwegsamen Gelände den nötigen "Grip". Versuche zeigten allerdings auch, dass bei den Märschen der Soldaten beständig Nägel ausfielen und ersetzt werden mussten. Die Verluste waren so groß, dass die Soldaten ein eigenes Nagelgeld ("clavarium") erhielten, um sich Ersatznägel kaufen zu können. Bis heute noch lassen sich anhand der Funde solcher römischer Schuhnägel Marschrouten und Schlachtfelder rekonstruieren. 

"In dem Steinbau von Waldmössingen dürften Schuhnägel produziert - zumindest jedoch in großem Maßstab gelagert worden sein. Weitergedacht legt das den Schluss nahe, dass hier ein großes Zentraldepot des römischen Heeres bestand, von dem aus die umliegenden Militärplätze beliefert wurden", sagt Thiel.

"Die Grabung war nicht nur für die Forschung ertragreich, sondern auch eine der kurzweiligsten Lehrveranstaltungen, die ich leiten durfte", sagt Lena Regetz, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Provinzialrömische Archäologie am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Freiburg.

Die Begeisterung für die praktische Forschung stecke auch ein breites Publikum an, das den Archäologinnen und Archäologen beinahe täglich über die Schulter schauen und Fragen stellen konnte. Über 1500 meist junge Besucherinnen und Besucher erfuhren so vor Ort unmittelbar, wie in Waldmössingen die knapp zweitausend Jahre alten Bodenzeugnisse zum Sprechen gebracht wurden.

Ausgrabung im Römerkastell
Studierende bei den Ausgrabungen im römischen Kastell von Schramberg-Waldmössingen. Foto: Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart/Bild: C. Wulfmeier
Römischer Soldatenstiefel (caliga) mit Schuhnägeln
Nachbildung eines römischen Soldatenstiefels (lateinisch: caliga) und Schuhnägel aus dem Fundmaterial der Ausgrabungen von Schramberg-Waldmössingen. Foto: Universität Freiburg, L. Regetz