Fossiler Schädel schließt die Lücke

Bisher fehlte jede Spur von jenen modernen Menschen, die von Afrika aus ihren Weg nach Norden nahmen, um vor ca. 45.000 Jahren in Europa anzukommen. Nun wurde im Norden Israels in der Manot-Höhle ein Fund gemacht, der diese Lücke im Wissen über unsere eigene Herkunft schließt.

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Computertomographische Version des Manot Fundes
Die computertomographische Version des Manot Fundes und die Manot-Höhle im Hintergrund. (© Gerhard Weber)

Die rund 55.000 Jahre alten Überreste eines Gehirnschädels konnten mit modernsten Computer-Methoden untersucht werden. Die Ergebnisse, welche einen Teil der Menschheitsgeschichte in Raum und Zeit neu verbinden, wurden jetzt im Fachjournal "Nature" veröffentlicht.

Manot ist eine Karsthöhle im Norden Israels nahe der libanesischen Grenze. Die ersten Forschungen dort begannen 2010 und laufen bis heute. Entdeckt wurden unzählige archäologische Objekte, die eine Besiedelung der Höhle seit mehr als 100.000 Jahren belegen. Vor ca. 30.000 Jahren stürzte das Dach der Höhle ein und versiegelte die Fundschichten bis heute. Neben Steinwerkzeugen und Tierknochen erhielten sich auch einige wenige menschliche Überreste. Der spektakulärste Fund wurde in einer etwas abseits gelegenen Nische der Höhle gemacht: eine sehr gut erhaltene "Kalotte", also der Oberteil eines Gehirnschädels. Leider fehlt der Gesichtsschädel, der viele diagnostische Merkmale für Paläoanthropologen aufweist.

Die traditionellen Methoden der Anthropologie erlauben nur ein sehr grobes Bild der Klassifikation eines Gehirnschädels, der sich hauptsächlich durch seine gleichmäßige Wölbung auszeichnet. Durch die an der Universität Wien in den letzten 15 Jahren entwickelten Verfahren der "Virtuellen Anthropologie", bei der dreidimensionale Daten von Objekten mit mathematisch-statistischen Methoden analysiert werden, war es möglich, zu wesentlich genaueren Aussagen zu kommen. Gerhard Weber vom Department für Anthropologie der Universität Wien wurde daher von den israelischen Forschern zur Mitarbeit eingeladen.

Zusammen mit seinem früheren Doktoranden Philipp Gunz, der jetzt am Max-Planck-Institut in Leipzig forscht, analysierte Weber computertomographische Aufnahmen. Dabei wurden von den Forschern am Schädelfragment von Manot und einigen hundert anderen Gehirnschädeln Messpunkte in dichter Anordnung gesetzt, die die Gestaltunterschiede erfassen und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten aufzeigen sollten. Es stellte sich heraus, dass der Fund nicht nur zeitlich genau in die bisher unbekannte Phase der Auswanderung aus Afrika passt, sondern auch von seiner Morphologie her perfekt diese Lücke schließt. "Die Gestaltanalysen zeigen ganz eindeutig, dass Manot ein moderner Mensch war. Das Interessante ist, dass die ähnlichsten Schädel in unseren Vergleichsdaten einerseits von heute lebenden Afrikanern stammen und andererseits von jenen modernen Menschen, die vor ca. 20.000 bis 30.000 Jahren bei uns in Mitteleuropa lebten, z.B. Schädel aus dem nahen Tschechien, wie Mladeč 1 oder Předmostí 4.", erklärt Gerhard Weber.

Die morphometrischen Befunde alleine reichen allerdings nicht aus, denn es könnte sich auch um moderne Menschen gehandelt haben, die wieder von Europa in die Levante zurückgewandert wären. An der Innen- und Außenseite des Schädelfragmentes hatten sich jedoch in der Tropfsteinhöhle etliche dünne Kalzit-Schichten angelegt. Diese konnten mit der zuverlässigen Uranium-Thorium Methode datiert werden. Die israelischen KollegInnen können damit ein Alter von ca. 55.000 Jahren belegen. Manot ist also 10.000 Jahre älter als alle modernen Menschen, die in Europa gefunden wurde, und um ca. 5.000 bis 10.000 Jahre jünger als jener Zeitpunkt, den Genetiker für die Entstehung unserer direkten Ahnenlinie in Afrika annehmen.

Eine der logischen Migrationsrouten von Afrika nach Europa führt durch den levantinischen Korridor. Das Alter und die Morphologie von Manot legen nun nahe, dass die ersten modernen Menschen diese Route auch wirklich genommen haben. Dort trafen sie wohl zeitgleich auf Neandertaler, die ebenfalls in der Levante nachgeiesen wurden. Genetische Hinweise deuten darauf hin, dass heute lebende Menschen 1 bis 4 Prozent Neandertalergene in sich tragen. Bisher wurde spekuliert, dass diese Vermischung in Europa stattgefunden haben könnte. Manot könnte dieses Bild nun ändern.

"Der Schädelfund aus Manot ist genau das, was wir Anthropologen seit Jahrzehnten gesucht haben. Er verbindet perfekt diejenigen Teile der Menschheitsgeschichte in Raum und Zeit, die uns bisher bekannt waren", fasst Weber zusammen. Manot ist aber nicht nur ein Glücksfall für die Erkenntnis rund um unsere eigene Herkunft. Er führte auch zu einer sehr erfolgreichen wissenschaftlichen Kooperation zwischen israelischen und österreichischen bzw. deutschen Institutionen. Weitere Projekte und mehr Austausch von Know-how sind bereits in Angriff genommen worden.

Publikation

Levantine cranium from Manot Cave (Israel) foreshadows the first European modern humans. Hershkovitz, I., Marder, O., Ayalon, A., Boaretto, E., Caracuta, V., Alex, B., Frumkin, A., Goder-Goldberger, M., Gunz, P., Holloway, R., Latimer, B., Lavi, R., Matthews, A., Sloan, V., Bar-Yosef Mayer, D., Berna, F., Bar-Oz, G., May, H., Hans, M., Weber, G.W., Barzilai, O., 2015
Nature am 29. Jan. 2015, DOI: 10.1038/nature14134

Manot Gehirnschädel am Computerbildschirm
Der Manot Gehirnschädel am Computerbildschirm, von der Seite betrachtet (links), und von Innen (rechts). (© Gerhard Weber)