Das »Mädchen« aus dem Uchter Moor

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AusgrabungenDeutschlandEisenzeit

Moorleichen stellen seit jeher eine herausragende Gruppe im archäologischen Fundmaterial dar. Bis etwa in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Torf vorwiegend als Brennmaterial genutzt. Seine Gewinnung, das Torfstechen, erfolgte dabei „von Hand“. Die in den Mooren enthaltene Objekte wie beispielsweise Baumstämme, Moorwege oder auch Moorleichen und andere Funde konnten so kaum der Aufmerksamkeit der Torfarbeiter entgehen.

In Norddeutschland wurden so bis in die Mitte der 1950er Jahre insgesamt ca. 120 Moorleichen, davon etwa die Hälfte auf niedersächsischem Gebiet entdeckt. Nur wenige dieser Moorleichen sind bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Viele wurden nach ihrer Entdeckung einfach begraben, als Souvenir oder Kuriosität verkauft oder sogar zu Heilmitteln „verarbeitet“. Über diese existieren lediglich noch Zeitungsberichte, Aktennotizen oder Briefe. Ungewiss bleibt die Anzahl derer, über deren Entdeckung nie in irgendeiner Form berichtet worden ist.

Die letzte Moorleiche aus archäologischem Kontext auf niedersächsischem Gebiet wurde 1955 bei Bentstreek im Ldkr. Wittmund entdeckt. Seither sind keine weiteren Hinweise auf archäologisch relevante menschliche Überreste in Mooren bekannt geworden, was allgemein als eine direkte Folge der zunehmenden Technisierung in der Landwirtschaft und des zunehmend industriellen Torfabbaus angesehen wurde. Um so höher ist der Fund einer Moorleiche aus dem Uchter Moor zu bewerten, die nun, nach einer fünfjährigen Fundgeschichte, erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt werden kann.

Erste Funde schon vor 5 Jahren

Am Morgen des 6. Septembers 2000 wurden bei Torfstecharbeiten im Großen Uchter Moor menschliche Knochen gefunden. Die herbeigerufene Polizei untersuchte die Fundstelle und barg weitere Leichenteile. Ermittlungen wurden aufgenommen, in deren Verlauf sich zwei „Spuren“ herauskristallisierten, die möglicherweise im Kontext mit dem Fund standen. So war während des Zweiten Weltkrieges ein amerikanisches Flugzeug in der Gegend abgestürzt, dessen Besatzungsmitglieder z.T. noch vermisst wurden. Ferner wurde seit 1969 ein 16-jähriges Mädchen aus der Region vermisst, das vermutlich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war.

Die von Polizei und Staatsanwaltschaft veranlassten rechtsmedizinischen, anthropologischen und odontologischen Untersuchungen kamen zu dem Schluss, es handele sich um den Leichnam einer jungen Frau (16 – 20 Jahre), die ohne erkennbare Spuren von Gewalteinwirkung ums Leben gekommen war. Ein daraufhin veranlasster DNA-Abgleich mit der Mutter des seit den 60er Jahren vermissten Mädchens zeigte jedoch, dass es sich bei dem „Mädchen aus dem Uchter Moor“ nicht um die Vermisste handelte.

Die Ermittlungen gerieten daraufhin ins Stocken. Als im Januar diesen Jahres Torfarbeiter in unmittelbarer Nähe des Leichenfundortes eine nahezu unversehrte Hand fanden, wurde der Fall erneut aufgenommen. Zur Klärung eines möglichen archäologischen Tathergangs wurden von der Polizei die Spezialisten aus dem Schwerpunktbereich Moorarchäologie am Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege in Hannover hinzugezogen. Deren Begutachtung der Hand sowie eine Begehung des Fundortes im Gelände ließen einen archäologischen Kontext überaus wahrscheinlich erscheinen.

Die Archäologen des Landesamtes führten daraufhin umgehend Nachgrabungen vor Ort durch, die unmittelbar vor ihrem Abschluss stehen. Gleichzeitig wurde eine fächerübergreifende Expertengruppe unter der Federführung des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege zur Koordinierung der weiteren wissenschaftlichen Bearbeitung des Fundes eingerichtet.

Ungeachtet der noch ausstehenden Untersuchungen, ist diese Moorleiche schon jetzt in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit. So ist das „Mädchen aus dem Uchter Moor“ nicht nur der erste archäologisch relevante Moorleichenfund auf niedersächsischem Gebiet seit fünf Jahrzehnten, sondern auch die älteste Moorleiche, die bislang in den Mooren Nordwestdeutschlands gefunden werden konnte.


(Informationen: Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege)