Aufbau und Zerstörung - Neues zum ältesten jahrgenau datierten Burgwall Mitteleuropas

Unmittelbar am Rande der Stadt Kemberg, Lkr. Wittenberg, befand sich während der späten Bronze- und frühen Eisenzeit (ca. 1200-500 v. Chr.) eine der bedeutendsten vorgeschichtlichen Burgen Mitteldeutschlands dieser Zeit. Im Rahmen eines polnisch-deutschen Kooperationsprojektes der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau (UKSW) und des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA) werden am Burgwall seit dem 8. Juli archäologische Untersuchungen durchgeführt.

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Burgwall Kemberg, Luftbild
Luftbild des Kemberger Burgwalls. Die Ausgrabungsfläche liegt am unteren Rand des Baumbestandes. Foto: © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

Anfang des ersten Jahrtausends v. Chr. wurden zwischen Mittelgebirgen und Ostsee vermehrt befestigte Siedlungen, sogenannte Burgwälle, errichtet. Im Bereich des östlichen Deutschlands (besonders in der Lausitz), Westpolens und Nordtschechiens sind »Sumpfschanzen« charakteristisch. In Kemberg befindet sich einer der am weitesten im Westen gelegenen dieser Burgwälle. Mit mächtigen Holz-Erde-Wällen befestigt lagen sie auf niedrigen Anhöhen oder Spornen in Seen, Sümpfen oder Flussniederungen. Die Sumpfschanzen sind Teil eines gesamteuropäischen Netzwerks stadtähnlicher Siedlungen. Die meisten dieser Befestigungen werden im 6. Jahrhundert v. Chr. zerstört und aufgegeben. Auslöser des Zusammenbruchs dieses kulturellen Gefüges scheinen europaweite Konflikte gewesen zu sein. Im Falle vieler abgebrannter Burgen verweisen Funde von Pfeilspitzen auf Skythen aus der ukrainischen Steppe als Angreifer. Nach Ausweis der Funde und Befunde stießen diese Reiterkrieger aus Osten kommend bis in das Gebiet des heutigen Brandenburgs vor. Die Skythen sind auch aus der antiken Geschichtsschreibung bekannt: Sie waren unter anderem an den zeitgleich stattfindenden Perserkriegen in Griechenland beteiligt. Mit der Entstehung und dem Niedergang dieser befestigten Siedlungen tritt Mitteldeutschland damit erstmals in eine geschichtlich fassbare Epoche ein. Einen wichtigen Beitrag zur Erhellung dieser interessanten Epoche leistet die archäologische Erforschung der Burgwälle - ganz besonders solcher mit hervorragender Holzerhaltung, wie in Kemberg.

Der Kemberger Burgwall liegt auf einem in die sumpfigen Elbniederungen hineinragenden Hügel von ca. 2,5 Hektar Größe, der seit dem 16. Jahrhundert als städtischer Friedhof genutzt wird. Eine ausgedehnte Vorburgsiedlung umfasste wohl einen Großteil der Kemberger Altstadt. Die dendrochronologische Datierung (anhand der Jahrringe der Hölzer) der bei früheren Rettungsgrabungen 2009/10 und einer ersten Forschungskampagne 2014 entdeckten Hölzer des Walls ergab ein überraschend hohes Alter (äußere Palisade 968-955 v. Chr., rostartige Unterkonstruktion 861-857 v. Chr.). Damit ist der Burgwall die älteste jahrgenau datierte Anlage in ganz Mitteleuropa und rund 200 Jahre älter als die meisten anderen dieser Befestigungen. Verkohlte Schichten zeigen, dass der Holz-Erde-Wall von Kemberg im 6. Jahrhundert v. Chr. durch einen Brand zerstört wurde.

Ziel der Ausgrabungen in diesem Jahr ist eine Erweiterung des Grabungsareals sowohl in der Fläche als auch in der Tiefe. Durch zwei außergewöhnlich trockene Jahre ist es nun erstmals möglich, Hölzer aus den tieferen Lagen zu beproben, die vorher wegen des hohen Grundwasserspiegels nicht zugänglich waren. Es wurde ein breiter Wallschnitt angelegt, durch den es möglich ist, den verkohlten Wall auf breiterer Fläche zu untersuchen. Obwohl im 16. Jahrhundert in der frühen Neuzeit an gleicher Stelle ein Weg angelegt wurde, ließen sich die Konturen des ca. 5 m breiten Wallkörpers ausmachen. Unterhalb des Walls fanden sich Reste einer massiven Holzkonstruktion. Das sumpfige Vorfeld der Anlage wurde durch eine Aufschüttung von Scherben und Steinen befestigt. Bei der Zerstörung der Burg »rutschten« die Holzbohlen des Walles in den Sumpf hinein - dort wurden sie unter Sauerstoffabschluss bis heute bewahrt.

Zu den schönsten archäologischen Funden der diesjährigen Grabungskampagne gehört eine fast vollständige, spätbronzezeitliche Keramiktasse aus der Anfangszeit der Besiedelung des Burgwalls. Bereits aus der Zeit des späteren Weges stammt dagegen eine leuchtendgelb glasierte Öllampe aus einer neuzeitlichen Grube.

An der Grabung beteiligt sind Studierende der UKSW unter der örtlichen Leitung von Prof. Dr. Louis D. Nebelsick (UKSW/LDA) und Olaf Schröder (LDA). Das zweiwöchige Forschungsprojekt konnte dank der Unterstützung der Stadt Kemberg und der Familie Höhne, auf deren Grund die Ausgrabung stattfindet, realisiert werden. Durch weitere archäologische Untersuchungen wird es in Zukunft hoffentlich möglich sein die überraschend frühen Kemberger Daten in ein weitläufigeres, historisches Gerüst einzubinden. Zudem sollen die Bedeutung dieses einzigartigen Bodendenkmals der Kemberger Bevölkerung näher gebracht und weitere Möglichkeiten der Erschließung durch ein größeres Publikum aufgezeigt werden.

Freilegung von Holzbefunden
Freilegung von Holzstrukturen am Kemberger Burgwall. Foto: © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Spätbronzezeitliche Tasse in situ
Spätbronzezeitliche Tasse bei der Auffindung. Foto: © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Neuzeitliche Öllampe in situ
Neuzeitliche Öllampe bei der Auffindung. Foto: © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt