Ein Krieger auf Eis

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Einem internationalen Forscherteam ist Ende Juli 2006 im Permafrostboden des mongolischen Altai ein großartiger Fund gelungen. Auf 2600 Meter Höhe im Dreiländereck Mongolei, China und Russland entdeckten die Wissenschaftler einen intakten, unberaubten Kurgan eines skythischen Kriegers mit hervorragenden Erhaltungsbedingungen.

Die hervorragenden Erhaltungsbedingungen ergeben sich aus der Tatsache, dass es sich hier um einen sog. Eiskurgan handelt. Hierbei füllt sich bereits kurz nach der Bestattung die Grabkammer mit Wasser, das im Hochgebirge gefriert und nicht mehr auftaut. Diese Eislinsen erhalten den Toten und die Gegenstände, die ihm mitgegeben wurden. Vor allem Gegenstände aus organischen Materialien wie Filz, Wolle, Seide oder Holz, die üblicherweise auf archäologischen Ausgrabungen Mangelware sind, bleiben in dieser Umgebung erhalten und bieten somit einen ganz besonderen Einblick in die materielle Welt der damaligen Zeit.

Die Skythen ...

Als Skythen werden die eisenzeitlichen Reiternomaden des südrussischen und mongolischen Steppenraumes bezeichnet, die zwischen dem Schwarzen Meer und den Flüssen Donau, Dnjestr, Bug, Dnjepr und Don lebten. Aus assyrischen Quellen kann man erschließen, dass die Skythen sich im 8. Jh. v. Chr. im Gebiet des Urmiasees ansiedelten. Ende des 7. Jh. v. Chr. unternehmen sie Kriegszüge bis nach Syrien. An der ägyptischen Grenze kann Pharao Psammetich nur durch die Bitten und Geschenke die Reiterkrieger zu einer Rückkehr bewegen, wie Herodot berichtet. Mit der Nordexpansion der Griechen im 5. Jh. v. Chr. beginnt eine Zeit des intensiveren kulturellen Austauschs. Ab Ende des 3. Jh. v. Chr. müssen sich die Skythen der Macht der Sarmaten beugen und ziehen sich auf die Krim zurück. 193. n. Chr. werden die Skythen von König Sauromates II. Vernichtend geschlagen.

... im Altai

Das Altai-Gebirge gehört heute zu den vier Staaten Russland, Mongolei, Kasachstan und China. Aus allen Teilen dieses Gebirges sind skythische Kurgane (Grabhügel) bekannt. Die zeitlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten werden unter dem Begriff „Pazyryk-Kultur“ zusammengefasst und gehören überwiegend in den späteren Abschnitt der skythischen Periode, also in das 5. - 3. Jh. v. Chr.

Der südliche Teil des Altai-Gebirges ist bisher im Zusammenhang mit den Skythen weitestgehend unerforscht geblieben. Kulturelle Beziehungen der Pazyryk-Kultur in den Süden galten aber immer schon als gesichert, denn viele charakteristische Elemente in der Kunst, z.B. im skytho-sibirischen Tierstil, zeigen deutliche Einflüsse aus der Westlichen und Östlichen Han-Dynastie in Nordchina. Seidenstoffe aus den Kurganen von Pazyryk deuten auf Handelsbeziehungen zu China hin. In Gräberfeldern im nördlichen Xinjiang konnten auf Grund des trockenen Wüstenklimas Mumien geborgen werden, deren Bekleidung, bei Männern wie bei Frauen, deutliche Parallelen zu den Funden der skythischen Kurgane aufzeigen. Diese Verbindungen zeigen den Aufbau eines Netzes von Fernverbindungen, für die später der Begriff „Seidenstraße“ geprägt wird.

Die Erforschung

In den 1860er Jahren fanden bereits erste wissenschaftliche Expeditionen in den Hochaltai statt, u. a. durch den deutschen Sprachwissenschaftler und Archäologen Friedrich Wilhelm Radloff im Auftrag der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Er dürfte die ersten Eiskurgane geöffnet haben. Diese Forschungen mündeten schließlich in den aufsehenerregenden Funden reich ausgestatteter Kurgane bei Pazyryk, dem namensgebenden Fundort, Tuekta und Basadar in den Jahren 1929 bis 1955, die heute in der St. Petersburger Eremitage ausgestellt werden.

