Die Wissenschaftler analysierten das Erbgut von archäologischen Skeletten aus Griechenland und der Türkei. Der Studie zufolge gelangten neolithische Siedler aus der Gegend um die Ägäis und das Marmarameer entlang einer Balkanroute nach Mitteleuropa. Etwa zur gleichen Zeit erreichten prähistorische Bauern aus dem ägäischen Raum auch über das Mittelmeer die iberische Halbinsel.
Die Kolonisten waren die ersten sesshaften Ackerbauern, die nach Europa kamen. Sie brachten Hausbau, Landwirtschaft und Haustiere mit in ihr neues Siedlungsgebiet. Während ihrer Expansion trafen sie auf Jäger und Sammler, die seit der Eiszeit in Europa ansässig waren. Gemäß der Studie vermischten sich die beiden Bevölkerungsgruppen anfänglich nur in sehr begrenztem Maße. »Man tauschte Kulturgüter und Kenntnisse aus, aber nur selten Ehepartner«, beschreibt Studienleiter Joachim Burger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) die ersten Kontakte. »Erst nach Jahrhunderten stieg die Zahl der Partnerschaften an.« Die Mainzer Anthropologen hatten die Interaktion von Bauern und Wildbeutern im prähistorischen Europa bereits in Studien 2009 und 2013 untersucht. Nun weisen sie nach, dass die kulturellen Unterschiede und der zögerliche Kontakt der beiden Gruppen auf die völlig unterschiedliche geographische Herkunft zurückgehen.
»Die migrierenden Bauern brachten nicht nur eine völlig fremde Kultur mit, sondern sahen sicherlich auch anders aus und sprachen eine unterschiedliche Sprache«, fügt Christina Papageorgopoulou von der Demokritus-Universität Thrakien hinzu. Sie hatte als Humboldt-Stipendiatin in Mainz die Studie mit Burger ins Leben gerufen.
Die Studie klärt eine langjährige Debatte über die Herkunft der ersten europäischen Bauern, indem sie anhand von Genomanalysen zeigt, dass die Ahnenliste von Zentral- und Südwesteuropa nach Griechenland und dem nordwestlichen Anatolien zurückverfolgt werden kann. »Es gab die Auffassung, dass die Landwirtschaft rein durch Ideentransfer nach Europa kam, ohne oder mit nur geringer Migrationsbewegung. Diese Ansichten können nun ad acta gelegt werden«, so Burger mit einem Hinweis darauf, dass sich das Verständnis der neolithischen Revolution durch die Analysen alter DNA in den letzten sieben Jahren grundlegend geändert hat. Die Mainzer Palaeogenetiker um Joachim Burger sind Vorreiter bei der paläogenetischen Beforschung der Neolithisierung Europas.
Sesshaftigkeit, Ackerbau und Tierhaltung haben sich bereits vor 10.000 Jahren in einer Gegend entwickelt, in der heute die Türkei, Syrien, Iran und Irak aneinander grenzen, dem sogenannten Fruchtbaren Halbmond. Zuzana Hofmanová, neben Susanne Kreutzer die Erstautorin der neuen Studie, führt dazu aus: »Ob die ersten Ackerbauern letztendlich aus dieser Gegend kamen, ist noch nicht bewiesen. Aber mit Sicherheit konnten wir feststellen, dass sie samt ihrer revolutionären neolithischen Kultur weite Teile Europas über die nördliche Ägäis in nur kurzer Zeit besiedelt haben.«
Es sollte nicht die letzte große Migration nach Europa sein: Vor ca. 5.000 Jahren erreichten Bewohner der osteuropäischen Steppe Mitteleuropa und gingen in den Gesellschaften ehemaliger Jäger und Sammler und früher Bauern auf. Mehrheitlich aus einer Mischung dieser drei Gruppen entstanden die heutigen Bevölkerungen Europas.
Veröffentlichung
Zuzana Hofmanová, Susanne Kreutzer et al.
Early farmers from across Europe directly descended from Neolithic Aegeans
Proceedings of the National Academy of Sciences, 8. Juni 2016
DOI: 10.1073/pnas.1523951113