Die auf einer markanten Porphyrkuppe weithin sichtbare Doppelkapelle St. Crucis in Landsberg stellt nicht nur eine eindrucksvolle Landmarke, sondern auch ein besonderes Kleinod auf der Straße der Romanik dar. Zugleich ist der Bau das einzige obertägig sichtbare Zeugnis einer bedeutenden Burg. Diese wurde im 12. Jahrhundert von Dietrich, einem Sohn des Markgrafen Konrad von Meißen, errichtet und war bis Anfang des 13. Jahrhunderts namengebend für eine Nebenlinie der Wettiner. Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts geriet die Burg in Verfall, ohne dass es Hinweise auf eine gewaltsame Zerstörung gäbe. Erhalten blieb lediglich die Doppelkapelle, die 1662 das erste Mal nachweislich instand gesetzt wurde. Die herausragende Qualität dieser Doppelkapelle in Hinblick auf ihre Architektur und Bauornamentik lässt für die verschwundenen Gebäude der Burg Vergleichbares vermuten.
Die Burganlage steht nun erstmals im Mittelpunkt einer archäologischen Lehr- und Forschungsgrabung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Seit Anfang September 2021 widmen sich die Untersuchungen insbesondere der Frage nach der Lage des Palas sowie nach einer möglichen Vorgängeranlage der Burg. Um hierüber Aufschluss zu erlangen, wurden drei Schnitte angelegt, in denen noch bis Mitte Oktober vier Studenten der Martin- Luther-Universität Halle-Wittenberg, unterstützt durch einen Grabungsarbeiter, in der Methodik archäologischer Ausgrabungen und Dokumentation ausgebildet werden.
Trotz der relativ kleinen Untersuchungsfläche bestätigen die angetroffenen Befunde die einstige Bedeutung der Burg. Reste von Gebäuden aus Stein, deren Mauern zum Teil verputzt und mit eingeritzten Fugen dekoriert waren (»Fugenstrich«), stehen mit der Anlage des Markgrafen Dietrich von Landsberg aus dem 12. Jahrhundert in Verbindung. Von ihrer Zerstörung, die – anders als bislang angenommen – zu großen Teilen nicht erst in der frühen Neuzeit, sondern bereits im Mittelalter erfolgt sein muss, zeugen die Planierschichten, die die Mauern überdeckten und reichhaltiges Fundmaterial aus dem 12. bis 15. Jahrhundert bargen.
Unter den ca. 500 Funden befinden sich vorwiegend Fragmente von Koch- und Vorratsgeschirr, die Alltagsleben und tägliche Versorgung auf der Burg widerspiegeln. In die Sphäre der Ökonomie verweisen Münzen und ein Wägegewicht. Etliche Funde belegen daneben die adlige Stellung und den gehobenen Lebensstandard ihrer Bewohner. Unter der Keramik ragt ein bemaltes Miniaturgefäß aus weißer Feinware heraus, das dem Weinkonsum diente. Tonmurmeln und Knochenwürfel zeugen von adeligem Zeitvertreib, während ein glasiertes Spielzeugpferdchen auf die spielerische Erziehung des ritterlichen Nachwuchses verweist. Ein Wellrandhufeisen belegt die Nutzung des schnellsten Verkehrsmittels des Mittelalters, ein kleines Fragment eines vergoldeten Beschlags könnte mit einem Kleidungsaccessoire in Verbindung stehen. Fragmente von Ofenkacheln zeugen davon, dass die Burg einen beheizbaren Wohnraum besaß, ein Luxus, der im Mittelalter wohlhabenden und hochrangigen Persönlichkeiten vorbehalten war. Zusammen mit Überresten von Fensterglas, das im Mittelalter noch sehr selten war, und von Architekturteilen, wie beispielsweise Säulen, die von gekuppelten Fenstern stammen könnten, weisen sie auf einen Wohnturm oder Palas mit einem Wohn- und einem Festsaal hin, der das Hauptgebäude der Burg bildete.
Neben den Spuren der Burg Dietrichs von Landsberg konnten in den untersten untersuchten Kulturschichten auf dem Kapellenberg auch erstmals Funde aus dem 9. bis 11. Jahrhundert aufgedeckt werden. Sie machen es wahrscheinlich, dass hier die Kernburg einer der umfangreichsten spätkarolinger- bis ottonenzeitlichen Befestigungsanlagen Sachsen-Anhalts lokalisiert werden kann. Die Funde und Befunde, die während der laufenden Untersuchungen zu Tage kamen, bestätigen somit die vermutete Lage des Palas der Burg Dietrichs von Landsberg sowie die Bedeutung des Ortes in den Jahrhunderten vor ihrer Anlage. Daneben veranschaulichen sie verschiedene Facetten des Lebens auf der Burg, das sich durch die wenigen überlieferten Schriftquellen allein nicht fassen ließe. Die gute Erhaltung der Befunde unter der heutigen Oberfläche lässt zudem erwarten, dass eine flächige Ausgrabung tiefe Einblicke in die baulichen Grundstrukturen und zugleich die Einbindung der Doppelkapelle in ihr einstiges architektonisches Umfeld, insgesamt also ein besseres Verständnis der gesamten Anlage ermöglichen wird.