Eine neue Phase der Erforschung wurde eingeleitet, als V. Molodin und N. Polos´mak vom Institut für Archäologie und Ethnographie der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk zu Beginn der 1990er Jahre in der Ukok-Hochebene nördlich der russisch-mongolischen Grenze weitere Kurgane fanden, in denen sie, ebenfalls durch das Eis konserviert, tätowierte Mumien samt Bekleidung fanden. Hier konnten erstmals mit modernen Methoden Eiskurgane ergraben werden. Im Gegensatz zum südrussischen Teil ist das Gebiet der nördlichen Mongolei ist noch ein weißer Fleck auf der archäologischen Landkarte Hier sollte nun das aktuelle trilaterale Projekt ansetzen. Beteiligt daran sind die Mongolei, Russland und Deutschland unter der Leitung von Prof. Dr. Ceveendorj (Direktor des Instituts für Archäologie der Mongolischen Akademie der Wissenschaften in Ulan Bator), Prof. Dr. Molodin (Vize-Präsident der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften in Novosibirsk) und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Parzinger (Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin).

Die Arbeit beginnt

Bereits im Sommer 2004 bereisten Mitglieder der drei beteiligten Institutionen die nordwestliche Mongolei und nahmen dort zahlreiche Gräberfelder auf. Im Juni 2005 wurden diese Arbeiten durch topographische Vermessungen fortgesetzt und dabei einige Gräberfelder ausgewählt, die für eine nähere Untersuchung interessant erschienen. Unter Mitwirkung eines Teams von Prof. Dr. Epov vom Institut für Geophysik der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften wurde dabei ein geoelektrisches Prospektionsverfahren entwickelt, das es ermöglichen sollte Eislinsen in den Kurganen zu erkennen, ohne diese vorher zu öffnen. Einige der Grabhügel zeigten Anomalien, die von den Geophysikern als Eiskerne interpretiert wurden. Die Richtigkeit der Angaben sollten nun die Ausgrabungen bestätigen.

Im Juni und Juli dieses Jahres sollten die Grabhügel untersucht werden. Zu Beginn wurde der mit 18 m Durchmesser größte Kurgan der Region (Ulan-Daba 1) untersucht. Das Ergebnis der Prospektion deutete auf eine massive Eislinie in etwa 2,5 m Tiefe hin. Auf der Steinschüttung, die sich normalerweise über der eigentlichen Grabkammer befindet, fanden die Forscher bereits eine Steinkiste aus mächtige Platten. Dieser Bereich war jedoch bereits beraubt und enthielt nur wenige Knochen eines erwachsenen Individuums. Bald stellte sich heraus, dass es es sich dabei nicht um eine, wie zuerst vermutet wurde, Nachbestattung handelte, sondern um die eigentliche Bestattung. Unterhalb der Steinschüttung kam keine weitere Grabgrube zum Vorschein. Die erwartete Eisschicht war zwar wirklich in 2,5 m Tiefe vorhanden, erwies sich aber als eine natürliche Bildung, die mit der Grabkammer nichts zu tun hatte.

Die Ausgrabungen wurde deshalb weiter in den Norden, in das Tal des Olon-Kurin-Gol verlagert. Hier hatten die Expeditionen von 2004 und 2005 zahlreiche Gräberfelder dokumentiert. Kurgan Nr. 2 des Friedhofs Olon-Kurin-Gol 7 enthielt keine Bestattung und stellte sich als eine Kult- oder Gedenkstätte heraus, wie sie häufig auf skythenzeitlichen Friedhöfen vorkommen.

Kurgan 2 des benachbarten Friedhofs Olon-Kurin-Gol 6 zeigte von außen in der Mitte eine trichterförmige Absenkung, die grundsätzlich zwei Ursachen haben kann: ein Zusammenbrechen der Grabkammerabdeckung und damit ein Einbrechen der Stein- und Erdschüttungen in die Grabkammer oder eine Beraubung. Zum Leidwesen des Teams war auch dieses Grab nicht mehr intakt. Die Bestattung war bereits vollkommen zerstört. Gefunden wurden nur noch vereinzelte Knochen einer erwachsenen Frau, sowie Bruchstücke einiger Grabbeigaben. Die Grabräuber hatten sogar den Bretterboden der Kammer herausgerissen und durchsucht. Dort wurden ein hölzerner Kamm und die Knochenreste eines ungeborenen oder gerade geborenen Kindes entdeckt, dass wohl zusammen mit seiner Mutter in diesem Kurgan bestattet worden war. Außerhalb der Grabkammer befand sich ein Pferdeskelett mit Tötungsspuren am Schädel, vermutlich von einem Streitpickel. Da dieser Bereich nicht von den Raubgräbern zerstört worden war, waren am Pferd teilweise noch Haut und Fell erhalten, zudem auch Reste einer Kopfverzierung und eine eiserne Trense im Maul.

