Steinzeitliches Getreide: Gerstengenom aus 6.000 Jahre alten Samen entschlüsselt
Die analysierten Samen wurden zusammen mit Zehntausenden anderen pflanzlichen Überresten im Rahmen einer systematischen archäologischen Ausgrabung aus der schwer zugänglichen Yoramhöhle in der judäischen Wüste nahe des Toten Meers geborgen. Die Höhle wurde nur für kurze Zeit von Menschen genutzt, vermutlich als Zufluchtsort.
Ältestes bislang rekonstruiertes Pflanzengenom
Die Analysen archäobotanischer Funde waren bislang meist auf morphologische Vergleiche mit den heute existierenden Sorten begrenzt, nur für Mais hatte bisher das prähistorische Genom entschlüsselt werden können. Bei dieser Studie ist es den Wissenschaftlern nun gelungen, das komplette Genom der 6.000 Jahre alten Gerstensamen zu rekonstruieren und mit den Genomen heutiger Gerstensorten zu vergleichen. Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Genetics publiziert.
»Dieser Fund bot uns eine einmalige Gelegenheit, ein steinzeitliches Pflanzengenom zu entschlüsseln. Aufgrund der Trockenheit in der Region konnte sich das Erbmaterial über Jahrtausende erhalten«, erklärt Weiss. Für die Untersuchung halbierten die Wissenschaftler die Samenkörner und datierten jeweils eine Hälfte mit Hilfe der Radiokarbonmethode, während die andere für die DNA-Extraktion genutzt wurde. »Alte DNA ist für uns wie eine Zeitmaschine, mit der wir an einzelne Zeitpunkte in der Domestikationsgeschichte von Kulturpflanzen zurückreisen können«, sagt Johannes Krause, Leiter der Abteilung Archäogenetik am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte (IPK) in Jena. Das jetzt rekonstruierte Gerstengenom ist das älteste bislang jemals rekonstruierte Pflanzengenom.
Domestikation bereits in der Steinzeit abgeschlossen
Weizen und Gerste wurden im Fruchtbaren Halbmond, einem sichelförmigen Gebiet, das sich heute vom Irak bis nach Jordanien erstreckt, schon vor 10.000 Jahren angebaut. Hier kommen auch heute noch die Wildformen dieser Getreidearten vor. Sie zählen zu den Arten, die modellhaft am Institut für Evolution an der Universität von Haifa untersucht werden. »In dieser Region hat der Getreideanbau seinen Ursprung und von hier breitete er sich später nach Europa, Asien und Nord-Afrika aus«, erklärt Tzion Fahima von der Universität Haifa.
»Unsere Analyse ergab, dass die vor 6.000 Jahren angebauten Sorten sich genetisch bereits sehr deutlich von den Wildformen unterscheiden. Dagegen weisen sie mit den heutigen domestizierten Sorten große Ähnlichkeiten auf«, erläutert Nils Stein, der am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben den Vergleich mit den heutigen Genomen leitete. Unterstützt wurde er dabei von Robbie Waugh und seinen Kollegen vom James-Hutton-Institut in Dundee, Schottland, und Gary Muehlbauer von der Universität Minnesota, USA. »Das zeigt«, schlussfolgert Stein, »dass die Domestikation der Gerste bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt abgeschlossen war.«
Der Vergleich von steinzeitlichen Samen, Wildformen aus der Region und sog. Landrassen, d. h. lokal von Bauern im Nahen Osten angebauten Gerstensorten, ermöglicht es auch, den Ausgangspunkt der Domestikation genauer als bisher zu lokalisieren. »Die Domestikation der Gerste begann im oberen Jordantal«, sind sich Tzion Fahima und seinen Kollegen an der Universität Haifa und dem israelischen Tel-Hai-College sicher. Eine Hypothese, die auch durch die Archäologie gestützt wird, denn an zwei Ausgrabungsstätten in der Nähe fand man die bislang ältesten Belege für Gerstenanbau.
Einwanderer »vertrauten« auf vor Ort domestizierte Sorten
Auch die Ähnlichkeit zwischen prähistorischen Samen und heutigen Landrassen aus der Levante ist für die Wissenschaftler aufschlussreich. »Diese Ähnlichkeit ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich in diesem langen Zeitraum, das Klima stark verändert hat, Flora und Fauna durch den Menschen beeinflusst wurden und sich die landwirtschaftlichen Methoden veränderten«, sagt Martin Mascher vom IPK, Hauptautor der Studie. Die Autorinnen und Autoren vermuten deshalb, dass zwar durch Eroberung und Migration neue Menschen in die Region einwanderten, dass diese jedoch nicht ihre eigenen Samen mitbrachten, sondern auf die bereits domestizierten Nutzpflanzen vor Ort vertrauten.
Neue Einblicke in den Ursprung unserer Kulturpflanzen
Durch die Verbindung von Archäobotanik und Genetik eröffnet die vorliegende Studie ganz neue Einblicke in den Ursprung unserer Kulturpflanzen. »Wir stehen erst am Anfang eines neuen Forschungszweigs. Zukünftig wird die Analyse von DNA-Sequenzen aus archäologischen Überresten prähistorischer Pflanzenarten ganz neue Erkenntnisse zu Ursprung, früher Domestikation und anschließender Verbreitung von Kulturpflanzen bieten«, prognostiziert Verena Schuenemann, Zweitautorin der Studie, von der Universität Tübingen.
Publikation
Martin Mascher, Verena J. Schuenemann, Uri Davidovich, Nimrod Marom, Axel Himmelbach, Sariel Hübner, Abraham Korol, Michal David, Ella Reiter, Simone Riehl, Mona Schreiber, Samuel H. Vohr, Richard E. Green, Ian K. Dawson, Joanne Russell, Benjamin Kilian, Gary J. Muehlbauer, Robbie Waugh, Tzion Fahima, Johannes Krause, Ehud Weiss, Nils Stein
Genomic analysis of 6«000-year-old cultivated grain illuminates the domestication history of barley.
Nature Genetics 2016
DOI: 10.1038/ng.3611
Zum Forschungsteam gehörten Wissenschaftler/-innen des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan, der Hebrew Universität in Jerusalem; des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, der Universität Haifa, des James-Hutton-Instituts, Großbritannien, der Universität Kaliforniens in Santa Cruz, USA, der Universität Minnesota St. Paul, USA sowie der Universität Tübingen. Leiter der Ausgrabung in der Yoramhöhle waren Uri-Davidovich vom Institut für Archäologie der Hebrew Universitität Jerusalem und Nimrod Marom vom Zinman Institut für Archäologie der Universität Haifa. Verantwortlicher für die archäo-botanische Analyse war Ehud Weiss von der Bar-Ilan Universität in Ramat Gan.