Experiment Zeitreise

Von einer Familie, die auszog um die Bronzezeit zu (er-)leben

veröffentlicht am
Museen & AusstellungenDeutschland

Seit dem 4. und noch bis zum 11. August wagt eine schwäbische Familie den Sprung zurück in die Bronzezeit – vom Computer in eine schriftlose Welt, vom Supermarkt in eine ursprüngliche Natur. Schauplatz des Experiments ist das Federseemuseum Bad Buchau, das mit seinem archäologischen Freigelände eine ideale Bühne für die anschauliche Umsetzung wissenschaftlich fundierter Inhalte besitzt.

Im Federseemoor hat das „in Szene setzen“ von Geschichte mit verschiedenen pädagogischen und didaktischen Mitteln eine lange Tradition. Ein Blick zurück zeigt, wie stark das Abbild der Vorgeschichte nicht nur vom Stand der Forschung sondern auch vom Weltbild der Museumsmacher beeinflusst wird. In den “Wilden Zwanzigern“ baute man erstmals ein zweiräumiges Hauses nach der Vorlage eines jungsteinzeitlichen Fundes aus dem südlichen Federseeried in Lebensgröße nach. Anhand dieses Moorbaus überprüften Archäologen die Praxistauglichkeit der bei den Ausgrabungen entdeckten Baureste und Werkzeuge. Gleichzeitig diente die Hausrekonstruktion aber auch als Kulisse einer bewusst inszenierten Geschichtsvermittlung: Urig aussehende Schauspieler belebten das Haus im „Wilden Ried“ im Sommer 1920. Dabei kam in mehr als einer Hinsicht Bewegung in das bis dahin gültige Geschichtsbild: Ein Stumm-Film wurde gedreht, heute ein einzigartiges Dokument aus den Anfängen des Filmschaffens. Die natürlichen, exotisch anmutenden Bilder von Jägern, Zimmerleuten und Töpferinnen brachten der Vorgeschichte eine bis dahin unbekannte Verbreitung und Bekanntheit.

Gut 80 Jahre danach ist die Faszination der Funde aus dem Moor ungebrochen. Die im feuchten Torfboden erhaltenen Dörfer ermöglichen der modernen Siedlungsarchäologie durch naturwissenschaftliche Untersuchungen einmalige Einblicke in die Lebensweise der vorgeschichtlichen Siedler. Ein Teil dieser Ergebnisse floss in den Bau des archäologischen Freigeländes im Federseemuseum ein. Neben der Inszenierung des Alltags werden dort auch Themen der neueren Forschung wie die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt dargestellt.

Seit dem 4. August geht die Vermittlungsarbeit des Federseemuseums einen Schritt weiter. Zum ersten Mal überschreiten Besucher eine Grenze der besonderen Art: das Absperrseil in der Ausstellungsfläche. Familie Borngräber bewegt sich nicht nur passiv als Zuschauer durch ein bereitgestelltes Bild, sondern wird selbst Teil der Geschichtsinszenierung. Die Borngräbers leben in Uhingen bei Göppingen. Margret (47) ist Lehrerin, Otto (46) selbstständiger Geologe, die Kinder Anna (15) und Stefan (13) gehen noch zur Schule. Auf ihre „Woche in der Bronzezeit“ bereiteten Sie sich seit fast einem Jahr vor, stellten Ausrüstung und Kleidung her und arbeiteten sich in die Fachliteratur ein. In archäotechnischen Workshops bekamen sie Einblicke in die vorgeschichtlichen Handwerkstechniken. Die Borngräbers haben sich viel vorgenommen. Mit eigens für sie angefertigten Rekonstruktionen der rund 3000 Jahre alten bronzezeitlichen Alltagsgegenstände beziehen sie für eine Woche ein Haus der bronzezeitlichen Siedlung „Wasserburg Buchau“. Die vorgeschichtlichen Handwerkstechniken probieren sie selbst aus, statt Experten bei der Arbeit zuzusehen. Es beginnt ein Experiment für beide Seiten. Die Borngräbers lassen sich mit „Haut und Haar“ auf das Konzept des Federseemuseums ein. Sie erleben die Vorgeschichte in der intensivst möglichen Form. In ihren nach bronzezeitlichen Funden rekonstruierten Kleidungsstücken erweitern sie darüber hinaus die lebendige Darstellung der Geschichte für alle anderen Besuchter um einen weiteren, wesentlichen Aspekt.

Die Vermittlung bronzezeitlichen Lebens stößt dabei an eine Grenze. Als Menschen des 21. Jahrhunderts nehmen die Borngräbers ihre Weltanschauung und Lebenseinstellung aus der Moderne mit. Der gewohnte Standard und Komfort der Jetztzeit wird automatisch und unvermeidbar zum Maßstab für die Vergangenheit. Schriftliche Überlieferungen, die helfen könnten einen Einblick in die Selbstwahrnehmung und Gedankenwelt der Bronzezeit zu bekommen, fehlen. Dem durch das heutige Leben geprägten Betrachter bleibt die Vorgeschichte jenseits der greifbaren Dinge reizvoll fremdartig. Die Bronzezeit ist, trotz aller Fortschritte in der Forschung auch heute eine Epoche voller Geheimnisse und offener Fragen. Die Borngräbers haben die Chance, von ihrem heutigen Standpunkt aus in der intensiven Begegnung mit der Sachkultur dieser Epoche eine eigene, ganz persönliche Antwort zu finden.

(Informationen: Federseemuseum Bad Buchau)