Der letzte Versuch beginnt

Da die Ausgrabungen der ersten drei Hügel nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, beschloss das Team einen weiteren Hügel zu untersuchen, der für diese Kampagne bisher eigentlich nicht vorgesehen war. Die Wahl fiel auf Kurgan 1 der Hügelgruppe Olon-Kurin-Gol 10, die etwa 1 km entfernt vom zuletzt geöffneten Hügel lag. Der Kurgan mit einem Durchmesser von 12 m wies äußerlich keine sichtbaren Spuren einer Beraubung auf. Die geophysikalische Prospektion des Vorjahres hatte hier ebenfalls eine Eisbildung vermuten lassen. Zudem wurde von diesem Hügel ausgehend eine Steinreihe entdeckt. Diese sog. Balbaly findet man häufiger auf skythischen Gräberfeldern. Es handelt sich dabei immer um drei bis fünf im Abstand von jeweils mehreren Metern aufgestellte Steinstelen, die nach Osten oder Südosten zeigen. Diese Steinreihen kennzeichnen in der Pazyryk-Kultur meist nur einen besonderen Grabhügel innerhalb einer Hügelgruppe.

Während der Ausgrabung zeigte sich den Wissenschaftlern immer deutlicher, dass dieser Grabhügel nicht beraubt worden war, denn auch im Profil zeigten sich keinerlei Störungen. Nach dem kompletten Abtrag der Steinschüttung erschien eine nahezu quadratische Grabgrube. Während der folgenden Arbeiten kamen bereits in geringer Tiefe die Reste einer schwarzen Filzdecke zum Vorschein. In etwa anderthalb Metern Tiefe befand sich die Balkenabdeckung, die völlig unberührt war. In unmittelbarer Nähe, aber außerhalb der eigentlichen Grabkammer, lagen zwei Pferde , über denen die schon erwähnte Filzdecke ausgebreitet worden war. Kopf und Hals der Pferde waren bereits skelettiert, die Körper, die im Eis steckten, aber noch mit Fleisch, Haut und Fell erhalten geblieben. Zu beiden Pferden war die volle Ausrüstung mit Pferdegeschirr und Sätteln vorhanden, wenn auch nicht komplett erhalten. Besonders hervorzuheben ist der Riemenschmuck, vor allem hölzerne geschnitzte Greifenköpfe, die in dieser Art bereits mehrfach in Kriegergräbern gefunden wurden. Das Exemplar aus diesem Kurgan war darüber hinaus mit einer Zinnfolien überzogen gewesen.

Nach der Dokumentation der Pferde und Beigaben wurden die Wände der Grabkammer teilweise freigelegt, um das Eis im Inneren des Kurgans zum Schmelzen zu bringen. Unterhalb der Abdeckung kam das gesamte Grabinventar zum Vorschein. Der Bestattete und die Beigaben lagen allerdings nicht innerhalb der Eislinse, sondern auf ihr, was aber den Erhaltungszustand nicht verschlechter hat. Im Südwesten des Grabes lag der nur teilweise mumifizierte Tote. Nach den vorläufigen Ergebnissen handelt es sich um einen 30 – 40jährigen Mann. Das Gesicht ist nicht mehr vorhanden, am Hinterkopf befindet sich jedoch noch ein blonder Haarschopf. Der Schädel ist zerbrochen, weil er offensichtlich vom Eis gegen die Balkenabdeckung der Kammer gedrückt worden war. Vom Gesäß abwärts ist der Körper gut erhalten geblieben.

Kleidung und Waffen

Der Tote war in voller Bekleidung bestattet worden. Er trug einen Pelzmantel, vermutlich aus Murmeltierfellen, der innen mit Schaffell gefüttert und an den Rändern mit Zobelfell verziert war. In der unteren Hälfte des Mantels waren waagerecht verlaufende blaue Streifen eingefärbt. Dazu trug er eine Wollhose und kniehohe Filzstiefel. Auf dem Kopf hatte er eine Filzhaube, die mit hölzernen und mit Gold und Zinn überzogenen Tierfiguren geschmückt war. Die Kopfbedeckung endete in einem hölzernen Vogelkopf mit Zinnblechbeschlag. Weitere Untersuchungen werden hier noch weitere Details erbringen.

