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Die Hunnen sind am Untergang Roms schuld

Attila, König der Hunnen Attila, König der Hunnen
Quelle: pa/dpa
Peter Heather untersucht plaudernd den Untergang des Römischen Reiches. Nach seiner Ansicht führten die Hunnen den Zusammenbruch des römischen „Einparteienstaates" herbei. Nach dem Historiker Alexander Demandt ist das falsch. Für ihn waren die Germanen für den Zusammenbruch verantwortlich.

Als Edward Gibbon 1776 den ersten Teil seiner „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ abschloss, fasste er die Möglichkeit ins Auge, dass auch der europäischen Kulturwelt ein ähnliches Schicksal bevorstehen könne. Eine Bedrohung aus dem Osten, der das Imperium Romanum erlegen war, hatte Europa auch in nachantiker Zeit oft genug erlebt, so dass die Frage nicht abwegig war, ob sich die Vorgänge des 5.Jahrhunderts n. Chr. mutatis mutandis nicht wiederholen könnten.

Gibbon schloss es nicht aus, kam aber zu einem anderen Ergebnis. Sollte Europa dem Druck aus dem Osten nicht gewachsen sein, dann stünden zehntausend Schiffe bereit, die Europäer über den Atlantik zu bringen und ihnen in Amerika eine neue Zukunft zu eröffnen.

Der Versuch aus der Geschichte zu lernen

Seit der Zeit von Gibbons sind die Überlegungen zu dieser Problematik nicht zur Ruhe gekommen. Die Geschichte der Spätantike blieb der allzeit blanke Krisenspiegel für die eigenen Gesellschaft, das immer augenfällige Menetekel für den Untergang des Abendlandes. Wie für Spengler das Ende Alteuropas im Ersten Weltkrieg, so hat der Zusammenbruch des Sowjetimperiums, haben Schwächesymptome in den Vereinigten Staaten die Erinnerung an das späte Rom beschworen und das Interesse an jene Zeit wach gehalten.

Dabei pflegte man die Ursachen für den Zusammenbruch der Alten Welt regelmäßig in genau denjenigen Faktoren wiederzufinden, an denen die gegenwärtige Kultur zu laborieren schien. Um deren Bedrohlichkeit zu begründen und zu überwinden, verwies man auf die angeblich gleichartige Situation im nachkonstantinischen Rom mit den bekannten Folgen, die es nun zu vermeiden gelte, was möglich sei, sofern man die „Lehren der Geschichte“ beherzige. Hegels Wort, man könne aus der Geschichte nur lernen, dass die Menschen nie etwas aus ihr gelernt hätten, mochte man sich nicht aneignen. Denn wenn wir nicht aus der Geschichte lernen können, woraus dann?

Ausgesprochen oder indirekt standen solche Empfindungen und Erwägungen hinter der Zuwendung zur Geschichte der Spätantike, die sich in jüngster Zeit erkennbarer Aufmerksamkeit erfreut. Ergänzt werden sie durch die Suche nach den Wurzeln des modernen Europa, die ja gleichfalls in jenem historischen Boden zu finden sind, in jenem Kahlschlag, der zwar einerseits Unendliches an Werten vernichtet, aber andererseits auch Raum geschaffen hat für die Entwicklung der europäischen Völker. Diese auf Kontinuität gestimmte Erwartung dürfte hinter der erstaunlichen Resonanz liegen, die im vergangenen Sommer der großen Landesausstellung von Rheinland-Pfalz zu Konstantin dem Großen in Trier zuteil geworden ist.

Historische Fakten und Anekdotisches

In dieser geistigen Atmosphäre kann eine neue Gesamtdarstellung zum Untergang des römischen Weltreiches nur Erfolg haben, zumal wenn sie von einem ausgewiesenen Kenner der Materie vorgelegt wird. Ein solcher ist der Oxforder, nun Londoner Historiker Peter Heather. Seine gediegenen Publikationen bestätigen seine Kompetenz sowohl für die spätrömische als auch für die frühmittelalterliche Epoche.

Mit der vorliegenden umfangreichen Publikation will er große Erzählung und historische Analyse verbinden, und nahm sich damit nicht zu viel vor. Solide Information auf aktuellem Forschungsstand wird nicht in lehrhafter Systematik, sondern in lockerem, mitunter saloppem Plauderton geboten. Aussagen über Wesenszüge der Zeit stehen neben Anekdotischem, Strukturmerkmale neben Ereignisgeschichtlichem, und es fehlt nicht an Überraschungen, so wenn die Geschichte des Untergangs mit der Rebellion der Eburonen in Belgien gegen Caesar im Jahre 54 v. Chr. eröffnet wird. Hat doch Arnold Joseph Toynbee den Niedergang der antiken Kultur einst bereits mit dem Beginn des Peloponnesischen Krieges 431 v. Chr. beginnen lassen.

