Ein Ritual für den Krokodilgott

Fast 25 Jahre lang hat sich der Würzburger Ägyptologe Martin Stadler mit Texten für den Tempelkult des Soknopaios befasst. Im Rahmen eines DFG-geförderten Forschungsprojekts hat er kürzlich die Erstedition dieses Rituals veröffentlicht.

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Ausgrabung Dimê
Die Überreste der Tempelanlage von Dimê. Hier wurde der Soknopaios verehrt. Foto: Martin Stadler, Universität Würzburg

Die Stadt Dimê, auch als Soknopaiu Nesos bekannt, blühte während der griechisch-römischen Zeit des antiken Ägyptens auf. Die Ruinen der Siedlung, die von einer beeindruckenden Tempelanlage geprägt war, befinden sich im Fayum-Becken, etwa zwei Autostunden von Kairo entfernt.

Das Fayum ist eine Senke, in der inmitten von Sümpfen ein riesiger, von einem Seitenarm des Nil gespeister See lag. Hier muss es von Krokodilen nur so gewimmelt haben. Vor fast 4.000 Jahren begannen die Ägypter damit, dieses Gebiet landwirtschaftlich zu erschließen. Zentrum der Region war die Stadt Schedet, von den Griechen anschaulich als Krokodilopolis, also Stadt des Krokodils, bezeichnet.

Der Sobek-Kult in Dimê

In der Tempelanlage des Ortes wurde vor allem Soknopaios verehrt, bei dem es sich um eine Form des Krokodilgottes Sobek handelt. Wie eigenständig diese Gottheit tatsächlich war, darüber lasse sich laut Professor Martin Stadler, an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg Inhaber des Lehrstuhls für Ägyptologie, diskutieren: »In der Ägyptologie gibt es eine Tendenz, das ägyptische Pantheon zu atomisieren. Ich denke aber, dass wir es hier nicht mit einer eigenständigen Gottheit zu tun haben, sondern einfach mit einer lokalen Form des Sobek. So wie es auch eine Mutter Gottes von Altötting, von Fatima und Tschenstochau gibt. Soknopaios ist die gräzisierte Form des ägyptischen ‚Sobek, Herr von Pai'. Pai ist ein anderer Name für Dimê.«

Sobek wird in der altägyptischen Mythologie meistens mit einem Krokodilkopf auf einem menschlichen Körper dargestellt. Er galt als Herr über das Wasser und als Fruchtbarkeitsgott, dem zusätzlich Schöpferqualitäten zugeschrieben wurden.

Wie überall mussten auch die Priester des Soknopaios-Tempels in Dimê bei der Verehrung der Gottheit strikten Abläufen und Ritualen folgen. Diese sind auf mehren Papyri überliefert, die im Ägyptischen Museum Berlin, im Britischen Museum London und im Louvre in Paris aufbewahrt werden. Einer dieser Papyri – der Papyrus Berlin P. 8043 – begleitete Stadler auf verschiedenen Schritten seines akademischen Werdegangs.

Ablauf des Rituals

Im Text werden Vorbereitung und Ablauf des täglichen Rituals beschrieben. Zunächst musste der Priester verschiedene Riten vollziehen, um das Innere des Tempels überhaupt betreten zu dürfen, wie Waschungen und Einkleidung. Dann galt es an fünf Toren, Sprüche zu rezitieren, um Zugang zu erhalten. Das eigentliche Ritual bestand aus der Entkleidung, der Salbung und Neueinkleidung des Kultbildes.

Zusätzlich wurden der Gottheit auch Opfergaben in Form von Lebensmitteln dargebracht. Hier zeigten sich die alten Ägypter übrigens nachhaltig: Der Gottheit wurde eine gewisse Phase eingeräumt, sich daran gütlich zu tun. Blieben die Opfergaben unberührt, wurden sie an die Priester verteilt, die sie dann selbst verzehrten.

Die gesamte Tempelanlage in Dimê wurde seit Mitte der 2000er Jahre während eines archäologischen Vorhabens der Universität Lecce (Italien) systematisch freigelegt. Eine der Leiterinnen dieser Grabung, Professorin Paola Davoli, hatte Stadler 2003 bei einem Vortrag in Sommerhausen getroffen. Die neuen Grabungsergebnisse passten hervorragend zu den Erkenntnissen über die Architektur, die sich auch dem Ritualtext ergaben. Durch seine Arbeit am Text über den Soknopaios-Kult konnte Stadler die spätere Entdeckung der Tempelhalle mit den fünf Toren vorhersagen. Seitdem begleitete er das Projekt als Grabungsphilologe.

Was lange währt

Erstmals wurde Martin Stadler 1998 auf den Papyrus Berlin P. 8043 während der Suche nach einem Dissertationsthema aufmerksam, entschied sich dann aber für die Erstedition eines anderen Papyrus – ebenfalls aus Dimê. »Zum Glück, denn sonst wäre ich vielleicht heute noch nicht promoviert«, überlegt Stadler im Hinblick auf den Umfang der nun abgeschlossenen Arbeit spaßeshalber.

Nach erfolgreicher Promotion erinnerte er sich wieder an die Handschrift, als Karl-Theodor Zauzich, Stadlers Doktorvater und Vorgänger am Würzburger Lehrstuhl, vorschlug, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Projekt zu beantragen, um im Fach zu bleiben: »Er drückte mir damals einen Packen Fotos von Papyri in die Hand, welche sich anschließend als Fragmente weiterer Handschriften desselben Textes wie der des Papyrus Berlin P. 8043 herausstellten.« Letztlich dauerte es aber bis ins Jahr 2015, ehe das Vorhaben im Rahmen des DFG-geförderten Projekts »Dimê im Fayum – ein Tempel im Spannungsfeld von Tradition und Multikulturalität im hellenistisch-römischen Ägypten« richtig Fahrt aufnahm. Weitere sieben Jahre später steht nun eine umfassende Publikation, die die späten Fassungen des Rituals erstmals kommentiert übersetzt.

Das Bohren dicker Bretter

Ein einfaches Unterfangen war das Projekt nicht. Im Nachhinein erkennt Martin Stadler, dass es »weder in einem Dissertationsvorhaben noch in einem zeitlich begrenzten Drittmittelprojekt jemals zu bewerkstelligen gewesen wäre.«

Schwierigkeiten bestanden zum einen im schlechten Zustand der Papyri, welche größtenteils nur fragmentiert vorlagen. Aber auch linguistisch hatte der Text seine Tücken. Trotz des späten Entstehens im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus überliefert er nämlich Teile diverser deutlich älterer Ritualtexte. So mussten drei verschiedene ägyptische Schriftsysteme – Hieroglyphen, Hieratisch und Demotisch – im Blick behalten und eine mindestens 2000-jährige Sprachgeschichte berücksichtigt werden.

Die im Zentrum der Arbeit stehende Fassung wurde schließlich in unetymologischer demotischer Schrift verfasst, wodurch vermutlich sowohl der Klang überliefert als auch durch die graphische Gestaltung zusätzliche mythologische Anspielungen zum Ausdruck gebracht werden sollten. Der Klang spielte beim Ablauf des Rituals eine entscheidende Rolle.

Ob der großen Komplexität der Edition betont Martin Stadler, dass solche Arbeit »das Bohren dicker Bretter« sei. »Die Edition antiker Handschriften braucht Geduld, Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz und am Ende auch die Einsicht, dass man selbst oft nicht alles abschließend klären kann.«

Publikation

Stadler, Martin Andreas

Das Soknopaiosritual: Texte zum ›Täglichen Ritual‹ im Tempel des Soknopaios zu Dimê (›SPR‹)

2022