Zur Bekleidung zählte ein hölzerner geschnitzter Halsreif, der zwei einander zugewandte Wölfe darstellt. Ihre Hinterteile sind im Gegensatz zum Kopf um 180 Grad verdreht, ein typisches Merkmal des Tierstils der Pazyryk-Kultur im Altai. Der Halsreif war, wie die meisten Schnitzereien mit Goldfolie überzogen, die aber bereits abgefallen war und im Brustbereich des Toten lag. Im Beckenbereich wurde eine rechteckige Gürtelplatte aus Holz gefunden.

Dem Krieger waren Waffen mitgegeben worden, wie sie typisch für die skythische Zeit im Altai-Gebirge sind. Unter dem Pelzmantel befand sich ein als Akinakes bezeichneter Dolch aus Eisen sowie ein eiserner Streitpickel. Beide waren am Gürtel befestigt gewesen. Der hölzerne Griff des Streitpickels war noch sehr gut erhalten und zeigte Reste einer gebänderten Bemalung in schwarz-blauer Farbe. In einem ledernen Etui am Gürtel trug der Krieger einen kleinen bronzenen Spiegel. Hinter den Beinen des Toten befanden sich der Bogen und Köcher. Da der Bogen im Köcher steckte handelte es sich wohl um einen sog. Goryt, einen Köcher, in dem sowohl die Pfeile als auch der Köcher Platz fand und den man in ähnlicher Form auch noch später im reiternomadischen Umfeld wiederfindet. Erhalten waren von dem Köcher noch einige Pfeile, Teile des Leders und ein Verschluss aus rotem und beigem Stoff. Der Bogen hatte eine Länge von 1,2 m und war vollständig erhalten. Es handelt sich dabei um einen sog. Kompositbogen, der aus verleimtem Holz und Knochen gefertigt wurde und dadurch über eine große Spannkraft verfügte. Es ist das wohl erste komplett erhaltene Stück der Skythenzeit im Altai-Gebirge.

Gefäße und Nahrungsmittel

In der östlichen Ecke der Grabkammer befanden sich die Gefäßbeigaben. Neben einem hörnernen Trinkbecher, einem Holzteller und einem flaschenartigen Keramikgefäß befand sich dort ein hölzernes Tablett mit vier Standfüßen, auf dem sich Reste einer Fleischgabe (Schaf oder Ziege) befanden. Neben den Fleischresten befand sich ein eisernes Messer. Diese Kombination an Gefäßen und ihre Anordnung in der Grabkammer ist geradezu charakteristisch für die skythenzeitlichen Bestattungen der Pazyryk-Kultur im Altai.

Die Grabkammer

Die langrechteckige Grabkammer bestand aus Lärchenbalken, an denen noch die Bearbeitungsspuren zu erkennen waren. Die Seiten der Kammer waren leicht pyramidenförmig nach innen geneigt und bestanden aus drei Balkenkränzen in Blockbauweise. Der Innenbereich war fast komplett mit Bohlen ausgelegt, auf den der Tote und seine Beigaben gelegt worden waren. An der nordöstlichen Längswand wurde eine dicke, grauschwarze Filzdecke gefunden, die wohl einmal mit Holzstiften an den Balken der Grabkammer befestigt war und ebenfalls sehr gut erhalten war.

Nach der Bergung der Funde wurde die Grabkammer zerlegt und anschließend außerhalb der Grube zu einer genaueren Dokumentation wieder zusammengesetzt. Sie soll zukünftig im Museum in Ulan Bator ausgestellt werden. Für die dendrochronologische Untersuchung wurden deshalb nur schmale Bohrkerne entnommen.

Jetzt geht die Arbeit erst richtig los

Die Funde werden derzeit in Ulan Bator in einem Kühlraum aufbewahrt und warten dort auf die Restaurierung und Auswertung. Die Restaurierung wird sicherlich noch so manches spannende Detail ans Tageslicht bringen, denn viele Gegenstände konnten bisher nur oberflächlich begutachtet werden. Zur Datierung lässt sich derzeit soviel schon sagen. Die in dem beraubten Grab gefundene eiserne Pferdetrense gehört wohl in das 4./3. Jh. v. Chr. Die Sattel aus dem unberaubten Kurgan deuten bereits in die hunno-sarmatische Periode, was auf eine Datierung des Grabes in das 3. Jh. v. Chr. schliessen lässt. In diesen zeitlichen Rahmen gehört auch die hölzerne Gürtelplatte. Genauere Datierungen werden möglich sein, wenn die Balken der Grabkammern dendrochronologisch ausgewertet worden sind. Es bleibt also spannend.


Informationen: DAI Berlin / Prof. Parzinger