Seinen frühen Einstieg benutzt Heather zu einer breiten Darlegung des römischen Militärwesens. Die Zusammensetzung der Legionen, ihre Rekrutierung und ihre Ausbildung, ihre Bewaffnung und ihre Taktik, ihre Versorgung und ihr ziviler Arbeitseinsatz werden erörtert. All dies hatte sich in den letzten Jahrhunderten Roms zwar grundlegend geändert, beruht aber auf Voraussetzungen, die auf Caesar zurückweisen. Er kommt bei Heather mehrfach in die Spätantike zu Besuch, um sich über die gewandelte Lage zu verwundern.

Vergleiche mit Bundes- und Landesliga

Das bemerkenswerte Interesse des Autors für Militaria ist vielleicht typisch britisch. Den Vorwurf eines heimlichen Militarismus muss man nicht erheben. Ein Militarist würde zudem bei den Legionen gewiss nicht von „professionellen Tötungsmaschinen“ sprechen. Ob die Römer allerdings die Rekruten wirklich, wie Heather meint, nach der Höhe von deren Testosteronspiegel ausgewählt haben, wäre wohl noch zu klären.

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Sehr anschaulich vergleicht er die Leistung der Legionen mit der einer Fußballmannschaft in der Bundesliga, gegen welche die Landesliga Karthago keine Chance hatte. Ausblicke in die Zeit von ElisabethI., von Königin Victoria und Margaret Thatcher verlebendigen die jeweils etwas andersartigen Gegebenheiten im späten Rom. Über die Person des Senators Symmachus und die Topographie der Kaiserstadt Trier werden wir in die Zustände des Imperiums eingeführt; das Barbaricum wird im Zusammenhang mit Arminius, Tacitus und den Goten präsentiert, doch auch die Perser sind nicht vergessen.

Wirtschaft, Verwaltung und Religion kommen zur Sprache. Bis zum Einbruch der Goten 376 findet Peter Heather keine Dekadenz, keine Krisensymptome. Auch die „Reichskrise“ der Soldatenkaiser im dritten Jahrhundert war für ihn keine solche. Erst die Hunnen brachten dann die Wende. Das Kriegsgeschehen wird eingehend nacherzählt, zumal die Turbulenz im frühen fünften Jahrhundert mit der Eroberung Roms 410 durch Alarich und seine Westgoten.

Auch die Germanen attackierten Rom

Im Hinblick auf die Untergangs-Thematik wird dem Hunnenkönig Attila, der Geißel Gottes, breitester Raum gewidmet, während die römischen Kaiser, selbst Constantin und Theodosius nur über das Register zugänglich sind. Dies entspricht der zentralen These des Autors, der Aufstieg der Hunnenmacht sei die entscheidende Ursache für den Zusammenbruch des römischen „Einparteienstaates“ gewesen. Damit vertritt er eine Position, die 1769 Oliver Goldsmith verfocht, die 1935 von Pirenne, 1950 von Piganiol, 1955 von Altheim, 1958 von Vittinghoff und 1959 von Sirotenko jeweils leicht modifiziert vertreten wurde.

Ein Vorwurf der Monokausalität ist gegenüber Heather wie zumeist unberechtigt, da „sekundäre“ Faktoren durchaus berücksichtigt werden, unter ihnen die Germanen. Was Heather unterlässt, ist eine Abwägung der beiden Barbarengruppen. Gewiss war das Eindringen der Westgoten 376 eine Folge der hunnischen Drohung, aber die Rheingrenze haben die Alemannen, die Franken und die Vandalen gesprengt.

Attila wurde 451 auf den Katalaunischen Feldern zum Rückzug aus Gallien gezwungen, und sein Reich zerfiel, zwanzig Jahre bevor Odovacar 476 den letzten weströmischen Kaiser in den Ruhestand versetzte. Die Hunnen verwüsteten einige Donauprovinzen um die Mitte des fünften Jahrhunderts, die Germanen aber durchbrachen die römischen Grenzen seit der clades Lolliana 16 v.Chr., in kürzer werdenden Intervallen, besiegten Kaiser auf Reichsboden und plünderten Gallien, Spanien, Italien, Kleinasien, Illyrien und Griechenland durch die Jahrhunderte, bis die Langobarden 568 die Auflösung des Imperiums vollendeten.

Dass sowohl der Aufstieg als auch der Zerfall der Hunnenmacht das Ende Westroms beschleunigt habe, wie Heather meint, wird ihm kein Kenner abnehmen. Zwar gab es vor Attila hunnische Söldner in römischen Diensten, aber dessen von Aëtius verhinderter Sieg auf den Katalaunischen Feldern hätte das Reich gewiss nicht stabilisiert, geschweige die Hunnen zu Erben der römischen Kultur gemacht, wie es den Germanen beschieden war. Eher hätten sie, das fürchtete Jacob Burckhardt – sein Konstantinbuch fehlt bei Heather –, das „Leichentuch über das okzidentale Leben“ gezogen. Ohne äußere Feinde, darin hat Heather Recht, hätte das Reich fortbestehen können. Aber sein Ende haben nicht die Hunnen, sondern die Germanen herbeigeführt. Aber unverändert gilt: Der Feind steht im Osten.

Peter Heather: Der Untergang des Römischen Weltreichs. A. d. Engl.v. Klaus Kochmann Klett, Stuttgart. 640 S., 34,50 Euro.

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