Das neue Abbild der Schönen

3D-Scantechniken ermöglichen objektive Reproduktion der Nofretete-Büste

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3DRestaurierung

Ihre Schönheit ist atemberaubend, die Lebendigkeit ihrer Ausstrahlung fasziniert, das Lächeln betört. Die Büste der Nofretete, um 1340 vor Christus von Bildhauer Thutmosis als Lehrwerk für seine Schüler geschaffen, ist ein Meisterwerk antiker Bildhauerkunst. Die technologische Entwicklung hat es nun möglich gemacht, ein objektives Ebenbild der „Schönen, die da kommt" zu formen. Bisher wenig beachtete Züge ihres Gesichtes kommen in der Kopie plötzlich zur Geltung.

Berlin, Museumsinsel, stockfinstere Nacht. Eine Arbeitszeit, die für die Berliner Vermesser Thomas Bauer und Mark Praus nicht ungewöhnlich ist, stört doch Licht die Präzision des von ihnen verwendeten Messsystems. Außergewöhnlich ist sonst alles an diesem Abend. Das Objekt, das diesmal durch die Scannerlinse erfasst wird, ist kein anderes als die Büste der Nofretete. Ein Auftrag, für dessen Erfüllung nur wenige Stunden Zeit bleiben. Das Team des Vermessungsbüros TrigonArt legt in dieser Nacht den Grundstein für eine Kopie der Nofretete-Büste, wie sie in ihrer Präzision bisher technisch nicht realisierbar war. Es ist das erste Mal, dass eine derartig historisch wertvolle Plastik mittels 3D-Technik in hoher Auflösung gescannt und schließlich maschinell reproduziert wird. Institute und Universitäten weltweit können sich künftig mit einem neuen, der heutigen Zeit angepassten und in seiner Genauigkeit bisher unerreichten Replikat der Königinnenbüste schmücken, realisiert durch Quantensprünge in der Entwicklung von Vermessungs- und Reproduktionstechniken.

Die Vermessung erfolgt völlig berührungslos, somit wird die Oberfläche des Objekts geschont. Die Abtastung der Oberfläche wird mit einem optisch arbeitenden Verfahren ermöglicht. Nicht die kleinste Unebenheit kann so unregistriert bleiben, wie beispielsweise die oft dick aufgekleckste Farbe. So genannte Messbilder verraten mehr über diese Technik, die eine maßstabsgetreue bildhafte Darstellung der Büste ohne die bei Fotografien übliche Verzerrung ermöglicht. Die durch Kameras erkannte Verformung eines projizierten Lichtmusters erlaubt eine Berechnung der Oberfläche in wenigen Sekunden. Über die Verformung von auf die Büste geworfenen Licht- und Schattenlinien werden die Messpunkte digital errechnet.

Die Auflösung, also der Abstand der Messpunkte im Raster auf dem Objekt, beträgt während der Vermessung etwa 0,1 Millimeter. Die Dichte der Messpunkte lässt sich anhand einer vorher berechneten Kalibrierung festlegen. Die Darstellung ist äußerst akkurat, da die Genauigkeit des Messpunkts während des Scans fünfhundertstel Millimetern beträgt. Je nach Anforderung können so Objekte und Bereiche von wenigen Millimetern bis hin zu einigen Metern mit diesem Verfahren dokumentiert werden. Die fast einen halben Meter große Büste wurde mit nahezu 80 Millionen Messpunkten überzogen. Eine softwaregestützte Auswahl von etwa sieben Millionen Messpunkten bildet die Grundlage für ein komplexes und hochgenaues 3D-Modell. Je dichter und genauer die Messpunkte, desto detailgetreuer ist auch das 3D-Modell. Zusätzlich besteht die Möglichkeit anhand präziser, verzerrungsfreier Orthobilder ein Konstruktionsraster zu erstellen, das eventuell Rückschlüsse über die eigentliche Herstellung der Büste durch Thutmosis zulassen könnte.

Die ohne Restaurierung original erhaltene Bemalung der Büste macht eine klassische Abformung mittels Silicon oder Ton unmöglich. Zu groß ist die Gefahr einer Beschädigung der jahrtausende alten Farbfassung. Eine Kopie konnte bisher somit nur per Augenmaß und Einzelpunktmessung anhand mechanischer Hilfsmittel von einem Bildhauer geschaffen werden. Eine mühselige Arbeit, handwerklich höchst anspruchsvoll. Das Ergebnis war eine Kopie der Büste, die auch eine subjektive Betrachtung des Bildhauers widerspiegelt – nicht jede kleine Ecke, Kante oder Form kann mit dieser Verfahrensweise so reproduziert werden wie im Original.

