Mit Hilfe einer nicht-invasiven fotografischen Technik haben Forscher des EURAC-Instituts für Mumien und den Iceman alle Tätowierungen des Mannes aus dem Eis sichtbar gemacht. Dabei stießen sie auch auf ein bislang unbekanntes Tattoo auf seinem Brustkorb. Aufgrund der dunkel gefärbten Haut der Mumie ist es mit bloßem Auge nur schwer erkennbar. Die ausgefeilte Fototechnik erlaubte es nun auch Tätowierungen in tieferen Hautschichten zu identifizieren.
Den Entdeckern des Ötzi stachen die Tätowierungen schon am Tag des Fundes, am 19. September 1991, ins Auge. Verschiedene Studien haben daraufhin die Hautzeichnungen untersucht und aufgelistet. Mit einer ganz eigenen Technik hat nun der Wissenschaftler Marco Samadelli vom EURAC-Instituts für Mumien und den Iceman eine vollständige Übersicht über alle Tätowierungen der Gletschermumie erstellt. Sie gehören zu den ältesten dokumentierten Tätowierungen der Welt.
Samadelli fotografierte den Körper der Mumie aus verschiedenen Blickwinkeln mit einer multispektralen Technik, so dass bei den Bildern der gesamte infrarote bis ultraviolette Wellenlängenbereich abgedeckt wurde. Dadurch konnten auch für das menschliche Auge nicht mehr sichtbare Tätowierungen in tieferliegenden Hautschichten mit großer Genauigkeit dargestellt werden. Die 61 vorgefundenen Hautzeichen auf Ötzis Körper bestehen aus 0,7 bis 4 Zentimeter langen, vorwiegend in Gruppen zu zwei, drei oder vier parallel angeordneten, Linien. Darunter befinden sich auch zwei Kreuze.
Die neu entdeckte Tätowierung auf der rechten unteren Seite des Brustkorbs sticht heraus, da sich die anderen Zeichnungen vor allem auf dem unteren Rücken und den Beinen zwischen Knie und Fuß befinden. In Bezug auf die jeweiligen Stellen der Tätowierungen vermuteten einige Forscher bislang, dass es sich um therapeutische Behandlungsmaßnahmen handle, nämlich um eine Art Akupunktur zur Linderung von Gelenksschmerzen. Die neu entdeckte Tätowierung auf dem Brustkorb öffnet nun erneut die Diskussion über die Funktion von Tätowierungen in vorgeschichtlichen Zeiten. So liefert die Studie den Anthropologen ein weiteres Puzzlestück bei der Erörterung der Frage, ob prähistorische Tätowierungen eine therapeutische, symbolische oder religiöse Bedeutung haben.
Die multispektralen Fotografien wurden in der Kühlzelle der Mumie im Südtiroler Archäologiemuseum durchgeführt. »Jedes Foto wurde sieben Mal aufgenommen, jedes Mal mit einer anderen Wellenlänge. So konnten wir die verschiedenen Tiefen abdecken, in denen sich jeweils das für die Tattoos verwendete Kohlepulver abgesetzt hatte. Für die oberen Hautschichten waren die ultravioletten Strahlen ausreichend, für die tieferen Schichten verwendeten wir die Infrarotstrahlen«, erklärt Marco Samadelli.
Publikation
Complete mapping of the tattoos of the 5300-year-old Tyrolean Iceman
Marco Samadellia, Marcello Melisc, Matteo Miccolic, Eduard Egarter Vigld, Albert R. Zinka
Journal of Cultural Heritage, online 20. Januar 2015
DOI: 10.1016/j.culher.2014.12.005