Bereits der Neandertaler jagte Höhlenlöwen und nutzte ihre Felle

Einer neuen Studie zufolge lässt sich erstmals nachweisen, dass bereits Neandertaler Höhlenlöwen jagten und das Fell des gefährlichen Karnivoren schätzten. Die Studie ist kürzöich in der angesehenen Zeitschrift Scientific Reports erschienen und wurde im Rahmen des Verbundprojektes »Climate Change and Early Humans in the North« erarbeitet.

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Anthropogene Veränderungen am Skelett des Siegsdorfer Löwen
Anthropogene Veränderungen am Skelett des Siegsdorfer Löwen. (A). Siegsdorfer Löwenskelett mit der Verteilung der beobachteten anthropogenen Veränderungen. Die grau unterlegten Elemente stellen die ursprünglich ausgegrabenen dar. (B). Rippe III, rechte ventrale Ansicht mit partiellem Einstich; (C). Rechtes Schambein mit Schnittspuren; (D). Rippe VI, rechte ventrale Ansicht mit Schnittmarken; (E). Rechter distaler Oberschenkelknochen, Ansicht von kaudal, mit Einstichen. Maßstab 1 cm. Abbildung: Russo, G., Milks, A., Leder, D. et al. First direct evidence of lion hunting and the early use of a lion pelt by Neanderthals. Sci Rep 13, 16405 (2023). doi.org/10.1038/s41598-023-42764-0CC-BY 4.0

Bei Ausgrabungen an der Einhornhöhle im Harz wurden 2019 unter zahlreichen eiszeitlichen Tierresten auch wenige Knochen des ausgestorbenen Höhlenlöwen identifiziert. Die Funde lagen in einem Seitenarm der Höhle etwa 30 Meter vom heute verschütteten Eingang entfernt, in einer mehr als 200.000 Jahre alten Fundschicht. Bei der Untersuchung der Überreste fiel Gabriele Russo (Universität Tübingen) ein Zehenknochen auf: die Phalange zeigt eine Schnittspur, die an dieser Stelle nur Sinn ergibt, wenn das Tier zur Fellgewinnung enthäutet wurde. Dabei wurden die Krallen gut sichtbar im Fell belassen, was sicherlich dem Prestige des Besitzers dienen sollte. Hieraus lässt sich auf eine besondere Wertschätzung des Löwenfells durch frühe Neandertaler schließen.

Für eine Jagd des Tieres lieferten die Funde aus der Einhornhöhle allerdings keinen direkten Beleg. Bei der Durchsicht bereits bekannter Höhlenlöwenfunde gelang Russo dann zu dieser Frage eine entscheidende Entdeckung. Im Jahr 1975 hatte ein Jugendlicher bei Siegsdorf in Bayern exzellent erhaltene Überreste eines Höhlenlöwen entdeckt, die heute im örtlichen Museum ausgestellt werden. Bei der Untersuchung des Skelettes konnte der Forscher neben zahlreichen bekannten Schnittspuren auch eine Beschädigung an einer Rippe beobachten, die er zusammen mit der Archäologin Annemieke Milks (University of Reading) als Jagdverletzung identifizierte. Russo stellt fest: »Die Rippenverletzung unterscheidet sich deutlich von Bissspuren großer Fleischfresser und zeigt die typischen Bruchmuster einer Verletzung durch eine Waffe«. Milks bestätigt: »Der Löwe wurde wahrscheinlich durch den Stoß mit einem Speer in den Brustraum getötet, als er bereits am Boden lag.« Damit lässt sich für das etwa 50.000 Jahre alte Skelett erstmals nachweisen, dass der Neandertaler Höhlenlöwen tatsächlich gejagt hat. Die Schnittspuren belegen zudem, dass er nicht nur einen Nahrungskonkurrenten beseitigt, sondern das Fleisch auch verzehrt hat.

Der Höhlenlöwe hatte eine Schulterhöhe von etwa 1,3 Metern und war das gefährlichste Tier der letzten 200.000 Jahre in Eurasien, bis er am Ende der Eiszeit ausstarb. Der Top-Karnivore lebte sowohl in der Steppe, als auch in bergigen Regionen und jagte große Pflanzenfresser wie Mammut, Bison und Pferd, aber auch der Höhlenbär gehörte zur Beute. Seinen Namen verdankt er dem regelmäßigen Auftreten seiner Überreste in den eiszeitlichen Schichten der Höhlen. Bislang wurde eine besondere Wertschätzung des Tieres allein dem frühen Homo sapiens zugeschrieben. Unter den ältesten Kunstwerken des Menschen von der Schwäbischen Alb ist der Höhlenlöwe u.a. mit dem aus Elfenbein geschnitzten, ca. 40.000 Jahre alten Löwenmensch prominent vertreten. In der Grotte Chauvet in Südostfrankreich sind Löwenrudel die eindrucksvollsten Darstellungen der etwa 34.000 Jahre alten Wandmalereien.

Die neuen Ergebnisse verdeutlichen, dass der Höhlenlöwe bereits für den Neandertaler von großer Bedeutung war. Der Sprecher des Projektes, Thomas Terberger (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege und Universität Göttingen), zeigt sich begeistert von den Untersuchungsergebnissen: »Der Wunsch, mit dem Fell dieses gefährlichen Tieres Respekt und persönliche Kraft zu gewinnen, wurzelt allem Anschein nach bereits in der Zeit des Neandertalers, und bis heute gilt der Löwe als herrschaftliches Symbol!«

Die neue Studie bestätigt, dass der Neandertaler dem modernen Menschen sehr viel ähnlicher war als noch vor kurzem gedacht. So brachte die Einhornhöhle auch einen Riesenhirschknochen hervor, der mit einem Winkelmuster verziert ist. Die neuen Erkenntnisse zum Umgang des Neandertalers mit dem Höhlenlöwen passen somit gut ins Bild und könnten auch die Grundlage für spätere kulturelle Entwicklungen von Homo sapiens gelegt haben.

Die Studie ist heute in der Zeitschrift Scientific Reports erschienen und wurde im Rahmen des Verbundprojektes »Climate Change and Early Humans in the North« erarbeitet, das federführend vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege durchgeführt und vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert wird.

Publikation

G. Russo/ A. Milks/ D. Leder/ T. Koddenberg/ B.M. Starkovich/ M. Duval/ J.-X. Zhao/ R. Darga/ W. Rosendahl/ T. Terberger

First direct evidence of lion hunting and the early use of a lion pelt by Neanderthals

Scientific Reports. 12.10.2023
DOI: 10.1038/s41598-023-42764-0