Im Spätsommer und Herbst 2017 fanden im Vorfeld der neuen Ortsumgehung Wedringen erste Bauarbeiten statt: Es wurden Leitungen umverlegt. Seit April 2018 führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt hier flächendeckende archäologische Grabungen durch. Diese erstrecken sich über 19 verschiedene Fundstellen und umfassen insgesamt 16 ha. Weit über 8.000 Strukturen und mehr als 50.000 Funde hat das 50-köpfige Grabungsteam auf der 4,5 km langen Straßentrasse bereits freigelegt und dokumentiert.
Westlich von Wedringen, im Bereich der Brücke über den Mittellandkanal, finden derzeit die letzten Geländearbeiten statt, bevor in Bälde die Straße gebaut wird. Hier wurde vor ungefähr 6500 Jahren ein Bestattungsplatz angelegt. Wir befinden uns im ausklingenden Altneolithikum, zur Zeit der Rössener Kultur (ca. 6600–6450 vor heute). Diese Kultur ist nach einem in den 1870er Jahren entdeckten Gräberfeld im heutigen Leunaer Ortsteil Rössen benannt. Charakteristisch sind die flächendeckend verzierten Keramikgefäße. Diese Ornamente wurden zur damaligen Zeit mit Vogelknochen in den Ton gedrückt. In die entstandenen Eintiefungen wurde häufig eine weiße Paste eingebracht. Neben den Gefäßen gehören Geräte aus Felsgestein zu den typischen materiellen Hinterlassenschaften der Rössener Kultur. Für diese Zeit ist typisch, Steinbeile mithilfe von Haselnussruten und Schleifsand zu durchlochen – hier liegt die Geburtsstunde der Axt.
Die Menschen lebten innerhalb kleiner, weiler- oder dorfartigen Siedlungen in bis zu 30 m langen Gebäuden, deren Grundgerüst aus Holzpfosten bestand. Die Siedlungs- und Bestattungsplätze der Rössener Kultur lagen vor allem in den ertragreichen Lössgebieten. Umso mehr überrascht der neu entdeckte Fundplatz bei Wedringen. Weniger die Bodenqualität, als vielmehr die Gewässernähe zur Beber und der Ohre dürfte Ausschlag für die Platzwahl gewesen sein.
War die Lage am Rande der damals genutzten Besiedlungszone Grund für die ungewöhnliche Bestattungsweise? Statt die Toten als unversehrte Körper niederzulegen, wurden die Leichname verbrannt. Auf der insgesamt knapp 1,25 ha großen erfassten Fläche, wurden 25 Befunde erkannt. Die Grabgruben entsprechen zwar in ihrer Größe denen für Körperbestattungen, enthalten aber anstelle eines kompletten Skeletts nur Leichenbrandsplitter. In den Gräbern befanden sich zudem durch Hitzeeinwirkung zersprungenen Steinäxte. Sie zeugen davon, dass die Toten zusammen mit ihren persönlichen Beigaben verbrannt worden waren. Die Überreste der verbrannten Leichname – zumeist kleine Knochensplitter – wurden gemeinsam mit Ascheresten in den Mittelbereich der jeweiligen Grabgrube eingebracht. Am östlichen Rand der Grabgruben stellte man, wie bei einer Körperbestattung, die Gefäße nieder. Gab man den Bestatteten Speisen auf dem Weg ins Jenseits mit?
Zudem fallen im nahen Umfeld der Grabgruben mehr oder weniger achtlos auf den Boden geworfene Gefäße auf. Fassen wir hier die Relikte einer Bestattungszeremonie? Fanden im Zusammenhang mit dem Begräbnis möglicherweise Reden und Umtrünke statt?
Diese Fragen können im Zuge weiterer Untersuchungen – beispielsweise durch die Untersuchung von organischen Resten in den Tongefäßen – in Bälde geklärt werden. Schon jetzt wird deutlich, dass mit dem Fundplatz Wedringen ein neuer Aspekt der Rössener Kultur erstmalig erfasst wird. Nachweise für Träger dieser Kultur fassen wir vom Rhein bis nach Böhmen. Während der Hausbau über dieses gesamte Gebiet uniform ist, dürfte es an der nördlichen Randzone, wie in Wedringen, auch zu Eigenständigkeiten im Grabbau gekommen sein.