Ein Vergleich der in die Jahre gekommenen Kopie mit dem Original wird vom Ingenieurbüro TrigonArt in Zusammenarbeit mit der Gipsformerei der Staatlichen Museen Berlin erstellt. Es soll die Frage beantworten, wie genau der Bildhauer damals arbeitete. Erste augenscheinliche Befunde: Die über 80 Jahre alte Kopie weist mehrere Merkmale der Büste nicht oder anders als im Original auf – Falten unter den Augen, eine Linie in der Mitte der Oberlippe, einen dünneren Ansatz des Helmes und die Beschaffenheit der Ohren. „Die damaligen technischen Möglichkeiten sind nicht mit den heutigen vergleichbar, realisiert werden kann inzwischen ein objektives Abbild", sagt Vermessungsingenieur Thomas Bauer.

Eine sogenannte Falschfarbanalyse zeigt, wie ähnlich die bildhauerische Kopie der echten Nofretete-Büste kommt. Hierbei wird das erstellte 3D-Modell des Originals mit dem ebenfalls erfassten 3D-Modell der alten Kopie überlagert. Die Unterschiede der beiden Reproduktionen sind durch angezeigte Farbunterschiede haarklein beschrieben. Der Vergleich der beiden Büsten wird mit einer Spezialsoftware erreicht, welche vorwiegend im industriellen Bereich unter anderem zur Prüfung von Produktionsgenauigkeiten zum Einsatz kommt. Für die passgenaue Überlagerung werden der komplette Gesichtsbereich ausgewählt und die beiden Modelle softwaregestützt ausgerichtet. Nach der Ausrichtung erfolgen ein Vergleich und eine Abweichungsberechnung der beiden Modelle. Die Abweichungen können nun anhand von Falschfarbbildern visualisiert werden. Um die Abtrags- und Auftragsgrößen deutlicher darzustellen wurden ebenfalls Ansichten mit unterschiedlichen Farbbereichen ausgegeben.

Neben den digitalen Datensätzen ist die sehr genaue Kopie der Büste ein Ergebnis des Scanverfahrens. Ein 3D-Drucker verwertet die Messergebnisse des Berliner Unternehmens, um den Prototypen einer neuen Kopie der Königinnenbüste herzustellen. „Ein mehrtägiges Unterfangen, bei dem eine Maschine Schicht für Schicht Kunststoff zu einem Rohling aufträgt – mit einer Dicke von 0,016 Millimetern eine in ihrer Genauigkeit der Reproduktion unschlagbare Methode", sagt Mark Praus. Der Prototyp, auch Modell genannt, ist die Vorlage zur Herstellung der Siliconform durch das Atelier der Gipsformerei. Von diesem Modell stammen auch die Schablonen für die farbliche Fassung des Helms, des Gesichts, des Colliers und anderer Details. Die exakte Wiedergabe der Oberfläche macht es möglich die Lage der Farbflächen genau zu bestimmen. Aus der Siliconform werden die dünnwandigen Gips-Abgüsse gegossen. Verblüffend sind bei der Betrachtung eines weißen Abgusses die Details, die so nur durch das Weiß der Oberfläche deutlich sichtbar werden. Der lebendige Ausdruck des Gesichts ist so transparenter, außerdem die Dicke der aufgetragenen Farbe. Eindrucksvolle Beispiele hierfür sind der Bereich der Lapislazuli und die Art der Beschädigungen.

Durch die Verbindung der handwerklichen Tradition des 1819 gegründeten Ateliers der Gipsformerei und diesem hochmodernen Verfahren ist es gelungen eine weltweit einzigartige, bemalte Gipskopie in höchster Qualität herzustellen. Durch die Verwendung eines hochwertigen Silicons für den Formenbau ist die Vervielfältigung praktisch unbegrenzt möglich. Die durch einen großzügigen Sponsor vorfinanzierten Kosten des Projekts werden durch den Verkauf der Büsten refinanziert. „Diese Unterstützung durch unsere Kunden macht dieses Projekt erst möglich. Jeder Käufer ist somit auch Sponsor", sagt Berthold Just, Leiter der Gipsformerei. Die Büste der Nofretete kann ab sofort in den Versionen Gips natur, Gips uni oder mit der Originalbemalung auf einem Holzsockel bei der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin bestellt werden.

Erstveröffentlichung

Restauro Nr. 3, April/Mai 2009, S.154-155